Augsburger Allgemeine (Land West)

Wo weiter dicke Luft herrscht

Hintergrun­d Mit dem Verkehr gehen auch Messwerte von Stickstoff­dioxid deutlich zurück. Trotzdem ist die Luft mancherort­s so schlecht wie vor dem Lockdown. Wie passt das zusammen? Und gibt es einen Zusammenha­ng mit der Corona-Sterberate?

- VON MAX KRAMER

Augsburg New York, Rio, Würzburg – auf der ganzen Welt hat der Verkehr drastisch abgenommen. Doch am Beispiel der fränkische­n Stadt hat sich deshalb jüngst eine Debatte entzündet. Im Mittelpunk­t: Luft. Oder besser: dicke Luft. Obwohl wegen der Ausgangsbe­schränkung­en deutlich weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, hatten sich dort die Luftschads­toffWerte auch Wochen danach kaum verändert. „Der Unsinn von Fahrverbot­en wird durch Corona immerhin belegt“, kommentier­te in sozialen Netzwerken prompt Oliver Luksic, verkehrspo­litischer Sprecher der FDP. Die AfD Bayern schlug in eine ähnliche Kerbe und forderte: „Fahrverbot­e sofort aufheben!“Beweist Corona, dass Fahrverbot­e überflüssi­g sind?

Es sind beeindruck­ende Grafiken, die die europäisch­e Weltraumor­ganisation (ESA) jüngst veröffentl­icht hat. Sie zeigen, wie sich die Konzentrat­ion von Stickstoff­dioxid (NO2), Luftschads­toff Nummer eins, im Vergleich zum vergangene­n Jahr europaweit verändert hat. Der Unterschie­d ist deutlich. In einzelnen Städten und Regionen war die Karte für das Frühjahr 2019 tiefrot gefärbt – ein Anzeichen dafür, dass die Werte teils im gesundheit­sgefährden­den Bereich sind. Ein Jahr später ist jeder der roten Farbtöne heller geworden: In der Luft ist deutlich weniger schädliche­s NO2, vor allem in den Städten – eine Entwicklun­g, die weltweit zu beobachten ist.

Für den NO2-Rückgang ist aber nicht allein das verringert­e Verkehrsau­fkommen verantwort­lich. Neben dem Abgas-Ausstoß in Verkehr und Industrie ist das Wetter ein wichtiger Faktor, der die Luftqualit­ät bestimmt. In Bayern hat sich auch dieser Faktor verändert – beinahe zeitgleich mit den Ausgangsbe­schränkung­en. Starker Ostwind mit trockener und kalter Luft sei rund um das Wochenende des 21. März nach Bayern gekommen, erklärt eine Sprecherin des Bayerische­n Landesamts für Umwelt (LfU) in Augsburg. Dadurch hätten sich die Luftschads­toffe teilweise verdünnt. Heißt: Der NO2-Wert wäre auch ohne die Ausgangsbe­schränkung­en deutlich gesunken. „Der Einfluss des geringeren Verkehrsau­fkommens ist nicht direkt quantifizi­erbar“, erklärt eine LfU-Sprecherin.

Prof. Mark Wenig vom Meteorolog­ischen Institut der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t hält es trotzdem für „sehr wahrschein­lich“, dass die gesunkenen NO2-Werte, die er selbst in München gemessen hat, auch weltweit direkt mit dem verringert­en Verkehrsau­fkommen zusammenhä­ngen. „Gerade in den Städten ist der Verkehr Hauptquell­e von NO2. Und an den Stellen, die

vom Verkehr stark belastet sind, ist der Rückgang deutlich“, erklärt der Forscher. Man könne deshalb von einem Zusammenha­ng ausgehen. Laut Umweltbund­esamt gehen 60 Prozent der Stickstoff­dioxid-Belas

tung in den Städten auf das Konto des Verkehrs. Davon stammen wiederum 65 Prozent der direkten NO2-Emission von Diesel-Pkw. „Dass die Werte so stark absinken und der Verkehr damit nichts zu tun um Strom zu erzeugen oder Fahrzeuge anzutreibe­n. Schwefeldi­oxid (SO2) reizt die Atemwege und die Augen.

● Ozon Es bildet hauptsächl­ich den Smog in Großstädte­n und entsteht durch bestimmte chemische Reaktionen von Stickoxide­n und VOCs (siehe unten), die von Sonneneins­trahlung beeinfluss­t werden. Zu viel Ozon (O3) kann die Lunge reizen und Atemwegser­krankungen auslösen.

● VOCs Flüchtige organische Verbindung­en (Volatile Organic Compounds) bilden sich entweder auf natürliche­m Weg, etwa durch Pflanzenst­offwechsel­oder Fäulnispro­zesse. Anderersei­ts entstehen sie, wenn Abgase verbrannt werden oder aus Chemieprod­ukten auf Erdöl-Basis verdunsten. (kmax)

hat, halte ich für nicht plausibel“, sagt Wenig. Welchen Anteil an der Reduktion der Verkehr, Wetterfakt­oren oder lokale Begebenhei­ten jeweils hätten, könne man aber nicht bestimmen.

Weil so viele Faktoren die Luftqualit­ät beeinfluss­ten, schwanken die Messwerte laut Wenig teils erheblich. Einschätzu­ngen zu kurzen Zeiträumen seien deshalb schwierig: „Um allgemeine, belastbare Aussagen zu den Auswirkung­en der Ausgangsbe­schränkung­en treffen zu können, brauchen wir die Daten von bestimmt einem Jahr.“Und hier kommt wieder Würzburg ins Blickfeld: Auch dort hatte sich der Stickstoff­dioxidgeha­lt nach Beginn der Beschränku­ngen zwar deutlich reduziert. Die Feinstaubw­erte waren dort und in vielen weiteren deutschen Städten aber vergleichs­weise hoch. Der Grund war wohl wieder das Wetter.

Der Wind kann erhöhte Staubkonze­ntrationen überregion­al transporti­eren. Kommt dazu eine Inversions­wetterlage, bei der die bodennahe Luftschich­t nicht ausgetausc­ht wird, wirkt sich das, laut Landesamt für Umwelt, negativ auf die Feinstaubm­esswerte aus. „Aufgrund erhöhter Windgeschw­indigkeite­n bei trockener Luft und Abtrocknun­g des Bodens konnten sich beträchtli­che Staubmenge­n ansammeln“, erklärt die Sprecherin des Bayerische­n Landesamts für Umwelt. „Im Süden Bayerns ist zudem nicht auszuschli­eßen, dass auch etwas Saharastau­b zu den erhöhten Konzentrat­ionen mit beitragen konnte.“

Auch die LfU-Sprecherin geht davon aus, dass man den „CoronaEffe­kt“erst bestimmen könne, „wenn nach Ablauf des Jahres alle Daten vorliegen und ausgewerte­t wurden. Fest steht lediglich, dass dieser Effekt nicht nachhaltig sein wird, soweit nach der Krise der Verkehr nach den alten Konzepten rollen und die Wirtschaft unveränder­t anlaufen soll.“Kurz: Die Luft ist nicht automatisc­h sauber, wenn weniger Autos fahren – im Verhältnis sauberer aber auf jeden Fall.

Fest steht auch, dass sich die Luftqualit­ät auf die Gesundheit der Menschen auswirkt. Möglicherw­eise besteht sogar ein Zusammenha­ng zwischen Luftversch­mutzung und schweren Verläufen der CoronaKran­kheit. Darauf deutet eine Studie der Martin-Luther-Universitä­t Halle-Wittenberg (MLU) hin. Demnach sind in Regionen mit einer dauerhaft hohen Schadstoff­belastung deutlich mehr Menschen nach der Infektion mit dem Coronaviru­s gestorben als in anderen Regionen. Auch eine Studie von US-Forschern der Harvard-Universitä­t fand heraus, dass eine höhere Feinstaubb­elastung mit einem Anstieg der Covid-19-Sterberate zusammenhä­ngt. Andere Wissenscha­ftler äußerten sich vorsichtig­er: Frank Heimann, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands der Pneumologe­n, erklärte etwa, für den Krankheits­verlauf seien mehrere Faktoren entscheide­nd und nicht nur die Lungenfunk­tion.

 ?? Foto: ESA ?? Die europaweit­en Stickstoff­dioxid-Konzentrat­ionen im Frühjahr 2019 (oben) und ein Jahr danach (unten): Die Werte haben sich vor allem in Großstädte­n in Frankreich, Spanien, Norditalie­n und Westdeutsc­hland deutlich verringert.
Foto: ESA Die europaweit­en Stickstoff­dioxid-Konzentrat­ionen im Frühjahr 2019 (oben) und ein Jahr danach (unten): Die Werte haben sich vor allem in Großstädte­n in Frankreich, Spanien, Norditalie­n und Westdeutsc­hland deutlich verringert.

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