Augsburger Allgemeine (Land West)
Immer in Bewegung
Ausstellung „Beyond Surface“im Textilmuseum zeigt Werke von Esther Irina Pschibul. Erstmals arbeitete die Augsburger Künstlerin dafür auch mit textilem Material
Fast zwei Monate dauerte die coronabedingte Schließung der bayerischen Museen, da kann der Gang ins Museum für machen Ausstellungsbesucher jetzt, nachdem die Häuser in dieser Woche wieder geöffnet sind, schon zur Neuentdeckung werden. Besonders zutreffend ist diese Vermutung für das Textilund Industriemuseum (tim), denn dort sorgen Werke der Augsburger Künstlerin Irina Esther Pschibul für ein neues Raumerlebnis. Ihre Ausstellung „Beyond Surface“sollte ab Freitag, 13. März, im tim zu sehen sein, jenem Tag, an dem das bayerische Kulturleben radikal heruntergefahren wurde. So sind Besucher, die am heutigen Dienstag ins tim kommen, nun die ersten, die die etwa 50 figurativen Skulpturen Pschibuls als Interventionen in den Räumen des tim erleben können.
Kurz vor dem Absprung, mit weit ausgestreckten Armen stehen die beiden Freischwimmerinnen auf einem Podest, bis auf zwei Schwimmflügelchen sind sie nackt. Bikinis und Badeanzüge schweben dagegen wie in einem mit Wasser gefüllten Aquarium dahinter in der Vitrine. So treten die Kunstwerke Pschibuls mit der Dauerausstellung des tim in einen interessanten Dialog. Manchmal so offensichtlich wie im Fall der Bademode, manchmal sperrig und konfrontativ, oft auch humorvoll und ironisch. Der Augsburger Unternehmer Ludwig August Riedinger blickt auf einem Gemälde im Kabinett zur Industrialisierung ein wenig skeptisch auf Pschibuls „Schreitende“, die sich da unter die historischen Figuren eines Brunnens aus seinem Stadtpalais geschmuggelt hat. Die Wand gegenüber müssen sich weitere TextilGranden nun teilen mit Skizzen, die allesamt Frauenfiguren abbilden – in wilder Strichführung wirbelnde Körper, die im Kontrast stehen zu den kühl blickenden Männern aus vergangener Zeit. Modernes trifft altes, ein bestehender Raum wird in einen neuen Kontext gesetzt. Denn Pschibuls Intervention ist auch ein augenzwinkernder Kommentar zur
Geschichte der Augsburger Textilindustrie, an deren Spitze zwar verdiente Männer standen, die aber im Wesentlichen getragen wurde von arbeitenden Frauen.
„Ich durfte mich auf alles beziehen und aus allem ausbrechen, wie schön ist das denn?“. Enthusiastisch beschreibt die Künstlerin den Arbeitsprozess, der sie viele Stunden ins tim führte, um dessen Exponate und Räume aufzunehmen. Erstmals in ihrem Schaffen arbeitete sie dabei auch mit textilen Materialien, die speziell für ihre Werke auf den Webstühlen des tim angefertigt wurden. Als Bildhauerin reizte Pschibul dabei vor allem, das flache Medium Stoff räumlich zu verarbeiten. „Das war wie eine Offenbarung für mich, dass ich mit dem Gewebe auch Körper herstellen kann“, sagt die Bildhauerin Pschibul. Wie Reliefs wirken diese faszinierenden Draperien in Grau und Schwarz, die sie gefältelt, gereiht und zu Formen gesteckt hat.
Wer genau hinsieht, kann darauf die für Pschibul typischen Figuren entdecken – Hörnerfrauen, Stierfrauen, die sich in verschiedenen Ausführungen und Materialien auch in der Ausstellung finden. Archaische Mischwesen aus Mensch und Tier, festgehalten in einem Spannungsmoment, tummeln sich da zwischen Maschinen, Gerätschaften und Puppen mit historischen Gewändern. Sie kauern, legen sich nieder oder schreiten. Immer sind sie im Begriff sich zu bewegen und damit im Raum zu behaupten und ihn zu erobern.
Dieses Paradoxon, die Bewegung festzuhalten, machte die in Bobingen geborene Esther Irina Pschibul bereits in ihrer „Medusentochter (Schreitende)“zum Gestaltungsprinzip. Seit 2011 steht die Bronzeskulptur im tim, nun ist sie für die Ausstellung ergänzt um ein zitronengelbes Abbild aus Knetmasse, das Pschibul für ihr Akademiediplom fertigte.
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Ausstellung „Beyond Surface“im Textil- und Industriemuseum, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 9 bis 18 Uhr; Laufzeit bis 18. Oktober