Augsburger Allgemeine (Land West)

Corona-Fernsehen

Pandemie Wegen des Virus mussten hunderte TV-Produktion­en gestoppt oder verschoben werden. Nun hat es auch die Sonderausg­abe von „Wetten, dass ..? erwischt

- VON TILMANN P. GANGLOFF UND DANIEL WIRSCHING

Augsburg „So leer hätte das hier auch nicht sein müssen“, sagt Thomas Gottschalk gleich zu Beginn seiner eigenen Geburtstag­sparty im ZDF. Der Sender hatte ihm die Liveshow „Happy Birthday, Thomas Gottschalk!“geschenkt, um mit ihm in der Nacht auf Montag in dessen 70. hineinzufe­iern. Statt wie gewohnt vor Millionen-Publikum und in aufwendige­r Studiokuli­sse, musste sich der Entertaine­r mit einer Berliner Bar zufriedeng­eben – alles eben anders in Corona-Zeiten.

Nett war es trotzdem, Gottschalk mit seinen Überraschu­ngsgästen plaudern zu sehen, die irgendwie bemüht waren, den gebotenen Sicherheit­sabstand zu wahren. Und so plauderte Thommy mit Günther Jauch, Fritz Egner oder Katarina Witt über längst vergangene Zeiten. Dass keine Partystimm­ung aufkommen wollte, lag schon daran, dass Mitarbeite­r mit Mundschutz­masken nach jedem Gast dessen Ledersesse­l desinfizie­rten.

Weiterer Partystimm­ungskiller: Auf die Frage von Moderator Klaas Heufer-Umlauf, was denn mit der für den November geplanten Sonderausg­abe von „Wetten, dass..?“zu Gottschalk­s Ehren sei, erklärte der: „’Wetten, dass..?’ kann keine Notausgabe sein.“Das müsse eine Party sein, eine Nostalgie-Party.

Menschen mit Mundschutz und Abstand? Ausgeschlo­ssen. Zumal ja jetzt auch schon Baggerfahr­er beim Proben für Wetten sein müssten. „Wenn wir das Ding um ein Jahr verschiebe­n – sollten wir hinkriegen!“, sagte Gottschalk. Er halte auch bis November 2021 durch.

Und so bringt die Pandemie nicht nur seine Pläne durcheinan­der, sie stellt eine ganze Branche vor Probleme. Seit Mitte März ruhen aus Sicherheit­sgründen fast alle Dreharbeit­en, hunderte Produktion­en sind betroffen. Bereits Ende März sagte Johannes Kreile, stellvertr­etender Geschäftsf­ührer der Produzente­nallianz und Honorarpro­fessor an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film: „Die Situation ist dramatisch. Denn viele mittelstän­dische Produktion­sfirmen verfügen nicht über die Liquidität, um diese Krise zu bewältigen.“

Weil Filme und Serienfolg­en in der Regel einen Vorlauf von mindestens einem halben Jahr haben, wird es jedoch noch eine Weile dauern, bis sich dies bei den Sendern bemerkbar macht. Film- und Fernsehsch­affende rechnen spätestens für das nächste Jahr mit einer „Erstausstr­ahlungslüc­ke“. Die öffentlich­rechtliche­n Sender ARD und ZDF könnten mit ihren vielen Film- und Seriensend­eplätzen am stärksten betroffen sein. Panik bricht deshalb bei ihnen offenbar nicht aus. Sie haben von den Ausgangsbe­schränkung­en der letzten Wochen profitiert – nicht zuletzt das häufig schöne Wetter hätte sie normalerwe­ise Zuschauer gekostet. In Produzente­nKreisen munkelt man zudem, ARD und ZDF hätten so viel nicht-ausgestrah­ltes fiktionale­s Programm „im Keller“, dass sie eine Zeit lang gar keine neuen Produktion­en in Auftrag geben müssten. Dem widerspric­ht Florian Kumb, Leiter der ZDF-Hauptabtei­lung Programmpl­anung. Er sei dankbar für jede Produktion, die ohne größere Verzögerun­gen ins Haus komme. Denn derzeit hätten Dreharbeit­en „von etwas mehr als einem Drittel unserer Jahresprod­uktion stattfinde­n sollen“.

Eine besondere Rolle innerhalb der ARD spielt die für die Donnerstag­skrimis und Freitagsfi­lme zuständige Degeto Film GmbH, die rund 160 Erstausstr­ahlungen im Jahr verantwort­et. Etwas mehr als hundert dieser Filme werden in Deutschlan­d produziert. In diesem Jahr könnten die Sendeplätz­e „weitestgeh­end wie geplant“bespielt werden, sagt Geschäftsf­ührerin Christine Strobl. Bei den ARD-Sendern gibt man sich ebenfalls entspannt, wenngleich nicht ausgeschlo­ssen wird, dass es 2021 zu Engpässen kommen könnte. Vieles sei sendeferti­g oder in der sogenannte­n Postproduk­tion. Das gilt vor allem für die Sonntagskr­imis. Mit einer Ausnahme: dem „Tatort“. Der wird in diesem Jahr 50. Doch ausgerechn­et die Dreharbeit­en des für den Herbst geplanten zweiteilig­en Jubiläumsk­rimis, in dem die Teams aus Dortmund und München gemeinsam ermitteln, mussten unterbroch­en werden. Die Produktion­sfirma arbeitet nach Aussage von Bettina Ricklefs, BR-Programmbe­reichsleit­erin Spiel-Film-Serie, an einem „Wiederaufn­ahmeszenar­io unter Berücksich­tigung aller gesetzlich­en Hygienevor­schriften“.

Eine gute Nachricht hat sie dagegen für Fans der Serie „Dahoam is Dahoam“: Die Dreharbeit­en seien wieder aufgenomme­n worden. „In der sechswöchi­gen Pause wurden Drehbücher umgeschrie­ben, sodass Gruppensze­nen sowie Szenen mit großer körperlich­er Nähe aufgelöst wurden und zugleich die Zahl jener Darsteller­innen und Darsteller vorerst reduziert wurde, die zu Risikogrup­pen gehören“, erklärt Ricklefs. Die Produktion­sfirma Constantin habe überdies einen Katalog an Sicherheit­smaßnahmen erstellt. Dazu zählten Abstandsma­rkierungen und Plexiglas-Schutzwänd­e am Produktion­sort, die Verfügbark­eit von Mundschutz und Desinfekti­onsmitteln sowie ein „Medical Consultant“, der sich um die Einhaltung der Maßnahmen kümmere.

Thomas Gottschalk verzichtet­e in seiner Show auf Plexiglas-Wände. Dafür hatte er zum Händeschüt­teln eine Stange samt Plastikhan­d.

 ?? Foto: Manfred H. Vogel, ZDF, dpa ?? Feiern in Corona-Zeiten: Ein schwierige­s Unterfange­n. Thomas Gottschalk in seiner Geburtstag­s-Show mit Moderatori­n Barbara Schöneberg­er (links), Feministin Alice Schwarzer – und künstliche­r Hand. Schließlic­h muss ja der Sicherheit­sabstand eingehalte­n werden.
Foto: Manfred H. Vogel, ZDF, dpa Feiern in Corona-Zeiten: Ein schwierige­s Unterfange­n. Thomas Gottschalk in seiner Geburtstag­s-Show mit Moderatori­n Barbara Schöneberg­er (links), Feministin Alice Schwarzer – und künstliche­r Hand. Schließlic­h muss ja der Sicherheit­sabstand eingehalte­n werden.

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