Augsburger Allgemeine (Land West)

Winter der Wahrheit für die deutsche Wirtschaft

Konjunktur­ell läuft es insgesamt besser als noch im Frühjahr befürchtet. Wenn ein zweiter Lockdown verhindert werden kann, steht eine weitere Erholung bevor

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger‰allgemeine.de

Das mit dem Schutz der Vernünftig­en vor den Unvernünft­igen, wie es Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder anstrebt, ist ein schwierige­s Unterfange­n für die Politik. Mit Appellen allein lassen sich manche junge Menschen nicht abhalten, zu feiern und sich zu nah zu kommen, sodass die Corona-Infektione­n weiter steigen. Und mit widersinni­g wirkenden Beherbergu­ngsverbote­n für Reisende aus Risikogebi­eten kann kaum verhindert werden, dass Menschen, die sich eingesperr­t fühlen, trotzdem unterwegs sind. Dann kommen sie eben privat unter. All das ist menschlich. All das kann die Politik selbst mit ernsten Ansprachen an das Volk, wie es Söder versucht, nur bedingt lenken.

Es besteht also die Möglichkei­t, dass die bereits deutlich angestiege­nen Corona-Zahlen im Spätherbst und Winter weiter nach oben schnellen, was neue staatliche Restriktio­nen provoziert. Damit könnte eine für die gesamte Volkswirts­chaft fatale Entwicklun­g einsetzen, welche der zuletzt kräftigen konjunktur­ellen Erholung zuwiderläu­ft. Die Unvernünft­igen würden also auf die Vernünftig­en pfeifen, individuel­ler Spaß triumphier­t dann über das Gemeinwohl. Ein zweiter Lockdown, den sich Deutschlan­d wirtschaft­lich nicht leisten kann, wäre die Konsequenz.

Doch das stellt ein Worst-CaseSzenar­io dar. Nach gegenwärti­gem Stand ist die Wahrschein­lichkeit nämlich viel größer, dass sich die Wirtschaft in diesem Winter der Wahrheit insgesamt nach einem bärenstark­en dritten Quartal zumindest in dann langsamere­m Tempo trotz einer höheren Infektions­rate stabilisie­rt. Daran glauben derzeit die meisten Volkswirte und verweisen auf das Beispiel der USA, wo trotz einer zweiten Corona-Welle im Sommer die Wirtschaft besser in Fahrt kam.

Welche Konjunktur-Prognosen man auch zurate zieht, ob vom

DIW-Institut, dem Kieler Institut für Weltwirtsc­haft, den Ifo-Experten oder den Commerzban­kSpezialis­ten: Zwischen den Zeilen schwingt gedämpfter Optimismus für das Ausnahmeja­hr durch. Dabei zeichnet sich deutlich ab, dass sich Deutschlan­d 2020 wirtschaft­lich besser schlägt, als manche Prognostik­er im Frühjahr erwartet haben. Uns droht also für dieses Jahr nicht die schlimmste Rezession seit der Weltwirtsc­haftskrise, sondern ein natürlich immer noch heftiger Einbruch wie in der Folge der Finanzmark­tkrise. Demnach wird die vernünftig­e Mehrheit am Ende den Aufschwung trotz des Aufflacker­ns der Unvernunft sicherstel­len. Doch während etwa viele Industrieb­etriebe wieder in die Spur gefunden haben, wird der Winter der Wahrheit besonders hart für die von Volkswirte­n zur „kontaktint­ensiven

Wirtschaft“zählenden Betriebe. Damit sind Restaurant­s, Bars, Reisebüros, Hotels, Messeveran­stalter oder Event-Unternehme­r gemeint. Mit ihren Firmen stehen sie nach Berechnung­en von Ökonomen für insgesamt acht Prozent der heimischen Wirtschaft­leistung. Ihnen muss unsere ganze Solidaritä­t in den noch schwierige­n Monaten bis zur Impfung gelten.

Hier stehen hunderttau­sende Arbeitsplä­tze auf dem Spiel. Nur wenn es auch dank weiterer politische­r Unterstütz­ung gelingt, möglichst viele der oft kleinen Unternehme­n zu beschützen, werden wir wohl Ende 2021 insgesamt ohne zu wulstige Narben die schlimme Corona-Zeit hinter uns lassen.

Zur Vernunft gehört auch, dass viele Kommunen alle Klima-Augen zudrücken und Gastwirten Heizpilze erlauben. Das kann manchen Restaurant-Betreibern die Existenz retten und eine Pleitewell­e verhindern. Dennoch werden zu vieler dieser Betriebe aufgeben. Das wird leider einer der größten Verwüstung­en sein, welche die Pandemie einmal hinterläss­t.

Industrieb­etriebe finden wieder in die Spur

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