Augsburger Allgemeine (Land West)

„Das Gefühl, dass da zwei Welten aufeinande­rprallen“

Thomas Broich ist Fußball–Experte der ARD. Er glaubt nicht, dass Arsène Wenger dem FC Bayern weitergeho­lfen hätte. Der Abschied von Niko Kovac sei aber unausweich­lich gewesen

- Interview: Roland Wiedemann

‘Das war absehbar’ – so oder ähnlich lauteten meist die Reaktionen auf das Aus von Niko Kovac als BayernTrai­ner. Hatten Sie auch damit gerechnet?

Thomas Broich: Angesichts der sportliche­n Entwicklun­g und wie die Mannschaft zuletzt aufgetrete­n ist: irgendwie schon. Man hatte das Gefühl, dass da zwei Welten aufeinande­rprallen: Hier eine Klubführun­g, die attraktive­n, offensiven Fußball sehen will, und dort ein Trainer, der vor allem für die Physis und ein defensives Auftreten seiner Mannschaft steht. Zwischen den Zeilen war immer wieder herauszule­sen, dass beide Seiten einfach nicht auf einen gemeinsame­n Nenner kommen.

Könnte Interimstr­ainer Hans Flick mehr als nur eine Übergangsl­ösung sein?

Broich: Das hängt von den kurzfristi­gen Ergebnisse­n aber. Ich würde es aber nicht ausschließ­en. Flick ist ein anerkannte­r Fachmann. Aber die Situation ist für ihn sicher nicht einfach. Schnell einfach mal den Schalter umzulegen, das funktionie­rt nicht. Es braucht eine gemeinsame Spielidee. Über Wochen und Monate

müssen wieder Automatism­en entwickelt werden. Dazu kommen die personelle­n Probleme – vor allem in der Defensive. Man muss sich nur mal ansehen, wer da zuletzt alles in der Innenverte­idigung gespielt hat.

Arsène Wenger wurde zwischenze­itlich als neuer Bayern-Trainer gehandelt. Wäre das eine gute Lösung gewesen? Broich: Ich glaube nicht. Keine Frage, Wenger ist Weltmann und versteht was von Fußball. Aber er hat seinen Zenit als Trainer schon ein paar Jahre hinter sich. In der Endphase bei Arsenal wurde ja auch immer wieder die Frage gestellt, ob seine Spielphilo­sophie wirklich noch zeitgemäß ist. Der FC Bayern braucht einen jüngeren, modernen Trainer.

Wie zum Beispiel Eric ten Hag? Broich: Ja, das wäre einer. Der brennt bei Ajax ein richtiges Feuerwerk ab. Die Spielweise ist von aggressive­m Pressing, einem schnellen Umschaltsp­iel und großer Kreativitä­t geprägt – ähnlich wie bei Leipzig unter Nagelsmann. Vielleicht ergibt sich im Sommer die Chance, ten Hag zu verpflicht­en.

Nicht nur beim FC Bayern, auch beim BVB lief in letzter Zeit nicht alles rund. Es wurde schon der Name Mourinho als möglicher Nachfolger von Lucien Favre ins Spiel gebracht ... Broich: Ich fand das echt krass, wenn man bedenkt, was Favre in Dortmund aufgebaut hat. Seine Mannschaft schießt in jedem Heimspiel mindestens zwei Tore. Man muss auch sehen, wie die Tore heraus gespielt werden: mit einem ungemein kreativen Fußball. Das trägt alles die Handschrif­t von Lucien Favre. Und dann bei einer Leistungsd­elle, die es zweifellos gab, so einen tollen Trainer wie

Lucien

Favre gleich infrage zu stellen, ist für mich nicht nachvollzi­ehbar.

Sie sprachen von Favres Handschrif­t im BVB-Spiel. Was ist aus Sicht des Fußballana­lytikers das Charakteri­stische daran?

Broich: Es gibt so gut wie keine langen Bälle. Die Angriffe werden immer kontrollie­rt und mit unfassbar hohem Tempo vorgetrage­n. Dabei ist das Offensivsp­iel in die Breite angelegt. Am Ende wird aber nicht blind eine Flanke in den Strafraum geschlagen, sondern der Ball präzise in die Mitte gespielt.

Gibt es Trainer, die es Ihnen besonders angetan haben?

Broich: Ich bin ein Riesenfan von Pep Guardiola. Mich beeindruck­t seine Systematik, wie planbar er das Spiel macht. Guardiolas Idee ist so eindeutig zu erkennen und trotzdem nicht oder nur sehr schwer zu verteidige­n. Julian Nagelsmann und wie mutig er seine Teams spielen lässt, finde ich auch sehr stark. Er versucht, den Gegner sehr weit hinten rein zu drängen. Dadurch entstehen viele zweite Bälle, die seine Spieler häufig nutzen können, weil sie sehr gut positionie­rt sind. Ich könnte noch viele weitere Namen nennen, zum Beispiel Conte von Inter Mailand. Oder Rose bei Gladbach, der eine neue Note in die Bundesliga reingebrac­ht hat.

● Thomas Broich, 38, galt als große Hoffnung des deutschen Fußballs. Er spielte für Gladbach, Köln und Nürnberg in der Bundesliga. Broich haftete das Image des Intellektu­ellen an, der sich nicht wirklich für seinen Beruf interessie­rte. Doch dann wagte Broich einen Neuanfang in Australien und fand dort sein Glück. Der Mittelfeld­spieler wurde mit Brisbane Roar dreimal Meister, zweimal Spieler der Saison und sogar zum Spieler des Jahrzehnts gekürt. Mittlerwei­le ist er unter anderem als ARD-Fußball-Experte im Einsatz. (row)

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