Augsburger Allgemeine (Land West)
Aus dem Herzen gemacht
Pop Die Sängerin Stacia und der Soundtüftler Moritz Wunderwald machen als Polaroyds gemeinsame Sache. Eine erste Single fand auf Anhieb viel Resonanz. Nun legt die Gruppe ihre erste EP vor
Ein Polaroid ist eine verblüffende Erfindung. Unter einem trüben Grau schimmern bleiche Farben, die kurz darauf einen bunten Ausschnitt des Lebens auf dem Fotopapier erscheinen lassen. Das Zaubermittel ist im Papier versteckt, das Drücken des Auslösers setzt eine chemische Reaktion in Gang.
Die Chemie zwischen den Elementen Anastasiya Tsaregorodtseva und Moritz Wunderwald passte auch. Und so verbanden sich die beiden zu einer funktionellen Gruppe namens Polaroyds.
Wunderwald begann als Schlagzeuger in Punkbands, interessierte sich aber mehr und mehr für das Auflegen elektronischer Musik und deren Produktion. Tsaregorodtseva ist unter ihrem Bühnennamen Stacia längst keine Unbekannte mehr. 2016 gewann sie als Solokünstlerin den Band-des-Jahres-Wettbewerb, und wer wie sie einmal das Modular gespielt hat, ist eh nicht nur in der Augsburger Popwelt etabliert, sondern auch weit darüber hinaus. Verlegt wird ihre Musik über Universal Publishing; das ist auch nicht unbedingt der kleinste Fisch im Haifischbecken des Musikgeschäfts.
Zuerst fertigte Wunderwald Remixe von Stacias Songs an, veröffentlicht unter dem Namen Stacia X Wunderwald. Die klangen, als wären sie bei Sonnenaufgang am Strand von Ibiza bei einem letzten Glas Kokoslikör nach einer großen AcidHouse-Party entstanden. Einen Plan für ein gemeinsames Projekt gab es damals aber noch nicht. Wie ein Polaroid „hat es sich einfach so selbst entwickelt“, erzählt Stacia. „Ich wollte nicht unbedingt noch eine ,richtige‘ Band neben meinen Solosachen. Es hat einfach wahnsinnig Spaß gemacht, die ersten
Sessions zusammen zu spielen.“Diese ersten Sessions wurden in Berlin aufgenommen. Durch Stacias Zusammenarbeit mit Universal können sie dort ein Studio nutzen, der kalte und graue Hauptstadtherbst blies die letzten Mittelmeersonnenstrahlen aus der Musik. „Wir haben nicht geplant, so düster zu klingen. Das war auch beeinflusst der Atmosphäre der Stadt“, so Wunderwald. Wer einmal im November am Spreeufer stand und durch den dunkelgrauen Dunst die Gebäude auf der anderen Seite erahnte, weiß, wovon er spricht.
Der andere, nicht zu verleugnende Einfluss auf den dunklen Synthwave-Sound des Duos ist die Ästhetik der 80er Jahre. Polaroyds sind zu jung, als dass sie noch selbst mit toupiertem Haar und Tränen in den Augen zu Joy Division oder New Order tanzen konnten. Vielmehr war es die selbst mit Düsterheit nicht sparende US-Mysteryserie „Stranger Things“, die den beiden die Türen zur dunklen, irgendwie basslosen Popmusik dieses speziellen Jahrzehnts öffnete. Dass sie davon mit den richtigen Pfad eingeschlagen hatten, zeigte sich dem Duo mit der ersten Single „The One“aus dem Jahr 2017. Da fanden sie sich in den Playlisten der großen Streamingportale auf einmal neben Madonna wieder und bekamen vom Zundfünk und von Puls ordentliche Rotation.
Und nun wird am 29. Mai zum ersten Mal eine komplette selbstbetitelte EP veröffentlicht. „Der Name Polaroyds für die EP passt einfach am besten, da sie ein Roundup von allem ist, was bisher mit der Band passiert ist“, erklärt Moritz Wunderwald. Sechs Songs der Platte wurden schon einzeln veröffentlicht, der siebte war bis dahin noch nie gehört: „He Wants Me“ist ein reduzierter, glasklar produzierter Popsong, sein sparsamer Beat macht auch gerne eine kleine Pause, wenn Stacias helle Stimme Licht über dämmergraue Synthesizer und hallende Single Notes der Gitarre strahlt.
Vorerst digital auf allen gängigen Streamingportalen, vielleicht aber auch später als physischer Tonträger erscheint die EP beim kleinen Kulmbacher Label AdP. Die Polaroyds waren die erste Band, die durch den klassischen Weg – also Demo hinschicken und einen Rückruf bekommen – in den exquisiten Katalog des Labels aus feinen lokalen und internationalen Elektround Indiebands aufgenommen wurden.
Die abgesagte Tour in diesem Sommer wird auf nächstes Jahr verschoben, die gewonnene Zeit wird vielleicht genutzt, um aus dem großen Fundus an Ideen, welche die Polaroyds noch im Proberaum liegen haben, ein Album zu basteln. Wenn es erscheint, wird wie auf der EP Musik zu hören sein, so Stacia, „die aus dem Herzen gemacht ist“.