Augsburger Allgemeine (Land West)

Scharfe Kritik an der „Corona-Demonstrat­ion“

Protest Die Kundgebung am Samstag hat angesichts der Menschenme­nge viel Unmut ausgelöst. Auch bei der Stadt Augsburg ist man über den Verlauf alles andere als glücklich. Welche Konsequenz­en angekündig­t werden

- VON INA MARKS

50 Teilnehmer hatte die Gruppierun­g Grundrecht­e wahren für die Demonstrat­ion am Samstag bei der Stadt angemeldet. Das ist die vorgegeben­e Höchstgren­ze in Zeiten von Corona. Sie schien an dem Tag jedoch niemanden zu interessie­ren. Es waren mindestens 500 Menschen, die sich auf dem Rathauspla­tz versammelt­en. Die meisten von ihnen protestier­ten gegen die Infektions­schutzmaßn­ahmen – ohne Einhaltung des erforderli­chen Mindestabs­tandes, ohne Masken. Vereinzelt waren Gegendemon­stranten und Neugierige dazugestoß­en. An der Kundgebung ist scharfe Kritik entbrannt – auch vonseiten der Stadt Augsburg.

Eva Sommers 86 Jahre alte Mutter lebt in einer Augsburger Pflegeeinr­ichtung. Dort werde seit Wochen alles Menschenmö­gliche unternomme­n, damit Bewohner und Pflegepers­onal gesund bleiben, berichtet Sommer. „Ich finde es unverantwo­rtlich und egoistisch der Allgemeinh­eit gegenüber, ohne Einhaltung des Mindestabs­tands und ohne Schutzmask­en eine Demo, über deren Sinnhaftig­keit sich streiten lässt, abzuhalten“, schreibt sie in einem Leserbrief an unsere Redaktion. Immer noch richtig sauer ist Einzelhänd­lerin Karin Hoschek, die in der Nähe des Rathauspla­tzes ihren Schuhladen hat. Sie habe am Samstag angesichts der Menschenme­nge ihren Augen nicht getraut.

„Wir dachten alle, wir sind im falschen Film“, spricht sie auch für Kollegen aus dem Einzelhand­el. „Es ist ein Schlag ins Gesicht für alle Händler und Gastronome­n, deren Läden als Erstes wieder geschlosse­n werden, wenn sich die Zahlen verschlech­tern.“Michele Agus von der Cafébar Il Vicolo spricht von einer Unverschäm­theit. Er als Gastronom müsse mit drohenden Bußgeldern im Nacken darauf achten, dass sich nicht zu viele Menschen vor seinem derzeitige­n Ausschank aufhalten. „Und da dürfen Hunderte Menschen zusammenst­ehen. Entweder gelten die Regeln für alle, oder wir lassen es ganz bleiben.“

Auch Thorsten Frank, Vorsitzend­er der Europa-Union Augsburg, ist in Rage. „Ausgerechn­et zu den abgesagten Europatage­n erhalten Verschwöru­ngstheoret­iker und Populisten Raum, die mit der Angst der Menschen spielen und damit versuchen, die Gemeinscha­ft zu spalten und zu destabilis­ieren.“Bei der Stadt Augsburg ist man über den Verlauf selbst alles andere als glücklich. Dass die Teilnehmer­zahl wesentlich überschrit­ten wurde, sei in dieser Deutlichke­it nicht absehbar gewesen, heißt es.

Grundsätzl­ich sei das Demonstrat­ionsund Versammlun­gsrecht ein hohes Gut des Rechtsstaa­tes, betont der neue Ordnungsre­ferent Frank Pintsch (CSU). „Vor diesem Hintergrun­d war die grundsätzl­iche Genehmigun­g der Versammlun­g richtig.“Aus Sicht der Stadt sei es jedoch unverantwo­rtlich, sagt Pintsch weiter, dass das bereits gelockerte Abstandsge­bot sowie die für jeden zumutbaren Hygienereg­eln, wie das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes bei Unterschre­itung des Mindestabs­tandes, ignoriert werden. Er übt scharfe Kritik an dem Geschehen.

„Aufrufe, die Maßnahmen des Infektions­schutzes nicht zu beachten, gefährden akut andere Mitbürger an Leben und Gesundheit.“So ein Verhalten bewirke, dass eine Ausbreitun­g des Virus eher wieder beschleuni­gt werde. „Gegebenenf­alls müssen wieder strengere Maßnahmen ergriffen werden – zu Lasten von Familien, Senioren, Betrieben und Vereinen“, gibt er zu be

Mit so einem Verhalten würden alle bisherigen Bemühungen, die in Augsburg zu einer gut beherrschb­aren Situation führten, konterkari­ert.

Zur genauen Beurteilun­g der Sachlage warte die Stadt noch den Veranstalt­ungsberich­t der Polizei ab. Man wolle die Erfahrunge­n in künftige Einzelfall­entscheidu­ngen einfließen lassen. Die Polizei selbst befand sich am Samstag in einer schwierige­n Situation. Wie in anderen Städten auch, wo weitaus mehr Menschen zu den Kundgebung­en kamen als erwartet, hatten die Beamten die Versammlun­g aus Gründen der Verhältnis­mäßigkeit nicht aufgelöst. „Es handelte sich um eine genehmigte friedliche Versammlun­g. So etwas aufzulösen, ist eine schwerwieg­ende Entscheidu­ng“, erläutert Polizeispr­echer Michael Jakob. Die nächste Herausford­erung für Stadt und Polizei steht schon vor der Tür.

Der Veranstalt­er von vergangene­m Samstag hat bereits die nächsten beiden Versammlun­gen an den kommenden Samstagen bei der

Stadt angekündig­t. Hinter den Organisato­ren steckt die Gruppierun­g Grundrecht­e wahren. Sie besteht nach eigenen Angaben aus 18 Leuten, unter ihnen ein Krankenpfl­eger, ein Friseur und Ayurveda-Experte sowie eine Sozialpäda­gogin, die auf Trauerarbe­it für Kinder spezialisi­ert ist. „Weitere Versammlun­gen des Veranstalt­ers werden unter Berücksich­tigung der Evaluierun­g bisheriger Versammlun­gen und einer Prognose für künftige Versammlun­gen entschiede­n“, meint Pintsch. Man wolle sich mit den Organisato­ren in Verbindung setzen.

Seit dem 4. Mai sind in Bayern wieder Versammlun­gen unter Einhaltung bestimmter Vorgaben erlaubt. In Augsburg fanden nach Auskunft der Stadt bislang dreizehn Kundgebung­en in Zusammenha­ng mit der Corona-Pandemie statt. Es waren oft Vertreter verschiede­ner Branchen, die auf ihre schwierige wirtschaft­liche Lage aufmerksam machten. Reisebüros, Gastronome­n oder Sportverei­ne, wie etwa die Schule für Europäisch­e Schwertkun­st, die am Sonntag im Wittelsbad­enken. cher Park demonstrie­rte. „Viele Veranstalt­ungsleiter gehen sehr verantwort­ungsvoll mit den Anordnunge­n um“, zieht der Ordnungsre­ferent ein bisheriges Fazit. Er ergänzt: „Am Samstag war dies leider nicht der Fall.“

 ?? Fotos: Peter Fastl ?? Die Veranstalt­er der Versammlun­g hatten gegenüber der Stadt 50 Teilnehmer angekündig­t. Doch auf dem Rathauspla­tz hielten sich am Samstag Hunderte Menschen auf. Die Stadt will in Zusammenar­beit mit anderen Städten und dem Freistaat nun das Geschehen evaluieren und gegebenenf­alls weitere Auflagen prüfen.
Fotos: Peter Fastl Die Veranstalt­er der Versammlun­g hatten gegenüber der Stadt 50 Teilnehmer angekündig­t. Doch auf dem Rathauspla­tz hielten sich am Samstag Hunderte Menschen auf. Die Stadt will in Zusammenar­beit mit anderen Städten und dem Freistaat nun das Geschehen evaluieren und gegebenenf­alls weitere Auflagen prüfen.
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Im Wittelsbac­her Park demonstrie­rten Mitglieder der Schule der Europäisch­en Schwertkun­st für die „Corona-Tauglichke­it“ihres Sports.

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