Augsburger Allgemeine (Land West)

„Wir brauchen mehr politische­n Druck“

Nach zwölf Jahren als Vorsitzend­er gibt Hubert Weiger die Führung des „Bund Naturschut­z“ab. Der Allgäuer zieht Bilanz über sein jahrzehnte­langes Engagement für den Umweltschu­tz und warnt vor den Folgen der Klimakrise

- Interview: Christian Grimm

Herr Weiger, nach zwölf Jahren als Vorsitzend­er machen Sie Schluss. Der BUND bestimmt am Samstag einen Nachfolger. Sie sind in der Umweltbewe­gung Jahrzehnte aktiv. Wann sind Sie das letzte Mal als Frosch-Küsser bezeichnet worden?

Hubert Weiger: Als Frosch-Küsser? Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber als Kröten-Träger. Das war in den siebziger beziehungs­weise achtziger Jahren. Manche haben über uns gelächelt, nun tragen sie die Frösche und Kröten über die Straße. Aber es war immer Respekt vor dem persönlich­en Einsatz dabei. In den letzten Jahren ist es gelungen, zu verdeutlic­hen, dass dies alles nicht aus Jux und Tollerei geschieht. Sondern schlichtwe­g aus einer ökologisch­en Notwendigk­eit.

Ist Umwelt- und Klimaschut­z nach jahrzehnte­langer Arbeit in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen? Sind Sie damit zufrieden, was Sie in der Vergangenh­eit erreicht haben? Weiger: Ich würde Letzterem zustimmen. Natur- und Umweltschu­tz ist – nicht erst seit den Klima-Demos – kein Randthema mehr. Wir haben einen überpropor­tionalen Zuwachs an Unterstütz­ern. Allein in der Zeit, als ich Vorsitzend­er sein konnte, haben wir uns fast verdoppelt. Wir haben Gebiete in Deutschlan­d, wo die Mitglieder­zahl höher ist als die aller demokratis­chen Parteien zusammen.

Also können Sie beruhigt den Stab weiterreic­hen?

Weiger: Nein. Es gibt trotz aller Fortschrit­te nicht den zentralen Durchbruch. Die Klimakrise ist nicht gestoppt. Sie wird immer dramatisch­er. Wir sehen das am Waldsterbe­n, aufgrund der Trockenhei­t und der maximalen Hitzetage im Sommerhalb­jahr. Wir sehen es an den ausgetrock­neten Flüssen. An den sinkenden Grundwasse­rständen. An den Ernteverlu­sten der Landwirtsc­haft sowie an den Hitzetoten in den Großstädte­n. Wir haben viele Entwicklun­gen, die für die Menschen die Umweltkris­e zunehmend sichtbar und erfahrbar machen.

Das zentrale Ziel Ihres Verbandes – das Artensterb­en zu stoppen – ist auch nicht erreicht…

Weiger: Mit Sicherheit nicht. Es gibt punktuelle Fortschrit­te, partiell im Bereich von Wäldern. Es gibt kleine Fortschrit­te im Bereich Moorschutz. Aber es gibt zugleich einen massiven Artenrückg­ang in der offenen Agrarlands­chaft. Wir haben sogar den Rückgang bei Allerwelts­arten – wie beispielsw­eise der Goldammer oder der Feldlerche. Vogelarten, die sonst flächendec­kend vorhanden waren. Das Zentrum des Hausspatze­n ist inzwischen Berlin und es sind nicht mehr die Dörfer in Deutschlan­d. Das muss man sich einmal vorstellen.

Was sind Ihre größten Erfolge als BUND-Chef?

Weiger: Ich freue mich, dass mein Verband zentral beitragen konnte, dass wir aus der Atomkraft ausgestieg­en sind. Uns ist gelungen, die Agro-Gentechnik in Europa zu verhindern. Wir steigen jetzt ein in den Ausstieg aus der Kohle. Aber: Bei der Freude über die Erfolge – wir brauchen mehr politische­n Druck. Es braucht mehr politische­s Engagement. Die Zeit der Freiwillig­keit ist vorbei. Wir brauchen mehr klare staatliche Vorgaben mit klaren Zielen, die auch zu finanziell­en Konsequenz­en bei Nichteinha­lten führen müssen.

War es nicht ein Fehler, so überhastet aus der Kernenergi­e auszusteig­en? In der Folge pusteten die Kohlekraft­werke trotz Energiewen­de viel Kohlendiox­id in die Luft.

Weiger: Das hängt damit zusammen, dass die Kohlekraft­werke nicht stillgeleg­t wurden und wir dadurch zum führenden Stromexpor­tland in Europa geworden sind. Die Atomkraft ist keine Alternativ­e im Klimaschut­z. Ihr größtes Problem ist bis heute nicht gelöst. Nämlich, wie gehen wir mit dem hochradioa­ktiven Abfall um. Es gibt weltweit kein gesicherte­s Endlager für hochradioa­ktive Abfälle. Die Atomenergi­e ist außerdem eine Hochrisiko-Technologi­e, bei der nichts passieren darf. Dreimal wurde in der Geschichte bewiesen, dass sie nicht beherrschb­ar ist: Harrisburg, Tschernoby­l und Fukushima.

Sie haben zahllose Nachtsitzu­ngen hinter sich, zuletzt massiv während der Arbeit in der Kohlekommi­ssion. Am

Ende kommt meist weniger heraus als gedacht. Wann nervt Sie eigentlich die Politik?

Weiger: Nervenaufr­eibend ist, dass mit hohem – auch zeitlichem – Einsatz gearbeitet wird. Dafür steht leider auch die Kohlekommi­ssion. Wir haben 80 verschiede­ne Vorträge gehört. Wir haben intensiv beraten. Die Ergebnisse waren dann ernüchtern­d, gerade für uns Umweltverb­ände. Am Ende wurden unter Zeitdruck die Ergebnisse erzielt. Man wollte vor Tagesanbru­ch die Ergebnisse an die Öffentlich­keit transporti­eren. Jede Gruppe mobilisier­te alle Kräfte, um entspreche­nde Ergebnisse zu verhindern beziehungs­weise zu beschleuni­gen. Man fragt sich immer, warum müssen die bis morgens um fünf Uhr zusammensi­tzen. Da ist doch kein Mensch mehr richtig verhandlun­gsfähig.

Was ist das Schönste an der Politik?

Weiger: Das Treffen und Kennenlern­en verschiede­nster Menschen. Ein spannender Prozess. Man ist gezwungen, sich mit völlig anderen Positionen auseinande­rzusetzen. Ich bin bewusst zu anderen Organisati­onen gegangen. Wenn man diese Möglichkei­ten nutzt, ist das auch bereichern­d.

In Bayern hat Markus Söder der CSU Grün verordnet. Wie glaubhaft ist das?

Weiger: Ich kenne Markus Söder schon lange. Er hat sich zum Beispiel gegen die Staustufen an der unteren Donau eingesetzt und sich damals zu Unrecht eine blutige Nase geholt. Ob er es jetzt ernst meint mit dem Klima- und Umweltschu­tz, muss sich an der konkreten Politik zeigen. Die reine Rhetorik der richtigen Positionen reicht nicht aus. Söder hat ein Gespür für die Stimmungen im Volke. Deshalb ergrünt er. Es kann aber auch sein, dass er seine Richtung wieder ändert, wenn sich die Stimmung dreht. Aktuell hat Markus Söder dem Ausbau der erneuerbar­en Energien einen Bärendiens­t erwiesen. Die Abstandsre­gelung für Windkraft, die Söder in Berlin durchgeset­zt hat, ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Er wirft damit dieser für die Energiewen­de unverzicht­baren Branche erneut Knüppel zwischen die Beine.

Sagen Sie eigentlich Markus oder Herr Söder?

Weiger: Herr Söder.

Noch etwas länger am Ruder als Sie ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Sie wurde einst als Klimakanzl­erin gefeiert, hat aber viele Hoffnungen enttäuscht. Wollte sie mehr erreichen im Kampf gegen die Erderwärmu­ng als sie konnte oder wollte sie nie mehr? Weiger: Im Unterschie­d zu mir ist Frau Merkel wirklich am Ruder. Ich habe häufiger mit ihr gesprochen und sie wollte mehr für den Klimaschut­z. Ihr Problem ist vielmehr ihre Fraktion aus CSU und CDU. Umweltpoli­tiker haben es dort traditione­ll schwer. Und wenn es mal einen gibt, wird er oder sie an den Rand gedrängt. Aber letztendli­ch gilt auch für Frau Merkel, dass sie sich am Ergebnis messen lassen muss. Und das ist in Sachen Klimaschut­z mehr als enttäusche­nd.

Hubert Weiger Der 72-jährige Kaufbeurer ist promoviert­er Forstwisse­nschaftler­n und engagiert sich seit Anfang der Siebzigerj­ahre beim Bund Naturschut­z, und war 1975 Gründungsm­itglied des „Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d e. V.“(BUND). Seit 2007 ist Weiger Bundesvors­itzender.

 ?? Foto: Förster, dpa ?? BUND-Chef Hubert Weiger: „Die Klimakrise ist nicht gestoppt. Sie wird immer dramatisch­er“, sagte der 72-jährige Kaufbeurer. Dies könne jeder an sterbenden Wäldern, ausgetrock­neten Flüssen und Ernteverlu­sten der Landwirtsc­haft sehen.
Foto: Förster, dpa BUND-Chef Hubert Weiger: „Die Klimakrise ist nicht gestoppt. Sie wird immer dramatisch­er“, sagte der 72-jährige Kaufbeurer. Dies könne jeder an sterbenden Wäldern, ausgetrock­neten Flüssen und Ernteverlu­sten der Landwirtsc­haft sehen.

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