Augsburger Allgemeine (Land West)
Kommen Vergewaltiger zu leicht davon?
Verbrechen Welche aktuellen Analysen das neue Buch des Kriminologen Christian Pfeiffer enthält
Hannover Nach Anzeigen wegen Vergewaltigung haben Frauen oft schlechte Aussichten auf eine Verurteilung des Tatverdächtigen. Die Chancen hängen auch davon ab, in welchem Bundesland das Opfer lebt. „Die Verurteilungsquoten schwanken zwischen 3 und 21 Prozent“, kritisiert der Kriminologe Christian Pfeiffer. So kamen in den Jahren 2014 bis 2016 in Sachsen 21,4 Verurteilte auf 100 Vergewaltigungsanzeigen, in Berlin waren es dagegen nur 3,4 Verurteilte. „Das ist ein Krisensymptom für Berlin“, sagte der frühere Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN).
Wenn die Beschuldigten straffrei davonkommen, sei dies eine weitere traumatische Erfahrung für die betroffenen Frauen, betonte Pfeiffer. Er vermutet, dass aufgrund von Überlastungen der Polizei häufig Beweise nicht ausreichend gesichert werden. So sollte etwa die Vernehmung der Frau, die eine Anzeige erstattet, möglichst mit einer Videokamera aufgenommen werden, wie es auch bei Opfern sexuellen Kindesmissbrauchs praktiziert wird. In seinem neuen Buch „Gegen die Gewalt“beschäftigt sich der 75 Jahre alte frühere niedersächsische Justizminister neben dem Thema Vergewaltigung auch etwa um den Rückgang von Sexualmorden und die gestiegene Kriminalitätsfurcht.
Aus Angst und Scham geht nur eine Minderheit der Opfer sexueller Gewalt zur Polizei, einer Studie zufolge etwa 15 Prozent. Mitte der 90er Jahre erlebte noch jede fünfte Frau die Verurteilung des Täters, vor drei Jahren nur noch jede dreizehnte. Hintergrund sei, dass inzwischen etwa ein Viertel der Täter aus dem häuslichen Umfeld komme, meist handele es sich um den Ehemann oder Ex-Partner. Männer würden oft aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Umso wichtiger sei es, dass Frauen zum Beispiel „ProBeweis“-Ambulanzen kennen, wo sie sich anonym und kostenfrei untersuchen lassen können, um Spuren zu sichern, auch ohne zuvor Strafanzeige gestellt zu haben. Vergewaltigung in der Ehe steht erst seit 1997 unter Strafe. Befragungen weisen laut Pfeiffer darauf hin, dass heute weniger Frauen sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen erleben als früher. Hintergrund sei neben den Gesetzesverschärfungen der Wandel elterlicher Erziehungskultur, ist der Kriminologe überzeugt.