Augsburger Allgemeine (Land West)

„Schriftste­ller sind alle Aufschneid­er!“

Raoul Schrott kommt mit dem Kanonier und Weltumsegl­er Hannes nach Augsburg und beschert seinem Publikum in der Buchhandlu­ng Pustet einen vergnüglic­hen Abend

- VON ANGELA BACHMAIR

Am liebsten wäre es dem Tiroler Schriftste­ller Raoul Schrott gewesen, wenn der Hanser-Verlag in seinem löblichen Bemühen, ein besonderes, an alten Vorlagen orientiert­es Buch zu produziere­n, noch einen Schritt weiter gegangen wäre und die jetzt im Grobschnit­t hergestell­ten Seiten gar nicht aufgeschni­tten hätte, so wie es bis ins 19. Jahrhunder­t üblich war. Dann hätte der Leser das Vergnügen gehabt, selber die Seiten aufzuschne­iden. Das wäre eine Hommage an die Schriftste­ller gewesen, denn die, so Schrott, „sind ja alle Aufschneid­er“.

So weit wollte der Verlag allerdings nicht gehen, aber Schrotts neues Buch „Eine Geschichte des Windes oder von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann noch ein zweites und ein drittes Mal“ist auch so ein schön auf alt gemachtes Buch geworden – vom überlangen Titel (wie es bei frühneuzei­tlichen Reiseberic­hten gängig war) über das feine Papier, den Flattersat­z des Textes ohne Seitenzahl­en, aber mit nummeriert­en 125 kurzen Kapiteln bis zur exzellent abgebildet­en Weltkarte aus dem 16. Jahrhunder­t.

Das passt wunderbar zum Thema und zu Schrotts ebenfalls „auf alt gemachter“, barockisie­render Sprache. Da spiegelt einer vor, er sei selber dabei gewesen, als dieser Hannes aus Aachen um 1500 das Kanonengie­ßen lernte, sich mit zwei Kumpels aufmachte nach Spanien zum jungen Kaiser Karl (dem fünften) und dann mit dem portugiesi­schen Seefahrer Ferdinand Magellan im Herbst 1519 aufbricht zur ersten Weltumsegl­ung.

In zwei Kapiteln trägt Raoul Schrott seinen Zuhörern bei Bücher Pustet mit sympathisc­hem Tiroler Zungenschl­ag vor, wie sich das anhört – temperamen­tvoll, saftig, vital, in ausufernde­r Fabulierku­nst. Mit dieser Sprachmach­t hat er sich ja auch schon herangewag­t an eine Neufassung von Homers „Ilias“, an zahlreiche Romane und Gedichte.

Schrott ist freilich gescheit genug, keinen Historienf­ilm aus der Geschichte dieses Hannes zu machen, sondern thematisie­rt mit Einschüben immer wieder, wie er, ein Autor im 21. Jahrhunder­t, sich mit dieser Seefahrt befasst.

Und das erzählt er dann launig und faktenreic­h auch seinen Zuhörern, die mit Spannung und Vergnügen

zuhören. Dass diese erste belegte Weltumsegl­ung genau vor 500 Jahren begann, ist als Anlass für das Buch verständli­ch und übliches Verlags- und Autorenkal­kül. Eigentlich

wollte Magellan zu den Gewürzinse­ln (heute Indonesien), Zimt, Muskat oder Nelken bunkern und wieder zurück, aber der Wind wehte anders und zwang ihn, rund um die Welt zu segeln. Dass dabei dieser kleine Kanonier Hannes und nicht der große Generalkap­itän die Hauptrolle spielt, zeigt, dass Schrott erstens seinen Stefan Zweig gelesen hat (so wie der in seiner MagellanBi­ografie einen strahlende­n Helden zeichnete, wollte er’s nicht machen) und zweitens seinen Brecht („Wer baute das siebentori­ge Theben ...“): Die kleinen Leute stellt er in den Mittelpunk­t, macht aus dem Kanonier einen Simpliciss­imus oder Till Eulenspieg­el.

Wortreich und gut gelaunt plaudert Raoul Schrott über das „making of“seines Buches, über die aufwändige Recherche der Fakten mit Quellenstu­dium („Alles ist wahr!“) und seine Erfindunge­n dessen, was die Quellen nicht hergeben, was den Figuren aber Leben und der Natur Farbe gibt. Und er bekennt, was das Fabulieren für ein Fest war: „Das Schreiben hat solchen Spaß gemacht!“Das Zuhören auch.

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Der Schriftste­ller Raoul Schrott las in der Buchhandlu­ng Pustet aus seinem Roman „Eine Geschichte des Windes“.
Foto: Wolfgang Diekamp Der Schriftste­ller Raoul Schrott las in der Buchhandlu­ng Pustet aus seinem Roman „Eine Geschichte des Windes“.

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