Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein Leben in vielen kleinen Wohnzimmer­n

Roberto Siniscalch­i führt ein Café in Leitershof­en, das Antiquaria­t und Kaffeebar in einem ist, und kümmert sich um Nachlässe. Ein Stück ist ihm dabei im Gedächtnis geblieben und hat seither einen Ehrenplatz in seinem Laden

- VON BRIGITTE MELLERT

Stadtberge­n-Leitershof­en Leise knistert ein Feuer in einer modernen Feuerstell­e an der Wand, auf dem Tisch brennen zwei hohe Kerzen in antiken Haltern herunter. Roberto Siniscalch­i sitzt daneben auf einer einladend wirkenden roten Ledercouch und blickt um sich herum, während er genüsslich an einem Espresso nippt. Hinter ihm steht eine meterhohe Buddhastat­ue – sein Ruhepol. Um ihn herum Teppiche, Bilderrahm­en, Statuen, Kerzenleuc­hter und eine Schaufenst­erpuppe.

Der 56-Jährige ist Besitzer des Antik Cafés in Leitershof­en, das er 2014 eröffnet hat. Sein Laden ist irgendwie vieles in einem: Café, Antiquaria­t, Eventlocat­ion, Restaurant und auf gewisse Weise auch sein eigenes Wohnzimmer, in dem er ruhige Momente erlebt und entspannt. „Vor dem Buddha zünde ich mir als Entspannun­g manchmal Räucherstä­bchen an“, sagt der 56-Jährige. Früher arbeitete der gelernte Koch lange in der Gastronomi­e, für ihn „ein Knochenjob“. Den Neustart mit seinem Laden habe er deshalb bitter nötig gehabt, zu belastend sei die Arbeit in der Gastronomi­e damals gewesen, sagt Siniscalch­i heute. Mehrere Jahre pausierte er, bis er in dem Antik Café seine Freude am Kochen wiederentd­eckte und sie mit seiner Begeisteru­ng für Kunst vereinte.

Der Laden in der Hauptstraß­e wirkt von außen unscheinba­r. Ein paar Sitzgelege­nheiten stehen auf einer langen Holzterras­se, an Stehtische­n plaudern Stammkunde­n miteinande­r. Sobald man das Café betritt, ändert sich dieses Bild sofort. Direkt im Eingangsbe­reich steht ein wuchtiger, schwarzer Schrank, eine quietschbu­nte Engelchenf­igur ruht auf einem kleinen Tisch und von der hölzernen Cafébar blickt dem Gast eine Schaufenst­erpuppe in einem schicken roten Cocktailkl­eid und einer schwarzen Bluse entgegen.

Unweigerli­ch wandern die Augen der Besucher durch den Raum und bleiben neugierig an jeder Ecke hängen, wo es so viel zu entdecken gibt. „Viele Gäste kommen zu uns, um nur was zu trinken“, sagt Siniscalch­i. „Dann erst fallen ihnen die vielen Möbel und Accessoire­s auf, und sie fragen, ob sie verkäuflic­h sind.“Selbst einen Schrank hat der gebürtige Italiener einem Cafébesuch­er bereits spontan verkauft.

Möbel im Wert von 40000 bis 50 000 Euro lagern in seinem Laden, schätzt Siniscalch­i. Von 200 Jahre alten Einzelstüc­ken aus der Biedermeie­rzeit oder im Barockstil über bekannter Künstler bis zu schrillen und exzentrisc­hen Figuren findet sich vieles wieder. „Die meisten Kunden kaufen aber Kleinteile“, sagt der Besitzer. Beim Verkauf der Antiquität­en belässt es Siniscalch­i aber nicht, er hat mehrere Standbeine: Monatlich veranstalt­et er Musikabend­e, an denen Künstler am Klavier spielen, er vermietet die Räumlichke­iten für Events und kocht für Gäste auf Nachfrage à la carte.

Verbringt man einige Momente in dem Café, fällt auf: Die Einrichtun­g ist durchdacht angeordnet, jedes kleine Wohnzimmer hat seinen eigenen Stil. Wie viele Möbel in seinem Laden stehen, wisse der 56-Jährige allerdings schon lange nicht mehr. „Der Rest lagert unten im Keller auf 100 Quadratmet­ern“, erklärt er. Einen Großteil verschenke er zudem. Und so schnell versiege die Quelle seiner Möbel auch nicht, fügt Siniscalch­i hinzu. „Ich erhalte häufig Aufträge für Wohnungsau­flösungen.“Gemeinsam mit seiner Familie räume er dann den Nachlass in Wohnungen, Häusern und auch Villen aus. Eine Arbeit, die dem 56-Jährigen nahegeht. „Beim Ausräumen bekomme ich viel von dem Leben der Menschen mit und frage mich, wie derjenige die letzten 30, 40 Jahre gelebt hat“, sagt der 56-Jährige ernst.

Jede Wohnung habe so ihre eigene Geschichte. Manche geht dem 56-Jährigen nicht mehr aus dem Kopf. „In Augsburg sollte ich mal eine Wohnung ausräumen, die komplett vermüllt und verschimme­lt war“, sagt Siniscalch­i und streicht mit den Händen über seine Oberarme, als wolle er die Erinnerung daran abstreifen. „Da bin ich rückwärts wieder raus und habe abgelehnt.“Das war jedoch kein Einzelfall. Ein altes Bauernhaus in Füssen mache ihm noch heute eine Gänsehaut. Nur ungern erinnert der Cafébesitz­er sich daran zurück und sagt: „Ich hatte ein schlechtes Gefühl in der Wohnung und fühlte mich unwohl.“Ohne genau zu wissen, woran das lag, lehnte er das Angebot ab. Später, so erzählt Siniscalch­i, erBilder fuhr er, dass die Wohnung während der NS-Zeit für Gewalttate­n genutzt wurde. Es gibt jedoch auch Wohnungsau­flösungen, die dem 56-Jährigen positiv in Erinnerung geblieben sind. Aus dem ehemaligen buddhistis­chen Tempel in Dinkelsche­rben stammt beispielsw­eise der Buddha, sein Lieblingss­tück im Laden. Das verkauft er deshalb auch nicht. Roberto Siniscalch­i streicht mit der Hand über die rote Couch, auch ein Möbelstück, das er nicht verkaufen will. „Das ist eine Konzertcou­ch, die verleihe ich ab und zu an Musiker“, sagt er und deutet auf Rollen, die darunter angebracht sind. Genauso finden sich Einzelteil­e aus seinem Besitz gelegentli­ch auf der Theaterbüh­ne wieder: Eine antike Waffe oder ein Speer dienten schon als Requisiten.

Besonders schöne Einzelstüc­ke finden sogar den Weg in seine eigene Wohnung – auch wenn er dort eigentlich nur schlafe. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Laden, in seinen vielen kleinen Wohnzimmer­n, und plaudert mit Gästen.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Roberto Siniscalch­i hat sich mit seinem Café in Leitershof­en einen Traum erfüllt. Der gelernte Koch hat vor vielen Jahren die stressige Gastronomi­e verlassen, seinen eigenen Laden eröffnet und seine Begeisteru­ng für Kunst miteinflie­ßen lassen. Kunden trinken ihren Kaffee zwischen 200 Jahre alten Schränken, unter bunten Lampenschi­rmen und neben einer lebensgroß­en Oscar-Statue.
Fotos: Marcus Merk Roberto Siniscalch­i hat sich mit seinem Café in Leitershof­en einen Traum erfüllt. Der gelernte Koch hat vor vielen Jahren die stressige Gastronomi­e verlassen, seinen eigenen Laden eröffnet und seine Begeisteru­ng für Kunst miteinflie­ßen lassen. Kunden trinken ihren Kaffee zwischen 200 Jahre alten Schränken, unter bunten Lampenschi­rmen und neben einer lebensgroß­en Oscar-Statue.
 ??  ?? Wer nicht nur zum Essen oder Trinken einkehrt, kann auch eine Partie Schach spielen. Fast alles, was in seinem Laden steht, verkauft der Cafébesitz­er auch. So kam es schon zu spontanen Impulskäuf­en.
Wer nicht nur zum Essen oder Trinken einkehrt, kann auch eine Partie Schach spielen. Fast alles, was in seinem Laden steht, verkauft der Cafébesitz­er auch. So kam es schon zu spontanen Impulskäuf­en.
 ??  ?? Hier gibt es nicht nur ein, sondern gleich mehrere Wohnzimmer, in denen die Gäste essen können. Sie haben die Auswahl zwischen unterschie­dlichen Epochen und Wohnstilen.
Hier gibt es nicht nur ein, sondern gleich mehrere Wohnzimmer, in denen die Gäste essen können. Sie haben die Auswahl zwischen unterschie­dlichen Epochen und Wohnstilen.
 ??  ?? Die Buddhafigu­r hat Siniscalch­i aus dem ehemaligen Tempel in Dinkelsche­rben. Heute ist sie sein Ruhepol im Laden.
Die Buddhafigu­r hat Siniscalch­i aus dem ehemaligen Tempel in Dinkelsche­rben. Heute ist sie sein Ruhepol im Laden.
 ??  ?? Die junge Frau ist nicht echt, aber trotzdem ein Hingucker. Die auffällige Schaufenst­erpuppe begrüßt Gäste beim Eintreten.
Die junge Frau ist nicht echt, aber trotzdem ein Hingucker. Die auffällige Schaufenst­erpuppe begrüßt Gäste beim Eintreten.

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