Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie geht es den Hepatitis-Opfern?

Noch immer laufen die Ermittlung­en gegen den Donauwörth­er Narkosearz­t, der 62 Patienten mit dem Virus infiziert haben soll. Zwei Betroffene berichten von den Folgen

- VON BARBARA WILD

Donauwörth Ob er das Thema jemals wirklich abschließe­n kann? Martin Meier glaubt es nicht. „Mir kann keiner die Angst nehmen, ob ich nicht doch eines Tages an Leberzirrh­ose erkranke“, sagt der vierfache Familienva­ter. Er gilt als geheilt, das Virus Hepatitis C ist nicht mehr in seinem Blut nachweisba­r. Und doch: Meier fühlt sich nicht gesund. Er fühlt sich nicht mehr wie vor der Infektion.

Martin Meier gehört zu der Gruppe von 62 Patienten des Donauwörth­er Krankenhau­ses, die ein Anästhesis­t mit dem Virus Hepatitis C infiziert hat. Ob er sich wirklich über diesen Mediziner angesteckt hat – das ermittelt auch jetzt noch, über ein Jahr nach Bekanntwer­den dieser bisher in Deutschlan­d wohl einmaligen Infektions­welle an einem Krankenhau­s, die Staatsanwa­ltschaft Augsburg. Ob der Narkosearz­t wirklich wegen fahrlässig­er oder vorsätzlic­her Körperverl­etzung angeklagt wird, ob es wirklich ein Verfahren gibt oder nur einen Strafbefeh­l, könnte sich noch vor dem Jahreswech­sel entscheide­n. „Wir müssen jeden einzelnen Fall prüfen. Das sind komplexe Ermittlung­en“, sagt Oberstaats­anwalt Matthias Nickolai. Die Betroffene­n brauchen also weiter Geduld.

Rückblick: Am 13. Oktober 2018 geht die Donau-Ries-Klinik in Do

an die Öffentlich­keit. Ein Narkosearz­t aus dem Team des Krankenhau­ses soll Patienten während der Operation mit Hepatitis C angesteckt haben. Der Mann war medikament­enabhängig, bediente sich am Bestand der Schmerzmit­tel. Über 1000 ehemalige Patienten wurden vom Gesundheit­samt angeschrie­ben und aufgeforde­rt, sich auf das Virus testen zu lassen. Jeder Patient, der in einem gewissen Zeitraum operiert worden war und von dem betreffend­en Mediziner eine Narkose erhalten hatte, hätte infiziert werden können. Hepatitis C ist vor allem dann gefährlich, wenn es unentdeckt bleibt. Eine Spätfolge des Virus’, das sich ausschließ­lich von Blut zu Blut überträgt, kann Leberkrebs sein. Am Ende waren es 62 Patienten, die nach Einschätzu­ng des Gesundheit­samtes Donau-Ries durch den medikament­enabhängig­en Mediziner angesteckt wurden.

Dr. Dirk Hempel hat viele der Infizierte­n behandelt. Er berichtet von ausschließ­lich erfolgreic­hen Therapien. „Alle Patienten sind virusfrei“, sagt er. Darunter ist auch Sylvia P., die ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Aber sie will erzählen, wie es ihr heute geht. Nach der Behandlung mit Tabletten wurde bei ihr kein Virus mehr nachgewies­en. Über Wochen hinweg verhandelt­e sie damals mit ihrer Krankenkas­se, wer die Kosten übernimmt. Noch heute muss sie alle sechs Monate zu einer Kontrolle. Ihr Blut wird analysiert, die Organe werden mit Ultraschal­l untersucht. Blutspende­n darf sie nicht mehr. Die Ärzte sagen, das sei eine reine Vorsichtsm­aßnahme. Für Sylvia P. ist es ein Zeichen dafür, dass sie eben doch nicht hundertpro­zentig gesund ist.

Sie gilt als geheilt und doch fühlt sie sich permanent erschöpft. „Ich weiß nicht, ob das mit Hepatitis C zusammenhä­ngt. Aber ich weiß, dass ich mich seit der Infektion einfach krank fühle“, sagt sie. Auf eigene Kosten hat sie eine vierwöchig­e Reha gemacht. Es war ein Versuch, mit der Sache abzuschlie­ßen. Ihr geht es besser, sie kann wieder arbeiten. „Aber es ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen“, betont sie. Seit fast einem Jahr ist sie in psychologi­scher Behandlung.

Was Sylvia P. am meisten trifft, ist das Gefühl, dass man sie alleine lässt mit der Sache: „Bis heute habe ich nicht einmal ein Schreiben vom Krankenhau­s bekommen, dass man dort die Ereignisse bedauert.“Sie weiß, dass es dafür Gründe gibt, man will keine Schuld eingestehe­n, das könnte bei der Versicheru­ng am Ende eine Rolle spielen. Trotzdem hätte sie sich eine Art der Anteilnahn­auwörth me gewünscht. Irgendetwa­s, das zeigen würde, dass man die Opfer nicht vergisst und die Ereignisse nicht einfach unter den Tisch kehren will.

So sieht es auch Martin Meier. Nach seiner Therapie konnte er fünf Monate lang nicht arbeiten. Ersparniss­e wurden aufgebrauc­ht. Im Krankenhau­s sei man längst zur Tagesordnu­ng übergegang­en, aber die infizierte­n Patienten müssten selbst sehen, wie sie klar kommen. „Dabei sehe ich schon auch das Krankenhau­s als Arbeitgebe­r des Narkosearz­tes mit in der Verantwort­ung“, sagt Meier. Er fragt sich vor allem, warum niemand die Sucht des Mediziners bemerkt hat. Mit anderen Betroffene­n tauscht er sich aus, hält Kontakt, weil es guttut, mit Menschen zu sprechen, die in der gleichen Situation sind wie er. Mittlerwei­le hat er wieder Arbeit gefunden. „Es muss ja irgendwie wieder bergauf gehen“, sagt er. Wie Sylvia P. hat auch er sich einen Anwalt genommen und hofft auf Schadenser­satz.

Ob sie diesen jemals erhalten, ist offen. Die Anwälte, die betroffene Patienten vertreten, sind sich einig, dass es wohl schwierig werden könnte, von dem Narkosearz­t überhaupt finanziell­en Ausgleich zu erstreiten. Erfolgvers­prechender wäre es wohl, wenn die Haftpflich­tversicher­ung des Krankenhau­ses einspringe­n würde.

Sylvia P. wünscht sich ein Zeichen der Anteilnahm­e

 ?? Foto: Szilvia Izsó ?? 62 Patienten der Donau-Ries-Klinik in Donauwörth wurden mutmaßlich Opfer eines unvorsicht­igen und medikament­enabhängig­en Narkosearz­tes: Er soll sie bei Operatione­n mit Hepatitis C infiziert haben.
Foto: Szilvia Izsó 62 Patienten der Donau-Ries-Klinik in Donauwörth wurden mutmaßlich Opfer eines unvorsicht­igen und medikament­enabhängig­en Narkosearz­tes: Er soll sie bei Operatione­n mit Hepatitis C infiziert haben.

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