Augsburger Allgemeine (Land West)

Wembley soll der Wendepunkt sein

Fußball Das frühe WM-Aus belastete die deutsche Frauen-Nationalma­nnschaft lange. Der Sieg in England soll Signalwirk­ung haben. Sportlich und in der gesellscha­ftlichen Debatte

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London Die Bundestrai­nerin freute sich über einen „super Abschluss des Jahres“, die Spielführe­rin sah einen „wichtigen Schritt nach vorn“. Und auch der neu gewählte Verbandsch­ef verabschie­dete sich nach dem ebenso stimmungs- wie sportlich verheißung­svollen Abend im Londoner Wembley-Stadion „richtig happy“in die regnerisch­e Novemberna­cht. „Wir können mit guter Hoffnung in die Zukunft gehen und werden sicherlich wieder in die Weltspitze kommen“, sagte DFBPräside­nt Fritz Keller nach dem 2:1 (1:1) der deutschen Frauen-Nationalma­nnschaft am Samstag vor mehr als 77000 Zuschauern gegen den WM-Vierten England.

Nicht nur der bekennende Freund und Förderer des Frauenfußb­alls äußerte die Hoffnung, dass dieser 9. November ein Schlüsselm­oment werden könnte am Ende eines Jahres „mit Höhen und Tiefen“, wie es Kapitänin Alexandra Popp noch eher beschönige­nd formuliert­e. Dieses vermaledei­te Viertelfin­alAus bei der Weltmeiste­rschaft in Frankreich und das damit verbundene Fehlen bei den Olympische­n

Spielen 2020 in Tokio hatten dem jahrelang erfolgsver­wöhnten deutschen Frauenfußb­all einen empfindlic­hen Dämpfer versetzt. Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g musste sich für ihre Rotation rechtferti­gen, Rücktritte und Nicht-Berücksich­tigungen belasteten die Stimmung ebenso wie eingeräumt­e Kommunikat­ionsdefizi­te innerhalb der Mannschaft während des Turniers im Sommer.

Nun wissen alle Beteiligte­n, dass ein Testspiels­ieg gegen die erst in diesem Jahr so richtig aufgestieg­enen Engländeri­nnen nicht alle Defizite überdecken und der nächste Titel für den Olympiasie­ger, zweimalige­n Weltmeiste­r und achtfachen Europameis­ter nicht wie selbstvers­tändlich eingeplant werden kann. Aber auf einige drängende Fragen lieferte das spektakulä­re und unterhalts­ame Fußballspi­el einige zukunftswe­isende Antworten. Sowohl zur sportliche­n und personelle­n Ausrichtun­g des Teams als auch in der Dauerdebat­te um den Stellenwer­t des Frauenfußb­alls. Dass sich eine hochrangig­e Delegation des DFB mit Boss Keller, Vize-Chefin

Hannelore Ratzeburg, Vize-Präsident Rainer Koch, oder auch Joti Chatzialex­iou, Sportliche­r Leiter Nationalma­nnschaften, zur selben Anstoßzeit wie der des MännerBund­esliga-Krachers Bayern gegen Dortmund auswärts ein FrauenLänd­erspiel anschaute, dürfte eine Mischung aus ernst gemeintem Signal nach innen und politisch korrekter PR in eigener Sache nach außen gewesen sein.

In Gesprächen mit dem englischen Verband wollten Keller & Co. erfahren, wie es gelingen kann, ein großes Stadion (trotz schlimmen Schmuddelw­etters) bei einem Frauen-Länderspie­l auch in Deutschlan­d füllen zu können. „Wir müssen von den Engländern lernen“, sagte Keller und äußerte die Hoffnung, „dass wir das in Deutschlan­d auch hinkriegen“. 2020 will der DFB ein bis zwei Spiele gegen internatio­nal starke Gegner in größeren Stadien testen. Die kleinen Klubs will der mitglieder­stärkste Verband der Welt beim Mädchenfuß­ball unterstütz­en, die großen stärker in die Pflicht nehmen, was Schaffung und Etablierun­g von Frauenteam­s betrifft.

„Ich hoffe, dass es in Deutschlan­d auch in diese Richtung geht“, sagte Popp. Die 28-Jährige hatte in einem „überragend­en Fußballspi­el“(Chatzialex­iou) die DFB-Frauen in Führung geschossen, die 18 Jahre alte Klara Bühl nach dem zwischenze­itlichen Ausgleich durch Ellen White (44.) in der 90. Minute den Siegtreffe­r erzielt.

In der Abwehr spielte die 17 Jahre alte Lena Oberdorf bis zu ihrer verletzung­sbedingten Auswechslu­ng zur Pause so abgezockt, als wären Spiele in Wembley so alltäglich wie ihr Weg zur Schule. Im Mittelfeld war die bei der WM verletzte 27 Jahre alte Dzsenifer Marozsán „Chefin auf dem Platz“, wie es Voss-Tecklenbur­g treffend analysiert­e. Und auch wenn englische Verhältnis­se im deutschen Frauenfußb­all derzeit undenkbar scheinen, so machte der Abend vor allem der Bundestrai­nerin Mut. „Wir befinden uns in einem Prozess, und der ist noch lange nicht zu Ende“, sagte die 51-Jährige. Die Mischung aus erfahrenen und jungen Nationalsp­ielerinnen jedenfalls scheint (wieder) zu stimmen.

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Foto: dpa 77 768 waren im Wembley-Stadion beim Spiel der deutschen Nationalma­nnschaft dabei. Von den Engländern wollen die Verantwort­lichen beim DFB nun lernen, wie sich auch hierzuland­e große Stadien bei Frauen-Länderspie­len füllen lassen.

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