Augsburger Allgemeine (Land West)
Und dann der Brexit
Hintergrund In wenigen Tagen wählen die Briten. Was das für den EU-Austritt bedeutet
London Es ist nicht überliefert, wie häufig Premierminister Boris Johnson in den vergangenen Wochen sein Mantra „Lasst uns den Brexit durchziehen“wiederholt hat. Der Eindruck, der beim Großteil der Briten hängen bleibt, ist: zu oft. Trotzdem, das Versprechen verfängt zumindest bei einem Teil des vom ewigen Gezerre um den EUAustritt ermüdeten Volkes – und könnte den Konservativen bei der Wahl am 12. Dezember sogar die absolute Mehrheit bringen. Das zumindest deuten Umfragen an.
Sollten sie recht behalten, würde Johnson sein mit Brüssel neu verhandeltes Abkommen durch das Parlament peitschen und das Königreich am 31. Januar 2020 aus der EU führen. „Dann können wir uns ganz auf die Prioritäten der Menschen in Großbritannien konzentrieren“, kündigte Johnson bei einem Auftritt kürzlich an und lockte mit Milliardeninvestitionen in den maroden nationalen Gesundheitsdienst, mit mehr Polizisten, mit einem punktebasierten Einwanderungssystem.
Das Publikum in einem Städtchen im Norden Englands, es bestand vor allem aus Europaskeptikern, klatschte und lächelte beinahe beseelt. Immerhin, der Brexit wäre dann knapp vier Jahre nach dem Referendum vollzogen, auch wenn das
Thema selbst dann keineswegs vom Tisch wäre. Im Gegenteil, wie Experten warnen. Denn erst mit dem Austritt beginnen die Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Die Tories versprechen, sie würden einen Vertrag bis Ende 2020 hinbekommen. Der Handelsexperte und ehemalige Regierungsberater David Henig hält eher fünf Jahre für ein realistisches Ziel. Wenn die Dinge „wirklich schnell gehen“, könnten vielleicht auch drei Jahre ausreichen.
Was sind die Alternativen? Sollten sich Brüssel und London weder auf einen Deal noch auf eine Verlängerung der Übergangsperiode einigen, droht Ende 2020 abermals ein chaotischer No-Deal-Brexit. Als ebenfalls denkbarer Ausgang gilt, dass die Wahl wieder zu unklaren Mehrheiten im Parlament führt. Dass die oppositionelle Labour-Partei eine absolute Mehrheit erreichen könnte, gilt unter Meinungsforschern als nahezu ausgeschlossen. Schneiden die Sozialdemokraten unter dem in der Bevölkerung unbeliebten Jeremy Corbyn aber zumindest besser ab als erwartet, kommt es zu einer neuen Hängepartie im Unterhaus. Dann würde die Ratifizierung des Austrittsvertrags wohl wieder nicht klappen. Stattdessen könnten die kleinen Parteien ein erneutes Referendum erzwingen.