Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Mauerfall machte diese Liebe möglich
Heute vor dreißig Jahren fiel die innerdeutsche Grenze. Mandy Melzer zögerte damals keinen Augenblick und machte sich auf dem Weg zu ihrem heutigen Mann in den Westen. Der Beginn einer Ost-West-Liebesgeschichte
Zusmarshausen Auf diesen Moment hatte Mandy Melzer sehnsüchtig gewartet. Vor genau 30 Jahren erfährt sie aus dem Fernsehen vom Fall der Mauer. Sie lässt alles stehen und liegen, ihr altes Leben hinter sich. Alles für ihre große Liebe aus dem Westen. „Ich habe sofort in der Arbeit angerufen und gekündigt“, erinnert sie sich. Zusammen mit zwei Kollegen und einem Trabbi ging es in den Westen. Der Beginn eines neuen Lebens.
„Überall war große Aufbruchstimmung“, sagt Melzer. „Wir sind einfach losgefahren, ohne zu wissen, wo es langgeht.“Ein Ziel aber hatten die drei Ostdeutschen: Mandy Melzers große Liebe im Westen. Nach kilometerlangem Stau auf der Autobahn kam das Grenzschild „Freistaat Bayern“. Sie konnten ihren Augen kaum trauen, sagt Mandy Melzer. Irgendwann, spätabends, war sie bei ihrem heutigen Mann Wilfried Melzer in Rehling angekommen. Heute leben die beiden im Zusmarshauser Ortsteil Gabelbachergreut. Eine Liebesgeschichte, die nach Hochzeit, drei erwachsenen Kindern, einem Haus in Gabelbachergreut und unzähligen Erlebnissen noch nicht auserzählt ist.
Begonnen hat sie im Interhotel Elephant in Weimar, zwei Jahre vor dem Mauerfall. Wilfried Melzer war beruflich in Hessen unterwegs. „Danach wollte ich mir ein paar Tage lang den Osten ansehen,“erinnert er sich. Weimar, Leipzig, OstBerlin. Nach langen Grenzkontrollen im Hotel Elephant angekommen, bestellte er sich an der Bar einen Tee. Der Moment, in dem er seiner heutigen Ehefrau zum ersten Mal begegnete. „Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick“, sagt
Die Stasi überwachte die beiden Verliebten ganz genau
Mandy Melzer. Der 28 Jahre ältere Mann aus dem Westen mit lockigen Haaren und schickem Ford hatte es ihr angetan. „Wir haben den ganzen Abend geratscht“, erinnern sich die beiden.
Am nächsten Tag reiste Wilfried Melzer weiter nach Leipzig. Doch: „Mandy ging mir nicht mehr aus dem Kopf“, sagt er. Einen Tag später saß er also wieder an der Bar im Weimarer Hotel. Am Ende verabredeten sich die beiden für einen gemeinsamen Ausflug nach Dresden. Sie wolle ihm die Stadt zeigen, erklärte die 19-jährige Mandy Melzer damals dem Mann aus dem Westen.
„Dabei kannte ich Dresden gar nicht.“
Immer wieder trafen sich die beiden zu Ausflügen in der DDR. Etwa einmal im Monat fuhr Wilfried Melzer in den Osten. Beinahe täglich schrieben sie sich Liebesbriefe. Nachdem sie sich zunächst nur in
Hotels treffen konnten, durfte Wilfried Melzer nach einigen Monaten auch die Familie seiner Freundin besuchen – nach schriftlichem Antrag und Genehmigung. Die Stasi wachte mit scharfem Blick über die junge Liebe.
Einmal, erinnert sich Mandy Melzer, habe sie mit ihrem Freund aus dem Westen stundenlang telefoniert. Plötzlich ertönte eine erboste Stimme: „Jetzt reicht’s“, hallte aus dem Telefon. Aufgelegt. Offenbar wurden die beiden abgehört, die Stasi beendete die Turtelei. „Das war damals normal, wir wussten, dass wir überwacht werden“, sagt Mandy Melzer. Auch in dem Hotel, in dem sie damals arbeitete, seien die Gäste heimlich abgehört und gefilmt worden. Zuschulden kommen ließen sich die beiden aber offenbar nichts. Nach der Wende forderten die Melzers ihre Stasi-Akte an: kein Eintrag.
Einfach rübermachen kam für die damals 19-Jährige nie infrage. Auch nicht 1989 im Bulgarien-Urlaub, als etliche Ostdeutsche die neue Reisefreiheit zur Flucht nutzten. „Ich wollte, dass alles seine Ordnung hat“, sagt Mandy Melzer. Auch der Familie wegen. Ein Problem mit der Beziehung zu einem Wessi habe die nie gehabt, sagt Mandy Melzer. Auch, wenn sie für ihre große Liebe aus dem Westen das Leben in der DDR aufgab. Ein Jahr nach dem Mauerfall heirateten die beiden. Standesamtlich im Westen, kirchlich im Osten. 1991 kam das erste, 1992 das zweite Kind. „Es ging dann alles ganz schnell“, sagt Mandy Melzer. Sie kümmerte sich um die Familie, ihr Mann arbeitete bei einem großen Verlag. Seitdem Wilfried Melzer im Ruhestand ist, arbeitet seine Frau bei Spiel&Freizeit in Gersthofen.
Am heutigen Tag des Mauerfalls wollen die beiden auf ihre OstWest-Liebesgeschichte anstoßen. Für sie ist es der Jahrestag ihres gemeinsamen Lebens.