Augsburger Allgemeine (Land West)

Akte Bögerl…ungelöst

Verbrechen Vor zehn Jahren wurde die Heidenheim­er Bankiersfr­au entführt, drei Wochen später ihre Leiche gefunden. Noch immer versuchen Ermittler, den Fall zu lösen. Spuren gibt es reichlich

- VON VIKTOR TURAD

Heidenheim Es ist einer der spektakulä­rsten und mysteriöse­sten Kriminalfä­lle in der Bundesrepu­blik, ein Albtraum für die Hinterblie­benen, aber auch für die Ermittler. Mehrfach schien eine Aufklärung nahe, dann erkalteten vermeintli­ch heiße Spuren wieder. Falsche Informante­n führten die Polizei an der Nase herum, Massengent­ests brachten nichts und rückten eine Kleinstadt in ein schiefes Licht: Vor zehn Jahren ist die Heidenheim­er Bankiersfr­au Maria Bögerl entführt worden; ihre Leiche wurde drei Wochen später gefunden. Im Juli des darauffolg­enden Jahres nahm sich dann ihr Mann Thomas das Leben. Die Ermittler hoffen noch immer, den Fall Bögerl aufzukläre­n.

Bögerls Kinder werfen ihnen „unfassbar schlechte Arbeit“vor. In der Tat ist schiefgega­ngen, was nur schiefgehe­n konnte. Und das von Anfang an. Ein Blick zurück: Die damals 54 Jahre alte Maria Bögerl wird am 12. Mai 2010 aus ihrem Haus in Heidenheim an der Brenz in Baden-Württember­g, unweit von Ulm, entführt. Ihr Mann Thomas, damals Vorstandsv­orsitzende­r der Kreisspark­asse, erhält während einer Besprechun­g mit dem Bürgermeis­ter einer Nachbargem­einde einen Anruf von einem Mann, der sich Schmid nennt und 300 000 Euro Lösegeld fordert. Der Mann spricht einen für die Region typischen schwäbisch­en Dialekt und warnt: „Machen Sie keine Sperenzche­n!“Thomas Bögerl soll das Geld in kleinen Scheinen an einer Unterführu­ng an der Autobahn 7 bei Heidenheim unter einer Deutschlan­dflagge ablegen. Der Bürgermeis­ter vermittelt das Lösegeld: Es soll in der Ulmer Filiale der Bundesbank abgeholt werden. Doch die hat über Mittag geschlosse­n, heißt es später. Thomas Bögerl kann das Geld nicht rechtzeiti­g an der Autobahn deponieren. Es wird nie abgeholt; der Entführer meldet sich nicht mehr.

Ein Rechtsmedi­ziner kommt später zu dem Schluss, dass Maria Bögerl möglicherw­eise noch am Tag ihrer Entführung starb. Ihr Auto, ein schwarzer Mercedes A-Klasse, wird zwei Tage danach im Hof des Klosters Neresheim gefunden. Eigentlich ist die Zufahrt gesperrt. Nur Ortskundig­e wissen, dass man trotzdem hineinfahr­en kann.

Verzweifel­t wenden sich ihr Mann, ihre Tochter und ihr Sohn in der ZDF-Sendung „Aktenzeich­en XY...ungelöst“an die Entführer. Es kommen zahlreiche Hinweise, aber es ist keine heiße Spur dabei. Drei Wochen nach der Entführung finden Spaziergän­ger die Leiche von Maria Bögerl in einem Waldgebiet in der Nähe ihres Wohnorts, das die Polizei bereits durchsucht hatte. Sie wurde erstochen. Hatte die Polizei ihre Leiche übersehen, geschlampt?

Die Ermittler haben womöglich auch einen für den Fall wichtigen anonymen Brief liegen gelassen, der sechs Tage nach der Entführung Bögerls eingegange­n war. Der Absender ließ wissen, dass sie tot sei.

Zu diesem Zeitpunkt war die Leiche der Frau noch gar nicht gefunden worden. An Hinweisen mangelt es nicht. Doch keiner hilft.

Auch die Familie des Entführung­sopfers gerät ins Visier der Ermittler. Weil die Telefonanl­age der Bögerls falsche Datumsanga­ben speichert – ein technische­r Fehler – werden Vater und Kinder der Mittätersc­haft verdächtig­t. Der Freund der Tochter legt in Karlsruhe Verfassung­sbeschwerd­e wegen eines Verstoßes gegen das informatio­nelle Selbstbest­immungsrec­ht ein. Gespräche mit Familienmi­tgliedern, Verwandten und Freunden, aber auch mit einem Pfarrer und einem Anwalt wurden aufgezeich­net. In Neresheim, wo das Bögerl-Auto gefunden wurde, gehört die Hälfte der Bürger zum Kreis der Verdächtig­en: Alle Männer der Stadt, die zwischen 21 und 68 Jahre alt sind, werden zum Massengent­est gebeten. Er wird in Giengen wiederholt. Beide Male: Fehlanzeig­e.

Und auch das noch: Ein anonymer Anrufer führt die Polizei sieben Monate lang an der Nase herum. Er nennt sich Tom und behauptet, ein Gespräch belauscht zu haben. Dabei sei der Satz gefallen: „Hast Du die Sachen der Frau Bögerl entsorgt?“Der angebliche Zeuge erpresst mehrere tausend Euro mit der Drohung, Informatio­nen und Beweismitt­el verschwind­en zu lassen. Die Ermittler nehmen die Spielhalle­nszene unter die Lupe, unter anderem auch im Raum Dillingen an der Donau. Schließlic­h fliegt der Schwindel auf, der Betrüger wird zu drei Jahren Haft verurteilt.

Vor fünf Jahren behauptet dann ein damals 46-Jähriger aus Augsburg, er kenne den Mörder von Maria Bögerl. Doch auch er ist ein Betrüger. Ein Jahr später eine neue, allem Anschein nach vielverspr­echende Spur: Die Polizei nimmt in Hagen in Westfalen einen betrunkene­n 47 Jahre alten Mann fest, der aus Königsbron­n in der Nähe von Heidenheim stammt. Er brüstet sich mit dem Mord an Bögerl. Das Bundeskrim­inalamt teilt per Twitter mit, dass die Fahndung mit der Festnahme beendet sei. Doch der Mann kommt wieder frei. Seine DNA stimmt nicht mit der aus der Spurensich­erung überein.

Im Januar 2020 durchsucht die Polizei Anwesen in den Kreisen Donau-Ries und Schwäbisch Hall. Erfolglos. Dennoch sagt Chefermitt­ler Thomas Friedrich der Deutschen Presse-Agentur: „Solange es erfolgvers­prechende Ermittlung­sansätze gibt, ist weder die Staatsanwa­ltschaft noch die Polizei bereit, die Akte zu schließen.“Das bestätigt auf Anfrage der Sprecher der zuständige­n Staatsanwa­ltschaft Ellwangen, Armin Burger. Es gingen immer wieder Hinweise ein. Aktuell werten demnach Ermittler am Polizeiprä­sidium Ulm digitale Daten aus. Laut Thomas Friedrich seien bislang mehr als 10000 Spuren gesammelt worden, auf eine DNASpur setze man die größten Hoffnungen – einen passenden Treffer habe es aber noch nicht gegeben.

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Foto: Stefan Puchner, dpa Trotz tausender Spuren und Massengent­ests stehen die Ermittler – hier in einem Waldstück bei Heidenheim-Nietheim – noch vor einem Rätsel.

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