Augsburger Allgemeine (Land West)
Der Milliarden-Poker um die Lufthansa
Finanzen Die Rettung der angeschlagenen Fluggesellschaft wird für die Beteiligten zur Geduldsprobe. Und sorgt für Spannung an der Börse
Augsburg Das Schreckgespenst der Insolvenz in Eigenregie ist bei der Lufthansa wohl verflogen. Von einem neuen Durchstarten ist die angeschlagene Fluggesellschaft aber noch weit entfernt. Eine grundsätzliche Einigung über die geplanten Staatshilfen gibt es, die strengen Auflagen der EU-Kommission bringen den Aufsichtsrat der Airline aber ins Grübeln. Noch wird gepokert. Die Bundesregierung hat sich bereits auf die Seite der Lufthansa gestellt und ist in Gesprächen mit Brüssel. Ergebnisse der Verhandlungen werden erst nach Pfingsten erwartet. Experten empfehlen darum Geduld.
Auf die setzt offenbar auch die Führungsriege der Lufthansa. Der Aufsichtsrat hat seine Entscheidung über das neun Milliarden schwere Hilfspaket wegen der Auflagen der EU-Kommission – die ebenfalls noch zustimmen muss – vertagt. Mit Staatshilfe, so die EU-Kommission, müsse die Lufthansa die Start- und Landerechte an verschiedenen Flughäfen unter Umständen an andere Airlines abgeben. Sonst drohe Wettbewerbsverzerrung. Die EUKommission kontrolliert auch in der Corona-Krise, ob Hilfspakete zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Es gibt aber nicht immer Probleme.
In Italien ist die dauerklamme Alitalia nach etlichen Überbrückungskrediten vollständig verstaatlicht worden. Auch Kredite und Garantien des französischen Staats für die Air France hatte die Kommission genehmigt. Nationale Debatten gibt es aber auch dort. Der französische Wirtschaftsminister, Bruno Le Maire, hat das Hilfspaket in Höhe von sieben Milliarden Euro ebenfalls an Bedingungen knüpft. Die Air France müsse die Fluglinie werden, „die die Umwelt am meisten respektiert“. Es gebe „keinen Blankoscheck“, sagte Le Maire: Air France solle einen Plan zum Abbau von Emissionen vorstellen, seine Flotte erneuern und Inlandsflüge auf Strecken streichen, die in weniger als zweieinhalb Stunden per Zug zurückgelegt werden können. Frankreich und die Niederlande halten einen Anteil von jeweils knapp 14 Prozent an der Air-France-KLMGruppe, die 2004 aus der Fusion beider Fluggesellschaften entstanden war.
Bei der Lufthansa-Rettung gibt es wohl Probleme wegen der vorgesehenen Stärkung des Eigenkapitals durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Neben stillen Einlagen von bis zu 5,7 Milliarden Euro soll der Staat mittels WSF auch 20 Prozent der Lufthansa-Aktien für 300 Millionen Euro kaufen – zum Nennwert der Papiere für 2,56 Euro pro Aktie. Das sei zwar nur ein Bruchteil des aktuellen Kurses und rein rechnerisch könnte der Kurs dadurch verwässern, sagt Analyst Wolfgang Donie von der Norddeutschen Landesbank auf Nachfrage: „Aber das zeigt sich nicht am Markt, hier überwiegen die Perspektiven, die sich für die Lufthansa durch das Hilfspaket ergeben.“Dadurch bleibe der Aktienkurs stabil.
Der Experte ist sich sicher, dass die Lufthansa das Rettungspaket dringend braucht. „Ansonsten droht ein Schutzschirmverfahren“, warnt er. Das hatte die Lufthansa schon früh als Alternative zu den Staatshilfen und als Druckmittel ins Spiel gebracht. Dabei handelt es sich um eine milde Form der Insolvenz, die weitreichende Folgen für Eigentümer, Lieferanten, Beschäftigte und Kunden der Airline hätte. Die Börse gehe allerdings generell davon aus, dass es zu einer Rettung kommen wird, sagt Donie. Aber er warnt: „Für Anleger ist meiner Meinung nach aktuell allerdings noch Vorsicht angesagt.“Die Lufthansa-Aktie sei nach wie vor sehr volatil und die Aktienmärkte allgemein schon wieder auf einem sehr hohen Niveau, erklärt der Experte: „Der Dax ist nur noch knapp 2000 Punkte vom Vor-Corona-Niveau entfernt, die aktuellen Kurse halte ich für sehr ambitioniert.“Das zweite Quartal werde „verheerende Zahlen“bringen, mahnt er: „Vielleicht ist das alles schon im aktuellen Kurs eingepreist, aber ich rate eher zu vorsichtigem Agieren.“
Der Lufthansa droht nun sogar der Abstieg in den MDax. Am kommenden Donnerstag will die Deutsche Börse darüber entscheiden. Für Donie ist dieser Umstand jedoch nebensächlich: „Die Lufthansa gehörte schon vor der Krise zu einem der kleinsten Werte im Dax.“Falls das Unternehmen tatsächlich aus dem Index fliege, könnten Aktienverkäufe großer Index-Fonds kurzfristig für negative Kurse sorgen. „Aber es geht nur um ein paar Prozent. Langfristig ist das Thema nicht annähernd so relevant wie die CoronaKrise“, beschwichtigt der Analyst.
Mindestens bis 2023 oder 2024 werde es seiner Meinung nach wohl dauern, bis sich die Lufthansa wieder auf Vorkrisenniveau erholt hat. Die Staatshilfen seien dabei dringend nötig, um die Solvenz zu erhalten. „Aber sie sind auch eine Bürde“, sagt Donie. Die Zinsen für die Kredite dürften sich anfangs auf rund 350 Millionen Euro jährlich belaufen, schätzt der Analyst, später werden sie deutlich steigen: „Dann kommt es richtig dick. Die neun Milliarden Staatshilfe sind schon eine Hausnummer, das muss das
Unternehmen erstmal wieder reinwirtschaften und zurückzahlen.“Dennoch könnte die Lufthansa langfristig zu den Gewinnern der Krise zählen, vermutet er: „Corona beschleunigt die Marktbereinigung der letzten Jahre. Davon könnte die Lufthansa langfristig profitieren.“
Eine feindliche Übernahme der Lufthansa schließt Volker Brühl, Geschäftsführer des Center of Financial Studies an der Goethe-Universität Frankfurt, aufgrund der Aktionärsstruktur aus. Etwas mehr als 80 Prozent der Lufthansa-Anteile liegen in Deutschland. Falls tatsächlich ein Übernahmeangebot kommen sollte, könnte der Staat seine geplanten Anteile auf 25 Prozent plus eine Aktie erhöhen. Diese Sperrminorität würde eine feindliche Übernahme unattraktiv machen. Und Brühl rechnet damit, dass der Bund mehrere Jahre Aktionär der Lufthansa bleiben wird.
Auch er geht davon aus, dass sich eine Rettung positiv auf den Aktienkurs auswirken wird. Die aktuelle Unsicherheit locke aber spekulative Anleger wie Hedgefonds an, sagte der Experte: „Zurzeit ist die Kursentwicklung derart schwankend, dass ich Privatanlegern von einem Einstieg abraten würde.“Es bleibt in Sachen Lufthansa-Rettung deshalb für alle Beteiligten eine Frage der Geduld.