Augsburger Allgemeine (Land West)
Nicht nur Fassbinder profitierte von ihrer Kunst
Nachruf Die Schauspielerin Irm Hermann zählte zu den markantesten Erscheinungen des deutschen Kinos
Fast mutet es wie eine besondere Volte des Schicksals an, dass Irm Hermann gerade jetzt gestorben ist. In einem Moment, in dem Cineasten Anlass haben zum Gedenken an Rainer Werner Fassbinder (1945– 1982), der kommenden Sonntag, am 31. Mai, 75 Jahre alt geworden wäre. Und eben jetzt, vergangenen Dienstag, ist diese Schauspielerin aus dem Leben geschieden, deren Name, deren Gesicht, deren ganze Präsenz untrennbar mit dem Filmschaffen Fassbinders verbunden ist. Auch wenn ihr das Enfant terrible des jungen deutschen Films nie seine ganz großen Frauenrollen anvertraut hat – im Gegensatz zu Hanna Schygulla –, Irm Hermann war in vielen seiner großen Arbeiten vertreten. Ja, wenn Fassbinder lief, wartete man buchstäblich darauf, dass die nächste Einstellung Irm Hermanns markante Züge erfasste.
Sie war keine klassische Filmschönheit – und doch eine Erscheinung, die in der ihr eigenen Weiblichkeit zu faszinieren vermochte. Die gebürtige Münchnerin verkörperte einen süddeutschen, eher ländlichen, aber durchaus eleganten Typus, verstärkt durch ein artifiziell-bayerisches Idiom. Entsprechend oft und keineswegs nur von Fassbinder wurde sie in diesem Spektrum besetzt. Etwas Herbes umspielte ihr Gesicht, und vor allem lag darin ein Geheimnis, an dessen Ergründung sich Hermanns Partner in den Film-Plots ebenso abarbeiteten wie das Publikum vor der Leinwand. Sie war die lauernd Durchtriebene, die undurchsichtige Kühle, aber auch die Vergrämte, die ihr Schicksal tief in sich abgesenkt hatte: Frauengestalten, die zumeist kleinbürgerlichen Verhältnissen entstammten.
So wie Irm Hermann selbst. 1942 als Irmgard Hermann geboren, stammte sie eigener Aussage zufolge „aus einem strengen, kleinbürgerlichen Elternhaus“, und das bedeutete zunächst einmal Ausbildung zur
Verlagskauffrau und Arbeit als Sekretärin beim ADAC. Der Wunsch, diesem Milieu zu entkommen, war stark, und er ließ sich realisieren, als sie Mitte der 60er Jahre mit dem Mann zusammentraf, der den Anstoß zur entscheidenden Wende gab, Fassbinder. „Er las die ganze Nacht aus einem unveröffentlichten Kitsch-Roman, und die Art, wie er das tat, faszinierte mich sofort“, erinnerte sich Irm Hermann später an die erste Begegnung. Im Kurzfilm „Der Stadtstreicher“hatte sie ihren ersten Auftritt vor der Kamera, sie wurde Fassbinders Geliebte, aber auch sein „Mädchen für alles“. Anfang der 70er löste sie sich aus der Bindung und zog nach Berlin.
In etwa 20 Fassbinder-Filmen war sie beteiligt, darunter Perlen seines Oeuvres wie „Katzelmacher“, „Angst essen Seele auf“, „Effi Briest“oder „Lili Marleen“.
Doch schon bald wurden auch andere Regisseure auf die Schauspielerin aufmerksam, Reinhard Hauff und Hans W. Geissendörfer ebenso wie Percy Adlon und Werner Herzog. Auch weil sie mit Zusagen nicht wählerisch war, wurde Irm Hermann zu einer der markantesten Erscheinungen des deutschen Kinos, an deren Ausstrahlung bald auch das Fernsehen nicht mehr vorüber mochte. Wobei sie, wie sich zunehmend herausstellte, auch starke komödiantische Akzente zu setzen vermochte. Unvergessen ihre Tante Hedwig in Loriots „Papa ante portas“. Für das Anarchische hatte sie immer ein Faible, wie ihre wiederholte Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief bewies, der sie unter anderem mitnahm in „Das deutsche Kettensägenmassaker“. Um Irm Hermann trauert nicht nur die Fassbinder-Gemeinde.