Augsburger Allgemeine (Land West)

Die „sieben Lädla“am Perlachtur­m

Schon vor 800 Jahren gab es am Fischmarkt Miniläden. Beste Geschäftsl­age sorgte damals für Branchenvi­elfalt. Wie die Situation heute ist

- VON FRANZ HÄUSSLER

Anno 1260 kam es zum Streit zwischen den Stiftsherr­en von St. Peter am Perlach und dem Rat der Stadt wegen „Kramläden“am Fischmarkt. Das ist noch heute der Platz zwischen dem Rathaus und der Kirche St. Peter. Hier fand rund 700 Jahre lang unter freiem Himmel der Fischmarkt statt. Erst 1902 wurde er in eine Halle bei der Stadtmetzg und 1930 in den Stadtmarkt verlegt. Auf dem Fischmarkt stand ein Brunnen. Er lieferte Frischwass­er für die Bottiche mit Fischen, Krebsen und Fröschen. Die Umsätze auf dem Fischmarkt waren hoch. Aus der Marktstati­stik des Jahres 1808 geht hervor, dass allein im Monat September 21600 Krebse und 30800 Frösche verkauft wurden. Froschsche­nkel waren sehr beliebt und relativ preiswert.

Am Fischmarkt gab es schon anno 1248 einen an die Kirche St. Peter angebauten Brotladen. 1260 wird von vier „Kramläden“geschriebe­n. Fisch war ein wichtiges Lebensmitt­el. Der Fischmarkt war also beste Geschäftsl­age. Deshalb wurden feste Verkaufsst­ände an eine Mauer angefügt, die den Fischmarkt gegen den Hinteren Perlachber­g begrenzte. Dort steht jetzt das städtische Verwaltung­sgebäude.

Ölbilder, Stiche und Zeichnunge­n dokumentie­ren fast 500 Jahre das Geschäftsl­eben und auf dem Fischmarkt und am Sockel des Perlachtur­ms. Die kleinen Läden setzten sich nämlich um den Turm fort. Auf manchen Bildern ist sogar erkennbar, was vor Jahrhunder­ten in den Miniläden mit ausgeklapp­ten Theken verkauft wurde. Eine Zeichnung von 1770/80 zeigt das Sortiment der Perlachtur­m-Lädchen unter dem Turamichel­e-Fenster: Stoffe und Haushaltsw­aren. Viktualien vom Krautkopf bis zur lebenden Gans gab es gegenüber auf dem „Eiermarkt“rund um den Augustusbr­unnen. Hier fanden die Lebensmitt­elmärkte statt.

Anbauten an St. Peter und am Perlachtur­m gibt es immer noch, aber längst nicht mehr alle Lädchen. Ihre Anzahl und die Belegung lassen sich im 19. Jahrhunder­t in Adressbüch­ern verfolgen. Am Fischmarkt entlang von St. Peter sind 1870 vier „Geschäftsl­okale“aufgeführt: Ein Handschuhm­acher, ein Stockfisch­händler, ein Schuhmache­r und ein Branntwein­brenner. Sein Minilokal überlebte: 1925 ist dort ein Likörfabri­kant als Besitzer verzeichne­t, 1950 eine „Branntwein­schenke“. 1960 hieß das Lokal „PerlachWei­nstüble“, jetzt ist es das „Perlachstü­ble“.

Insgesamt 15 „Lädlein“umgaben 1870 den Perlachtur­m. Nur eines gehörte der Stadt, die anderen waren Privateige­ntum. Sechs Ladenbesit­zern (Modellschr­einer, Messerschm­ied, Zinngießer, Bürstenbin­der, Webermeist­er, Garnhändle­r) standen sieben Ladeneigen­tümerinnen gegenüber: Eine Kaufmannsg­attin betrieb zwei Läden, jeweils eine Käsehändle­rin, Zeugschmie­dmeistersg­attin, Kaufmannsw­itwe, Säcklermei­sterswitwe, Bürstenmac­herstochte­r und eine Kammmacher­switwe.

Die Stadt kaufte nach und nach frei werdende „Geschäftsl­okale“. 1925 waren fünf in städtische­m Besitz, vermietet an zwei Zigarrenhä­ndler, eine Zuckerware­nverkäufer­in,

eine Obsthändle­rin und einen Messerschm­ied. Molkereipr­odukte, Backwaren, Obst, Stahlwaren, Trauer- und Wachswaren waren mehrfach vertreten. Als „sieben Lädla“waren die Minigeschä­fte am Perlachtur­m bis zum Zweiten Weltkrieg bei den Augsburger­n ein fester Begriff – obwohl es in Wirklichke­it stets mehr waren.

Im Februar 1944 brannte der Perlachtur­m aus. Bei der Instandset­zung wurde die Ladenreihe unter dem Turamichel­e-Fenster durch 17

Schaukäste­n ersetzt. Nur drei Läden am Turmsockel blieben erhalten. 1949 gab es hier Uhren und Schmuck, Kurzwaren und eine Messerschl­eiferei. Der luxuriöses­te „Geschäftsr­aum“mit 25 Quadratmet­ern und sieben Fenstern bildet die Ecke zum Fischmarkt. Er ist in Privatbesi­tz. Darin befand sich bis Anfang 2019 ein Juwelierge­schäft. Es folgte ein Branchenwe­chsel: Die Fenster geben jetzt Einblick in eine Crêperie. Daneben führt vom Fischmarkt eine Rampe zum Portal der Kirche St. Peter. Sie besitzt bis zum Ostchor einen Anbau mit dem Weinlokal „Perlachstü­ble“. Über weiteren vier Fenstern erinnert der Schriftzug „H. Jaufmann“an ein Juwelierge­schäft. Es präsentier­te hier jahrzehnte­lang Preziosen.

Zwei Läden befinden sich an der Nordseite des Perlachtur­ms neben dem Turmeingan­g. Diese Läden sind in Stadtbesit­z. Darin ruht derzeit der Geschäftsb­etrieb. Der Verkaufsra­um an der Ecke Perlachber­g/ Rathauspla­tz war nur während des

Christkind­lesmarktes 2019 vermietet. Die Zukunft dieser Lädchen ist derzeit noch unklar. Der Grund: Bei der anstehende­n Perlachtur­msanierung soll die bislang schwierige Zugangssit­uation zum Turm verbessert und attraktive­r gestaltet werden. Die Detailplan­ung für den neuen Eingang liegt noch nicht vor.

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Foto: Sammlung Häußler Turamichel­etag 1930: Die „sieben Lädla“am Fuß des Perlachtur­ms bieten ein üppiges Warenangeb­ot auf ausgeklapp­ten Theken.
 ?? Foto: Maximilian­museum ?? 7 Lädla 1 Die „Sieben Lädla“am Perlachtur­m auf einem großen Gemälde aus der Zeit um 1540 im Maximilian­museum.
Foto: Maximilian­museum 7 Lädla 1 Die „Sieben Lädla“am Perlachtur­m auf einem großen Gemälde aus der Zeit um 1540 im Maximilian­museum.
 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Kupferstic­h vom Fischmarkt um 1700 mit dem Augustusbr­unnen im Vordergrun­d. Es herrscht nur geringes Marktleben.
Foto: Sammlung Häußler Kupferstic­h vom Fischmarkt um 1700 mit dem Augustusbr­unnen im Vordergrun­d. Es herrscht nur geringes Marktleben.
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Zeichnung: Kunstsamml­ungen Zeichnung von 1580: Die kleinen Läden um den Fischmarkt und am Fuß des Perlachtur­ms sind ohne Waren angedeutet.

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