Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Mauerfall veränderte sein Leben
Wolfgang Nekola erlebte den 9. November 1989 in seiner Heimatstadt Chemnitz. Seit knapp 30 Jahren wohnt er in der Region und arbeitet in Diedorf. Er erinnert sich an die erlebnisreichen Wochen in der DDR
Stadtbergen Wolfgang Nekola kann sich noch gut an den 9. November 1989 erinnern. Es war ein Donnerstag. Zum Frühstück gönnten sich seine erste Frau Renate und er ein Glas Sekt, bevor es in die Arbeit ging. Sie feierten genau an diesem Tag ihren zehnten Hochzeitstag. Dass sie am Abend noch einen ganz anderen Grund zum Feiern haben sollten, konnten sie am Frühstückstisch noch nicht erahnen. Bewegte Zeiten waren diesem 9. November vorausgegangen.
Der damals knapp 32-jährige Chemnitzer hatte sich an einigen Montagsdemos beteiligt. Was in der Nikolaikirche in Leipzig in diesem Herbst begann, schwappte schon bald auf andere Städte in der ehemaligen DDR über. Die erste offene Konfrontation erlebte der heutige Stadtberger als Zuschauer am 7. Oktober 1989 – am 40. Jahrestag der damaligen DDR. Damals wurden Demonstranten in der Chemnitzer
150000 Demonstranten vor dem Karl-Marx-Monument
Innenstadt von der Polizei auseinandergetrieben. Aber die Menschen ließen sich davon nicht entmutigen. Schon bald gingen sie wieder auf die Straße und Wolfgang Nekola ging mit ihnen mit.
Auch heute, drei Jahrzehnte später, sind ihm viele Details noch sehr präsent. Die Sprechchöre etwa, die die DDR-Bürger bei ihrer friedlichen Revolution gerufen haben. „Reiht euch ein, schließt euch an, reiht euch ein“, hätten sie gerufen, genauso wie die bekannte Parole „Wir sind das Volk“. Zunächst habe er Angst gehabt. „Im Hinterkopf hatte ich immer meine Familie, meine Frau und meine drei Kinder. Wir wussten nicht, ob es zu gewalttätigen Aktionen des Staates kommt.“Doch dazu kam es nicht. Im Gegenteil.
Wolfgang Nekola konnte in diesen Wochen verfolgen, wie das „System der DDR wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel“. Ende Oktober war er dabei, als Schriftsteller Stefan Heym, der in diesem Herbst auf mehreren Montagsdemonstrationen in Ost-Berlin auftrat, auch in der Lutherkirche seiner Heimatstadt Chemnitz, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, sprach. Am Montag, 6. November 1989, fand schließlich die größte Demo in Chemnitz statt: Rund 150000 Teilnehmer kamen vor dem Karl-MarxMonument zusammen. „Chemnitz hatte damals 315000 Einwohner“, betont er. Dieser Demonstration hätten sich alle angeschlossen, so der 61-Jährige: „Jung und Alt waren da, genauso wie alle sozialen Schichten. Dort gingen Arbeiter neben besser betuchten Menschen. Die Aufbruchsstimmung hat alle vereint. Sie wollten das Land verändern.“Nekola war begeistert, aufgeregt und aufgewühlt zugleich. Mit dem Missverhältnis zwischen DDR-Staat und der gesellschaftlichen Realität musste er Tag für Tag leben. „Durch meine Erziehung, Elternhaus, Kirche und Informationen durch viele Kontakte in die Bundesrepublik wusste ich, in welchem undemokratisch wirklichkeitsfremden System ich lebte.“
Auch heute noch bekommt Wolfgang Nekola bei den Erzählungen eine Gänsehaut. Der Mauerfall war für ihn am 9. November 1989 ein emotionales Erlebnis und ist es auch heute noch. Vor 30 Jahren erlebte er die Geschehnisse wie viele andere im Osten und Westen auch am Fernseher. „Die Bilder, wie in dieser Nacht an den Grenzübergängen die Schlagbäume geöffnet wurden, sind unvergessen.“
Für den Elektromeister, der im Bereich Gebäudetechnik eines staatlichen Betriebes arbeitete, änderte sich nach der Grenzöffnung alles. Seine Frau Renate besorgte sich am 10. November 1989 sofort einen Ausreisestempel für eine Reise in die BRD und besuchte noch an diesem Wochenende ihre Schwester, die bei München lebt.
Zwei Wochen später fuhr die ganze Familie mit ihrem Trabant dorthin. „Auf der einen Seite war es interessant, weil es auch nur eine ganz normale Welt war. Die Wiesen und Bäume waren genauso grün wie im Osten“, erzählt er. Aber natürlich fielen bei der ersten Fahrt in den Westen auch die Unterschiede auf: der Luxus, das Warenangebot, die Sauberkeit. 1990 ging es für Wolfgang Nekola der Arbeit wegen zunächst nach München. Eine Beschäftigung
„Es gibt noch immer viele Unterschiede“
in dem staatlichen Betrieb in Chemnitz war nicht mehr möglich gewesen – er wurde aufgelöst. Ein Versuch, in der Selbstständigkeit Fuß zu fassen, hatte Nekola kein Glück gebracht. Vor über 27 Jahren wechselte er schließlich zum Baustoffhändler Weber nach Diedorf und zog in die Region. Mit seiBürger ner zweiten Frau Anja ist er nun seit 20 Jahren zusammen. Viel Zeit verbringen sie mit ihrer Patchwork-Familie – allein zwei seiner drei Kinder wohnen in Leitershofen. Einmal im Jahr fährt er zum Familientreffen nach Chemnitz. Seine Heimat ist aber mittlerweile hier.
Rückblickend weiß er, dass sich die „blühenden Landschaften“, die 1990 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den neuen Bundesländern prognostizierte, nicht eingestellt haben. „Es gibt immer noch viele Unterschiede.“Er würde sich wünschen, dass sich die Menschen mehr begegneten und die Bundesbürger aus dem Westen in den Osten reisen würden. „Dann würden sie sehen, was daraus geworden ist. Es ist kein Land 2. Klasse.“