Augsburger Allgemeine (Land West)
Besondere Erinnerung an den Mauerfall
Heinz Liebert widersetzte sich einer Anweisung und sicherte so seinem Arbeitgeber ein Vermögen
Meitingen/Weimar Der Fall der Mauer vor 30 Jahren: So mancher weiß noch, was ihm durch den Kopf ging, als er diese Nachricht zum ersten Mal hörte. Bei Heinz Liebert waren es diese zwei Worte: „Die Aktien!“
Liebert saß daheim in Langenreichen im Arbeitszimmer über einer Rede zum Volkstrauertag, die er als damaliger Zweiter Bürgermeister von Meitingen halten sollte, als ihn seine Frau mit der Nachricht von der Öffnung der Mauer überraschte. Dass der CSU-Kommunalpolitiker sofort an Aktien dachte, hatte mit seinem Beruf zu tun.
Als „junger Hupfer“, wie er erzählt, hatte sich Liebert in der Finanzverwaltung des Bezirks einen Akt des Ungehorsams geleistet. Mitte der 1970er-Jahre bekam er die Anweisung, einen Karton, der mit rund 1900 alten Aktien gefüllt war, wegzuwerfen. Die Wertpapiere aus den 1930er-Jahren seien wertlos, befand damals Lieberts Vorgesetzter. Grund: Das Unternehmen, eine thüringische Wohnungsbaugesellschaft, befand sich in der damaligen DDR.
Im real existierenden Sozialismus sei mit Aktien nichts zu holen, sagte Lieberts Chef: Also weg mit dem Plunder.
Doch der junge Inspektor, der auch bei der Jungen Union tätig war, sperrte das Aktien lieber in einen Kassenschrank. Der Grund: „Ich wollte nicht glauben, dass sich so ein Regime auf Dauer hält, dass sich die Deutschen auf ewig würden einsperren lassen.“Für den Schwaben Liebert kam es nicht infrage, die Firmenanteile wegzuwerfen, und so rettete er einen Stapel Altpapier. Danach passierte erst einmal lange nichts.
Erst mit dem Fall der Mauer wurden die Unternehmensanteile wieder interessant für den Bezirk, dessen Finanzchef Liebert damals schon war. Es handelte sich um Stamm-Aktien der HandwerksbauAktiengesellschaft in Weimar. In den 1930er-Jahren war sie zusammen mit weiteren Gesellschaften gegründet worden, um Handwerksfirmen in der Wirtschaftskrise Aufträge zu sichern. Zu den Anteilseignern gehörte der Bezirksverband Schwaben, dessen Rechtsnachfolger der Bezirk ist. So kamen die Wertpapiere in einem Karton in die Hände der
Finanzverwaltung des Bezirks. Bis dieser sich nach dem Mauerfall an seinen Anteilen freuen konnte, vergingen freilich noch einige Jahre. 2005 entschied ein Gericht, dass 800 von 1900 Anteilsscheinen – insgesamt waren 10000 ausgegeben worden – gültig sind. Damit wurden die
Schwaben Miteigentümer von mehr als 1000 Wohnungen und etwa 20 Gewerbeeinheiten in elf thüringischen Städten. Heinz Liebert saß im Aufsichtsrat des Unternehmens. Dabei wollte der Kämmerer die Firmenanteile zu Beginn des Jahrtausends eigentlich versilbern. Die Arbeitslosigkeit war damals hoch, der Finanzbedarf des unter anderem für Soziales zuständigen Bezirks hoch.
Doch letztendlich kam nie ein Verkauf zustande. Nach wie vor sind die Schwaben am thüringischen Wohnungsmarkt beteiligt. Dort hat sich die Handwerksbau-Aktiengesellschaft gut behauptet, wie sie stolz vermeldet: „Als solides Wohnungsunternehmen haben wir seit 1990 über 35 Millionen Euro zur Bestandssanierung eingesetzt, haben neu gebaut und zwei weitere attraktive Gebäude erworben. Unsere Häuser sind heute umfassend saniert und bieten modernen Wohnansprüchen Rechnung.“
Kurz: Alles andere als ein Fall fürs Altpapier.