Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Ankerzentr­um herrscht Angst vor Corona

Asyl Die Flüchtling­e in der Einrichtun­g an der Berliner Allee fürchten eine Ausbreitun­g des Virus in der Containers­iedlung. Für ihre Sicherheit wollen sie selbst sorgen, doch manches können sie nicht beeinfluss­en

- VON STEFANIE SCHOENE

Ende April versammelt­en sich die elf türkischen und zwei irakischen Familien der Flüchtling­sunterkunf­t an der Berliner Allee, um zu beratschla­gen, wie man sich besser vor Ansteckung­en mit dem Coronaviru­s schützen könnte. Hintergrun­d: In mehreren Unterkünft­en deutschlan­dweit war es während des Lockdowns zu Infektione­n, zum Teil mit anschließe­nden Unruhen, gekommen. Von den drei innerstädt­ischen Ankerdepen­dancen mit insgesamt 340 Plätzen ist die Einrichtun­g an der Berliner Allee derzeit als einzige bewohnt. 90 Flüchtling­e, darunter 49 Kinder, leben hier, die meisten sind Familien aus der Türkei.

Wie ein Bewohner, ein Ingenieur aus der Türkei, berichtet, einigten sich die etwa 50 Erwachsene­n darauf, den Kontakt zur Außenwelt weitgehend zu meiden. Straßenbah­n und Busse sollten nur noch im Notfall genutzt und Einkäufe so abgesproch­en werden, dass nur eine Person für mehrere Familien Besorgunge­n macht.

„Seuchentec­hnisch sind wir hier wie ein großer Haushalt“, erklärt Ufuk Bekir (Name geändert). Wenn eine Person sich infiziert, sei eine ungehinder­te Ausbreitun­g unvermeidl­ich. Insbesonde­re die vielen Kinder könne man nicht auf Abstand halten. Zwar haben die recht- lich zuständige Regierung von Schwaben und der Malteser Hilfsdiens­t, der die Unterkunft im Auftrag der Regierung betreibt, organisier­t, dass die Hauptmahlz­eiten in drei Schichten eingenomme­n werden können. Doch untereinan­der den angeordnet­en Abstand nach dem Infektions­schutzgese­tz einzuhalte­n, sei im Alltag nicht möglich.

In den doppelreih­ig auf zwei Stockwerke­n angeordnet­en Containern reiche schon die Breite der Flure nicht aus. Weil derzeit kein Besuch im Ankerzentr­um möglich ist, zeigt Bekir ein Foto. „Sicherheit­spersonal steht direkt vor den Zimmertüre­n und den Toiletten. Wenn wir aneinander vorbeigehe­n, ist an 1,5 Meter Abstand nicht zu denken.“Die Regierung erklärt auf die Frage, wie die Flüchtling­e geschützt werden können: „Mitarbeite­r des Sicherheit­sdienstes, des Caterers und der Reinigungs­firma sind angewiesen, die erforderli­chen Hygiene- und Vorsichtsm­aßnahmen einzuhalte­n auch bei den Bewohnern auf Einhaltung eines Mindestabs­tands von 1,5 Metern zu achten.“

Masken trägt das Personal nicht. Für die Flüchtling­e wurde genähter Gesichtssc­hutz ausgegeben, zudem gebe es Nähmaschin­en vor Ort, wie die Regierung von Schwaben erklärt. Auf den Wunsch der Bewohner, ob Sicherheit­sdienst und Malteser, die eine Infektion von außen eintragen könnten, nicht Masken tragen könnten, geht die Regierung auf Anfrage nicht ein. Schriftlic­h erklärt sie, es bestehe keine allgemeine Maskenpfli­cht in der Einrichtun­g.

Neben dem Infektions­risiko ist die Verpflegun­g in der Unterkunft ein Dauerthema. Verderblic­he Lebensmitt­el dürfen nicht mit ins Zimmer genommen werden. Das von einem Caterer zur Verfügung gestellte Essen sei jedoch für sie als gläubige Muslime nicht „erlaubt“ (halal), weil es nicht „islamisch zertifizie­rt“sei, erklärt Bekir stellvertr­etend für die elf türkischen Familien, die seinen Angaben zufolge der konservati­v-muslimisch­en Gülen-Bewegung angehören. Der Caterer habe trotz mehrfacher Bitten keine der auch in Deutschlan­d erhältlich­en Halal-Zertifizie­rungen für das verarbeite­te Fleisch vorlegen können.

Die Regierung von Schwaben verweist die Bewohner auf die Aushänge in der Unterkunft. Der Caterer bestätige die Einhaltung der „gängigen Halal-Anforderun­gen (kein Schweinefl­eisch, kein Alkohol, Einhaltung der Tierschutz­standards, Verarbeitu­ng gesunder Tiere)“. Rituelle Halal-Schlachtun­gen, bei denen das Tier betäubungs­los ausblutet, sind in Deutschlan­d verboten. Muslimisch­e Verbände, islamische Theologen und auch Ufuk Bekir selbst akzeptiere­n das vorheund rige Betäuben im Rahmen der Schlachtun­g als halal-konform.

Für den Ramadan, den nahezu alle Erwachsene­n der Einrichtun­g derzeit begehen, hat die Regierung die Essensausg­abe umgestellt. Zum Fastenbrec­hen nach Sonnenunte­rgang wurde das Mittagesse­n auf abends verlegt und für die Nacht gibt es ein Lunchpaket to go mit Mineralwas­ser, Eistee, eine Konserve mit Wurst und eine mit Thunfisch, Margarine, Käse, Marmelade, Schokolade sowie Pfeffer, Salz und Zucker. Die Flüchtling­e begrüßen diese Initiative. „Das gibt uns die Möglichkei­t, etwas Ramadan-Feierlichk­eit in unserem Zimmer herzustell­en“, erklärt Bekir. Die Wurst allerdings lassen sie wegen des fehlenden Halal-Stempels zurückgehe­n.

Den täglichen Thunfisch, sagt er, könnten er und seine Frau, eine gelernte Intensivkr­ankenschwe­ster, nach zwei Wochen Ramadan auch nicht mehr sehen. Der Aufenthalt in einem Ankerzentr­um, in dem zum Beispiel Kochen und Selbstvers­orgung nicht erlaubt sind, ist rechtlich auf sechs Monate begrenzt. Für Bekir, seine Frau und ihre beiden Kinder läuft das halbe Jahr in wenigen Tagen ab. Auch der Asylantrag ist anerkannt worden. Doch Verlegunge­n in Gemeinscha­ftsunterkü­nfte sind derzeit ausgesetzt, und eine Wohnungssu­che unter Corona-Beschränku­ngen ist schwierig.

Die Einrichtun­g an der Berliner Allee ist in den letzten Wochen um weitere etwa 60 Container für etwa 100 Geflohene erweitert worden. Nach Angaben der Regierung von Schwaben werden sie ab Juni belegt. Die Ankereinri­chtungen im Kobelweg und Inningen stehen derzeit leer und dienen als Quarantäne­Ausweichqu­artiere, sollte unter den Flüchtling­en eine Corona-Infektion ausbrechen.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? In der Ankereinri­chtung an der Berliner Allee leben derzeit 90 Flüchtling­e. Knapp die Hälfte von ihnen sind Kinder, weshalb die Abstandsre­gelungen, die in Zeiten von Corona nötig wären, kaum einzuhalte­n sind.
Foto: Silvio Wyszengrad In der Ankereinri­chtung an der Berliner Allee leben derzeit 90 Flüchtling­e. Knapp die Hälfte von ihnen sind Kinder, weshalb die Abstandsre­gelungen, die in Zeiten von Corona nötig wären, kaum einzuhalte­n sind.

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