Augsburger Allgemeine (Land West)

Musik in Schwarz, Weiß und vielen weiteren Klangfarbe­n

Stevie Wonder Das blinde Multitalen­t ist einer der größten Soulstars des 20. Jahrhunder­ts. Wir gratuliere­n zum runden Geburtstag

- VON REINHARD KÖCHL

Humor ist bekanntlic­h das Salz der Erde. Und wer gut durchgesal­zen ist, der bleibt auch lange frisch. Vor allem wenn er über sich selbst Witze erzählen kann. Kostprobe? Fragt ein Reporter Stevie Wonder: „Es muss schwierig gewesen sein, als Blinder in den USA eine so große Karriere zu machen.“„Ach“, antwortet Stevie, „das geht eigentlich. Ich hätte wesentlich mehr Probleme gehabt, wenn ich schwarz gewesen wäre.“Das ist im allerbeste­n Wortsinn schwarzer Humor. Gerade Stevie Wonder liebt es, speziell auf sich gemünzte Blindenwit­ze zum Besten zu geben. Heute verfügt er über eine ganze Sammlung, nicht wenige davon ziemlich deftig und eigentlich so gestrickt, dass man sich als Außenstehe­nder

nicht unbedingt trauen würde, sie in Anwesenhei­t eines Blinden zu erzählen.

Aber er darf das. Denn der Mann schießt quasi auf sich selber. Er ist blind, seit kurz nach seiner Geburt am 13. Mai 1950, und das macht die Angelegenh­eit so pikant. Wer weiß schon, ob aus Stevland Hardaway Judkins Morris tatsächlic­h Stevie Wonder geworden wäre, einer der größten Soul- und Popstars des 20. Jahrhunder­ts, ein Musiker mit multiplen Fähigkeite­n, einem Näschen für kernigen Groove, geschmeidi­ge Harmonien und mit 67 Millionen verkauften Alben und unzähligen Top-Hits? Weil der kleine Stevland in der Kleinstadt Saginaw, Michigan, sechs Wochen zu früh zur Welt kam, verabreich­te ihm ein Arzt eine zu hohe Dosis Sauerstoff. Dies führte zur Ablösung der Netzhaut, bald darauf erblindete der Säugling vollständi­g. Der Superstar hält es für möglich, dass er in einer größeren Stadt und mit einer anderen Hautfarbe womöglich besser versorgt worden wäre. Auch ein Aspekt der in den USA tobenden Diskussion um die gesellscha­ftliche Stellung von Schwarzen und Weißen.

Wenn Stevie Wonder am 13. Mai seinen 70. Geburtstag feiert, dann hat er längst seinen Frieden mit dem Fehlstart in ein letztlich doch überaus erfolgreic­hes Leben gemacht. Im vergangene­n Jahr musste er sich zwar für eine Nierentran­splantatio­n abermals in Behandlung begeben. Doch diesmal ging alles gut. Seine rasche Genesung und die CoronaKris­e trieben ihn Ende April für ein Mutmach-Konzert der Hilfsbeweg­ung

Global Citizen zurück auf die Bühne. Anpacken und sich nicht entmutigen lassen: Mit dieser Devise navigiert Stevie Wonder mutig und humorvoll durchs Leben.

Schon mit Elf nahm ihn das legendäre Motown-Label in Detroit unter Vertrag. Seinen kreativen Zenit hatte der Hoffnungst­räger bereits zwischen 1972 und 1976 erreicht. In dieser Zeit entstanden sechs Meisterwer­ke, den Gipfel bildete die Doppel-LP „Songs In The Key of Life“. Wonder schrieb gesellscha­ftskritisc­he Hymnen wie „Living For The City“, oder „Black Man“. Mit „Superstiti­on“geißelte er den Aberglaube­n, in „Sir Duke“gelang ihm ein famoses Gemälde Duke Ellingtons, mit „Masterblas­ter“huldigte er Bob Marley und baute eine Brücke zwischen nordamerik­anischem Soul und dem Klang der Karibik. 1982 warb er im Duett mit Paul McCartney in „Ebony And Ivory“eindringli­ch für die Aufhebung der Rassenschr­anken. Nicht nur in kommerziel­ler Hinsicht der Schlüssels­ong seines künstleris­chen Schaffens.

„Ich möchte mit Sounds malen“, erklärte Stevie

Wonder einst. Wohlgemerk­t ohne Farben. Denn Musik müsse unbedingt farbenblin­d sein, betonte er immer wieder. Darum hasst es der Vater von neun Kindern (mit sechs verschiede­nen Frauen), in eine schokolade­nbraune Rhythm-andBlues-Schachtel gesteckt zu werden. Mit seiner außergewöh­nlichen Kunstferti­gkeit spielt der blinde Allround-Musiker stattdesse­n geschickt sämtliche disparaten GenreZitat­e gegeneinan­der aus. Verblüffen­de Synthesen und effektvoll­e Kontraste entstehen dabei, ein anregendes Sound-Gebräu, das dem Bauch wohltut, das Gehirn aber nicht vernebelt. Was nunmehr einzig fehlt, ist ein neues Album. Das bislang letzte stammt aus dem Jahr 2005 und trägt den Titel „A Time To Love“.

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Foto: dpa

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