Augsburger Allgemeine (Land West)
SpectrumAttacke: Der Mordvorwurf ist vom Tisch
Justiz Es muss ein heftiger Angriff gewesen sein: Vor dem Musik-Club soll ein 36-Jähriger einen Mann so fest geschlagen haben, dass dieser fast an seinen Verletzungen gestorben wäre. Nun wurden im Prozess die Plädoyers vorgetragen
Der Gutachter, der die Verletzungen des Opfers im Gerichtssaal analysiert, spricht lange. Er erwähnt „Blutanteile im Hirngewebe selbst“, „Kompressionsfrakturen an der Wirbelsäule“, eine „Schädelfraktur, bis zur Schädelbasis reichend“. Es lässt sich so zusammenfassen: Martin R. (Namen geändert), 51 Jahr alt, war an jenem Abend im Dezember 2019, um den es hier geht, großer Gewalt ausgesetzt; er wurde schwer verletzt. Filip K., 36 Jahre alt, ein breitschultriger, trainiert wirkender Mann, soll auf Martin R. vor dem Eingangsbereich des Musik-Clubs Spectrum eingeschlagen und ihm schwerste Verletzungen zugefügt haben. Dass es so war, steht eigentlich nach dem ersten Prozesstag im September fest. Nur: Wie ist er dafür zu bestrafen?
Filip K. steht seit Wochen vor dem Augsburger Landgericht. Der Fall wird vor dem Schwurgericht verhandelt, es ging in der Anklage der Augsburger Staatsanwaltschaft unter anderem um versuchten Mord. Darum geht es nun, nach Aussage aller Zeugen, nicht mehr. In seinem Plädoyer sagt Staatsanwalt Michael Nißl, zum Zeitpunkt der Anklage sei noch vom Mordmerkmal der Heimtücke auszugehen gewesen. Im Lauf des Prozesses hätten sich aber Details anders dargestellt als ursprünglich angenommen. So spreche etwa vieles dafür, unter anderem die Aussage des Gutachters, dass das Opfer zum Zeitpunkt des Angriffs dem Angeklagten zugewandt war. Zunächst waren die Ermittler davon ausgegangen, dass die Attacke von hinten erfolgte, ohne dass Martin R. zu einer Reaktion fähig gewesen wäre.
Nißl forderte wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten und eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für Filip K. Der Angeklagte hatte sich bereit erklärt, seinem Opfer im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleiches 20 000 Euro zahlen zu wollen, was Martin R. akzeptierte. Zudem habe er sich ernst gemeint entschuldigt, was sein Opfer im Gerichtssaal auch akzeptierte. Auf der anderen Seite müsse der Angeklagte von Glück sagen, dass Martin R. nicht mehr passiert sei, sagte Nißl. Es habe zwei schwungvolle Schläge ins Gesicht gegeben, als Martin R. bereits am Boden lag.
Beide Verteidiger des Angeklagten, Frank Thaler und Ulrich Swoboda, schlossen sich dem Antrag des Staatsanwaltes an – eine durchaus nicht übliche Konstellation bei Verfahren dieser Art und Tragweite. Thaler sagte, er zolle Nißl Respekt dafür, dass er von seiner eigenen Anklage abgewichen sei und auch entlastende Faktoren berücksichtigt habe. Dass sich die Situation letztlich anders darstellte, als es nach
Aktenlage zunächst ausgesehen habe, befand auch Anwalt Marco Müller, der als Nebenklagevertreter das Opfer im Prozess vertrat. Es gehe seinem Mandanten nicht darum, dass der Angeklagte eine möglichst hohe Strafe bekomme, sondern darum, dass er so ein Verhalten nicht wiederhole.
Laut Anklage war Filip K. in der Tatnacht von Türstehern des Spectrum abgewiesen worden, wohl weil er schwer betrunken gewesen war. Über zwei Promille Alkohol hatte er nach Angaben eines Gutachters wohl zur Tatzeit im Blut, nach eigener Aussage hatte er eigentlich den ganzen Tag über getrunken. Das spätere Opfer, Martin R., verließ den Musik-Club gegen zwei Uhr nachts und versuchte den Ermittlungen zufolge dem Angeklagten zu erklären, warum die Türsteher so reagierten. Als der Angeklagte ihn anfuhr, er solle nicht „dumm daherreden“, ging der 51-Jährige demnach weiter, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden.
Mutmaßlicher Täter und Opfer begegneten sich in der Nacht das erste Mal, sie kannten sich nicht. Laut Anklage lief der 36-Jährige dem älteren Mann hinterher, um ihn zusammenzuschlagen; offenbar war er frustriert, nicht in den Club eingelassen worden zu sein. Der Anklage zufolge schlug der Angeklagte dem 51-Jährigen derart heftig mit der rechten Hand gegen den Kopf, dass Martin R. gegen einen Laternenmasten prallte und benommen zusammensackte. Als er am Boden lag, soll der Angeklagte sich über ihn gebeugt und ihm noch zwei Mal mit voller Wucht Faustschläge verpasst haben.
Petra R., Ehefrau des Opfers, hatte am ersten Verhandlungstag gesagt, ihr Mann habe sich nach der Tat verändert, er sei jetzt aufbrausender als früher und habe körperliche Probleme wie Kopfschmerzen und Schwindelattacken. Die Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser will am Freitag das Urteil fällen.
Entlastende Faktoren wurden berücksichtigt