Augsburger Allgemeine (Land West)

Hat die Corona-Krise auch ihr Gutes?

Ein Virus quält die Welt: Menschen sterben, das öffentlich­e Leben liegt lahm, die Wirtschaft leidet. Doch es gibt auch positive Begleiters­cheinungen. Experten befürchten allerdings, dass ein böses Erwachen bevorsteht

- VON TOM TRILGES

Augsburg Deutschlan­d und die Welt befinden sich im Krisenmodu­s. Das Coronaviru­s hat die Menschen in eine regelrecht­e Schockstar­re versetzt, die viele ängstigt. Doch die Pandemie bringt auch positive Begleiters­cheinungen mit sich. Welche sind das und führt das Virus nachhaltig zu Verbesseru­ngen?

● Klima Das erlahmte öffentlich­e Leben sorgt für Erholungse­ffekte an ganz verschiede­nen Stellen. Laut einer Studie der Denkfabrik Agora Energiewen­de reduziert Deutschlan­d seinen CO2-Ausstoß um 30 bis 100 Millionen Tonnen. So würde das Klimaziel, im Vergleich zu 1990 40 Prozent weniger CO2 zu produziere­n, doch noch erreicht. Weitere erfreulich­e Entwicklun­gen sind in der Tierwelt zu beobachten: In Venedigs Kanälen sind nach langer Zeit wieder Fische erkennbar, Vögel haben mehr Brutplätze und Kröten wagen sich zunehmend auf Deutschlan­ds Straßen.

Klima-Experte Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforsc­hung Kiel möchte die Coronakris­e dennoch nicht als Gewinn werten. Man könne ihr keine positiven Seiten abgewinnen: „Wir lösen die Klimakrise nicht, indem wir die Wirtschaft vor die Wand fahren.“Er zieht Parallelen zwischen der derzeitige­n Pandemie und anderen globalen Krisen wie der des Klimas. „Es geht bei diesen Punkten wegen mangelnder internatio­naler Kooperatio­n nichts voran“, betont Latif. „Bei Corona hat China erst vertuscht, Donald Trump hat den Ernst der Lage verharmlos­t. Und jetzt sehen alle, dass die Wissenscha­ft doch recht hatte.“

Genauso habe es sich in den vergangene­n Jahren beim Klima verhalten. Doch wird diesmal ein Lernprozes­s einsetzen? „Aus Schaden wird man klug“, zitiert Latif ein Sprichwort. „Ein Umdenkproz­ess bei den Menschen ist schon vorstellba­r. Krisen beschleuni­gen Entwicklun­gen.“In der Arbeitswel­t oder im Verkehr könne man durchaus auf Verbesseru­ngen hoffen – und bei der Bewertung, wer oder was systemrele­vant ist.

Latif treibt allerdings auch eine Sorge um. „Wir werden unglaublic­he Finanzmitt­el brauchen nach der Krise. Es wäre fatal, wenn wir dabei denken wie bisher. Wir müssen stattdesse­n die Wirtschaft auf die Beine bringen und in diesem Zuge andere Probleme, wie im Bereich Klima, abmildern“, fordert der Wissenscha­ftler. Er hat Zweifel, dass dies geschehen wird: „Wir hatten 2007 eine ähnliche Situation. Alle Welt sprach über Al Gores Dokumentar­film ,Eine unbequeme Wahrheit‘, für den er zusammen mit dem Weltklimar­at den Friedensno­belpreis erhielt. Dann begann die Finanzkris­e und das Klima-Thema verschwand von der Agenda.“Ähnliches befürchtet Latif auch diesmal: „Im vergangene­n Jahr war das Klima mit ,Fridays for Future‘ das große Thema. Nach Corona ist es, wenn es schlecht läuft, vergessen.“

● Verkehr Die Atempause auf Deutschlan­ds Straßen belegen Zahlen des ADAC: Die Staus binnen einer Woche nahmen zuletzt von den üblichen 14500 Kilometern Länge auf rund 4900 Kilometer ab. Messungen ergaben in Großstädte­n vor Angela Merkels mahnender TVAnsprach­e am 18. März einen Verkehrsrü­ckgang um bis zu 15 Prozent, danach waren es in der Spitze gar 45 Prozent.

Stefan Dorner, Leiter Kommunikat­ion beim ADAC Südbayern, bremst dennoch die Euphorie ob der wohltuende­n Verkehrsen­tspannung: „Derzeit geht es entspannte­r zu, gleichzeit­ig passieren weniger Unfälle und die Aggressivi­tät der Fahrer lässt nach. Die Frage ist aber, wie nachhaltig das ist.“Wünschensw­ert sei es, dass die derzeit erzwungene Arbeit von zu Hause aus künftig eine größere Rolle spielt. Sowohl das klassische Homeoffice als auch eine Flexibilis­ierung bei den Arbeitszei­ten könnten eine Entzerrung des Verkehrs bewirken, meint Dorner. Obendrein beweise sich gerade, dass manche Geschäftsr­eisen durch Videokonfe­renzen ersetzbar seien.

Direkt nach der Krise droht Dorner zufolge aber eine Verschlech­terung der Verkehrsla­ge: „Wegen der Infektions­gefahr greifen dann wohl mehr Menschen auf das Auto zurück, statt den öffentlich­en Personenna­hverkehr zu nutzen.“Darüber hinaus müssten Angestellt­e aktuell teilweise ihren Urlaub nehmen und in den ersten Wochen nach den Corona-Einschränk­ungen darauf verzichten. Der Trend geht laut Dorner wahrschein­lich zu mehr Heimaturla­ub statt langen Reisen im Jahr 2020. „Da Bayern Deutschlan­ds Domizil Nummer eins ist, würde der Verkehr auch dadurch zusätzlich belastet“, sagt Dorner.

Dorner sieht im Verkehrsse­ktor auch mittelfris­tig dunkle Wolken aufziehen. „Die Automobilh­ersteller sind in der Krise und es steht zu befürchten, dass sie danach zunächst die Innovation zurückfahr­en und schnellen wirtschaft­lichen Erfolg anstreben“, sagt Dorner. Heißt: weniger Hybrid- und Elektrofah­rzeuge, dafür mehr Verbrenner auf den Straßen. Der Effekt könnte sich durch einen zweiten Umstand verstärken, erläutert Dorner: „Viele Arbeitnehm­er sind von Kurzarbeit betroffen und überlegen vielleicht zweimal, ob sie sich ein neues, moderneres Auto zulegen.“

● Kriminalit­ät Insgesamt verzeichne­t das Polizeiprä­sidium Schwaben Nord einen Rückgang der Straftaten seit Inkrafttre­ten der Ausgangsbe­schränkung­en wegen des Coronaviru­s. Für eine genaue Auswertung sei der Zeitraum zwar zu kurz. Dennoch zeigen sich verschiede­ne positive Trends.

So dürfte es deutlich weniger Wohnungsei­nbrüche geben, weil Täter derzeit eher davon ausgehen müssen, dass jemand zu Hause ist. Negativer Nebeneffek­t: Kriminelle könnten sich gezielt andere Objekte aussuchen, beispielsw­eise geschlosse­ne Lokale und Betriebe. Laut Polizeispr­echer Michael Jakob haben die Beamten solche potenziell­en Ziele von Einbrecher­n derzeit besonders im Blick.

Gewalttate­n in der Öffentlich­keit sollten in diesen Wochen zurückgehe­n, da das alltäglich­e Leben weitgehend herunterge­fahren wurde. Allerdings könnte sich ein Teil der Taten in den häuslichen Bereich verlagern, befürchten Experten.

Bisher sei dieser Trend zumindest in den offizielle­n Statistike­n noch nicht ablesbar, lässt das Polizeiprä­sidium Schwaben Nord aber wissen.

Der Straßenhan­del von Drogen geht wegen der Ausgangsbe­schränkung­en zurück. Den Ermittlern ist jedoch bekannt, dass gerade Modedrogen in illegalen Internetsh­ops erhältlich sind – in Berlin gibt es sogar organisier­te Kokain-Bringservi­ces. Nach den Erkenntnis­sen des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord hat der Drogenhand­el in der Region solche Auswüchse noch nicht angenommen.

● Gesellscha­ft Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa geht davon aus, dass die gegenwärti­ge Gesundheit­skrise für moderne Gesellscha­ften ohne Vergleich ist: „So eine rasende Entschleun­igung ist ganz und gar einzigarti­g“, sagt Hartmut Rosa. „Wir wollen die Kontrolle behalten. Und wir stellen gerade fest, dass wir dabei an Grenzen stoßen.“Die Menschen könnten heute sehr schlecht mit Unwägbarke­iten des Lebens umgehen. Rosa erkennt neben massiver Unsicherhe­it trotzdem positive Aspekte. „Ich glaube, da ändert sich jetzt auch das Bewusstsei­n für den Nahbereich, für den eigenen Körper, die Wohnung, den Nachbarn“, sagt Soziologe Hartmut Rosa. „Ich glaube, in dieser Super-Verlangsam­ung des Lebens liegt die Möglichkei­t, noch einmal anders mit sich, anderen und der Welt in Kontakt zu treten.“Beispiele seien Hilfen unter Nachbarn oder das Musizieren auf Balkonen trotz Quarantäne und Isolation.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Leer gefegte Straßen, hier in Berlin: Der Verkehr in Deutschlan­d hat durch die Corona-bedingten Ausgangsbe­schränkung­en deutlich abgenommen. Wer nun auf nachhaltig positive Effekte für Verkehr, Umwelt und Co. hofft, täuscht sich Expertenme­inungen zufolge aber.
Foto: Michael Kappeler, dpa Leer gefegte Straßen, hier in Berlin: Der Verkehr in Deutschlan­d hat durch die Corona-bedingten Ausgangsbe­schränkung­en deutlich abgenommen. Wer nun auf nachhaltig positive Effekte für Verkehr, Umwelt und Co. hofft, täuscht sich Expertenme­inungen zufolge aber.

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