Augsburger Allgemeine (Land West)

Der Mauerfall machte diese Liebe möglich

Heute vor dreißig Jahren fiel die innerdeuts­che Grenze. Mandy Melzer zögerte damals keinen Augenblick und machte sich auf dem Weg zu ihrem heutigen Mann in den Westen. Der Beginn einer Ost-West-Liebesgesc­hichte

- VON PHILIPP KINNE

Zusmarshau­sen Auf diesen Moment hatte Mandy Melzer sehnsüchti­g gewartet. Vor genau 30 Jahren erfährt sie aus dem Fernsehen vom Fall der Mauer. Sie lässt alles stehen und liegen, ihr altes Leben hinter sich. Alles für ihre große Liebe aus dem Westen. „Ich habe sofort in der Arbeit angerufen und gekündigt“, erinnert sie sich. Zusammen mit zwei Kollegen und einem Trabbi ging es in den Westen. Der Beginn eines neuen Lebens.

„Überall war große Aufbruchst­immung“, sagt Melzer. „Wir sind einfach losgefahre­n, ohne zu wissen, wo es langgeht.“Ein Ziel aber hatten die drei Ostdeutsch­en: Mandy Melzers große Liebe im Westen. Nach kilometerl­angem Stau auf der Autobahn kam das Grenzschil­d „Freistaat Bayern“. Sie konnten ihren Augen kaum trauen, sagt Mandy Melzer. Irgendwann, spätabends, war sie bei ihrem heutigen Mann Wilfried Melzer in Rehling angekommen. Heute leben die beiden im Zusmarshau­ser Ortsteil Gabelbache­rgreut. Eine Liebesgesc­hichte, die nach Hochzeit, drei erwachsene­n Kindern, einem Haus in Gabelbache­rgreut und unzähligen Erlebnisse­n noch nicht auserzählt ist.

Begonnen hat sie im Interhotel Elephant in Weimar, zwei Jahre vor dem Mauerfall. Wilfried Melzer war beruflich in Hessen unterwegs. „Danach wollte ich mir ein paar Tage lang den Osten ansehen,“erinnert er sich. Weimar, Leipzig, OstBerlin. Nach langen Grenzkontr­ollen im Hotel Elephant angekommen, bestellte er sich an der Bar einen Tee. Der Moment, in dem er seiner heutigen Ehefrau zum ersten Mal begegnete. „Es war wirklich Liebe auf den ersten Blick“, sagt

Die Stasi überwachte die beiden Verliebten ganz genau

Mandy Melzer. Der 28 Jahre ältere Mann aus dem Westen mit lockigen Haaren und schickem Ford hatte es ihr angetan. „Wir haben den ganzen Abend geratscht“, erinnern sich die beiden.

Am nächsten Tag reiste Wilfried Melzer weiter nach Leipzig. Doch: „Mandy ging mir nicht mehr aus dem Kopf“, sagt er. Einen Tag später saß er also wieder an der Bar im Weimarer Hotel. Am Ende verabredet­en sich die beiden für einen gemeinsame­n Ausflug nach Dresden. Sie wolle ihm die Stadt zeigen, erklärte die 19-jährige Mandy Melzer damals dem Mann aus dem Westen.

„Dabei kannte ich Dresden gar nicht.“

Immer wieder trafen sich die beiden zu Ausflügen in der DDR. Etwa einmal im Monat fuhr Wilfried Melzer in den Osten. Beinahe täglich schrieben sie sich Liebesbrie­fe. Nachdem sie sich zunächst nur in

Hotels treffen konnten, durfte Wilfried Melzer nach einigen Monaten auch die Familie seiner Freundin besuchen – nach schriftlic­hem Antrag und Genehmigun­g. Die Stasi wachte mit scharfem Blick über die junge Liebe.

Einmal, erinnert sich Mandy Melzer, habe sie mit ihrem Freund aus dem Westen stundenlan­g telefonier­t. Plötzlich ertönte eine erboste Stimme: „Jetzt reicht’s“, hallte aus dem Telefon. Aufgelegt. Offenbar wurden die beiden abgehört, die Stasi beendete die Turtelei. „Das war damals normal, wir wussten, dass wir überwacht werden“, sagt Mandy Melzer. Auch in dem Hotel, in dem sie damals arbeitete, seien die Gäste heimlich abgehört und gefilmt worden. Zuschulden kommen ließen sich die beiden aber offenbar nichts. Nach der Wende forderten die Melzers ihre Stasi-Akte an: kein Eintrag.

Einfach rübermache­n kam für die damals 19-Jährige nie infrage. Auch nicht 1989 im Bulgarien-Urlaub, als etliche Ostdeutsch­e die neue Reisefreih­eit zur Flucht nutzten. „Ich wollte, dass alles seine Ordnung hat“, sagt Mandy Melzer. Auch der Familie wegen. Ein Problem mit der Beziehung zu einem Wessi habe die nie gehabt, sagt Mandy Melzer. Auch, wenn sie für ihre große Liebe aus dem Westen das Leben in der DDR aufgab. Ein Jahr nach dem Mauerfall heirateten die beiden. Standesamt­lich im Westen, kirchlich im Osten. 1991 kam das erste, 1992 das zweite Kind. „Es ging dann alles ganz schnell“, sagt Mandy Melzer. Sie kümmerte sich um die Familie, ihr Mann arbeitete bei einem großen Verlag. Seitdem Wilfried Melzer im Ruhestand ist, arbeitet seine Frau bei Spiel&Freizeit in Gersthofen.

Am heutigen Tag des Mauerfalls wollen die beiden auf ihre OstWest-Liebesgesc­hichte anstoßen. Für sie ist es der Jahrestag ihres gemeinsame­n Lebens.

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Foto: Marcus Merk Am Tag des Mauerfalls vor genau 30 Jahren machte sich Mandy Melzer auf dem Weg zu ihrem Mann nach Bayern. Sie blieb. Heute leben die Eltern dreier erwachsene­r Kinder im Zusmarshau­ser Ortsteil Gabelbache­rgreut.
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Repro: Marcus Merk Ein Jahr nach dem Mauerfall heirateten die Melzers: Standesamt­lich im Westen, kirchlich im Osten.

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