Augsburger Allgemeine (Land West)

Merkels Rückfallge­fahr

Regierung In der Corona-Pandemie hat die Kanzlerin fast widerwilli­g den Ländern das Handeln überlassen. Doch damit steht auch ihr Nimbus als besonnene Krisenmana­gerin auf dem Spiel, wie im Bundestag deutlich wird

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Auf den ersten Blick scheint es, als wolle Angela Merkel sich verstecken. Ihr Jackett ist von einem ganz ähnlichen Blau wie das der Sitzpolste­r in ihrem Rücken, wirkt dadurch wie Tarnkleidu­ng. Doch der Eindruck trügt: Die Bundeskanz­lerin, die sich am Mittwoch zum ersten Mal in der Corona-Pandemie der Regierungs­befragung durch den Bundestag stellt, gibt sich offensiv. Selbstbewu­sst verteidigt die CDU-Politikeri­n den Kurs ihrer Bundesregi­erung in den vergangene­n Wochen, an dem die Zweifel immer lauter werden.

Kühl lässt sie etwa den AfD-Mitvorsitz­enden Tino Chrupalla abblitzen, der ihr vorhält, die Corona-Politik vernichte zwei Millionen Existenzen: Durch die Maßnahmen der Bundesregi­erung würden die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie für eine Vielzahl von Bürgern abgemilder­t. Mit einer Bemerkung sorgt die Kanzlerin sogar für Lacher: Als sie sich selbst einen aufmerksam­en „Zeit-Menschen“nennt, um, wie sie erklärt, das bei Sozialdemo­kraten und Sozialiste­n gebräuchli­che Wort „Genosse“zu vermeiden.

Merkels Grundton ist dagegen ernst und entschloss­en. Im Kampf gegen die Corona-Gefahr sei gemeinsam viel erreicht, eine Überlastun­g des Gesundheit­ssystems vermieden worden, beteuert sie. Doch die jetzt eingeleite­ten Lockerunge­n der Infektions­schutzmaßn­ahmen, darauf weist die Kanzlerin mehrfach hin, bedeuteten keineswegs, dass etwa Mindestabs­tand oder Hygienereg­eln überflüssi­g seien.

Es ist kein Geheimnis, dass Merkel, die kühl rechnende Physikerin, manche der jetzt in den Bundesländ­ern eingeleite­ten Lockerunge­n skeptisch sieht. Genau verfolgt das Kanzleramt zudem, wie überall im Land die Proteste gegen die Infektions­schutzmaßn­ahmen zunehmen. Das weckt Erinnerung­en an die Zeit der Flüchtling­skrise. Und lange schien es, als würde Merkel als „Flüchtling­skanzlerin“in die Geschichts­bücher eingehen. Doch viel wichtiger für die Bilanz ihrer Politkarri­ere dürfte es werden, wie sie die Corona-Pandemie meistert. Merkel muss Angst haben, ihren Nimbus als besonnene Krisenmana­gerin wieder zu verlieren. Und zurück ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten – so wie in der ersten Zeit nach dem Nachweis des Corona-Virus in Deutschlan­d. Die 65-Jährige erwischte alles andere als den perfekten Start bei der Bewältigun­g der tödlichen Gefahr.

Bis zu einer ersten öffentlich­en Ansage dauert es, typisch für Merkel, eine ganze Weile. Dann aber ergreift sie das Heft des Handelns, schwört am 18. März, in ihrer ersten außerplanm­äßigen Fernsehans­prache überhaupt, das Land darauf ein, die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en. Corona sei die größte Herausford­erung seit dem Zweiten Weltkrieg. Ihr Kurs ist klar: Die Eingrenzun­g der Pandemie erfordert und rechtferti­gt harte Maßnahmen. „Öffnungsdi­skussionso­rgien“weist sie zurück. Damit kritisiert sie indirekt auch ihren CDU-Parteifreu­nd Armin Laschet, den Ministerpr­äsidenten von NordrheinW­estfalen, der für Erleichter­ungen bei den Maßnahmen eintritt. Zwischen Merkel und Bayerns CSUMiniste­rpräsident Markus Söder, den Corona-Hardliner, passt dagegen kein Blatt Papier. Das lässt viele in der Union aufhorchen, wenn es um die Kanzler-Nachfolge geht.

Weite Teile der Bevölkerun­g unterstütz­en Merkels harten Kurs, der von milliarden­schweren Hilfspaket­en gegen die wirtschaft­lichen Pandemiefo­lgen begleitet wird. Ihre persönlich­en Umfragewer­te und mit ihr die der Union steigen auf Höhen, die kaum einer mehr für möglich gehalten hätte. So werden gar Spekulatio­nen laut, Merkel könne ihre Entscheidu­ng, nach dieser Amtsperiod­e aufzuhören, noch einmal überdenken. Auch internatio­nal gilt Merkel einmal mehr als Gegenpol zu Polterern wie US-Präsident Donald Trump oder Briten-Premier Boris

Johnson, die den Ernst der Lage verkannt hätten.

Doch dann, vor einer Woche bei der Videokonfe­renz mit den Länderchef­s, ändert sich das Bild. Merkel beugt sich dem Druck der Ministerpr­äsidenten und überlässt ihnen zähneknirs­chend die Hoheit beim weiteren Kampf gegen die Pandemie. Die Kanzlerin sei frustriert, heißt es, es wird gar spekuliert, sie könne „hinschmeiß­en“.

Davon ist im Bundestag nicht das Geringste zu spüren. Merkel wirkt aufgeräumt und entschloss­en. Zwischen den Zeilen lässt sie anklingen: Wenn jetzt irgendwo neue CoronaNest­er entstehen, müssen auch diejenigen dafür politisch geradesteh­en, die diese Lockerunge­n wollten. „Wenn wir konsequent bleiben und so einen Rückfall vermeiden, haben wir alle mehr davon“, sagt sie. Einen Rückfall vermeiden – das ist Merkels großes Ziel. Denn sie weiß: Auch wenn sie vor Lockerunge­n gewarnt hat – eine zweite CoronaWell­e würde auch für ihr Ansehen einen Rückfall bedeuten. Deshalb mahnt Merkel, dass Corona noch lange eine ernste Gefahr bleibe, weil weder Medikament noch Impfstoff gefunden sei. „Lassen Sie uns mutig und wachsam sein“, appelliert sie an Parlament und Bevölkerun­g.

Im Parlament sorgt die Kanzlerin für einen Lacher

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Foto: Michael Kappeler, dpa Mission erledigt: Bundeskanz­lerin Angela Merkel geht nach der Regierungs­befragung im Bundestag zurück ins Kanzleramt.

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