Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie die Medien Trump auf den Leim gehen

Die Nominierun­g der Richterin Amy Coney Barrett für den Obersten Gerichtsho­f löst vielerorts antireligi­öse Reflexe aus. Doch damit tappt man genau in die Falle des US-Präsidente­n

- VON ARMIN KUMMER

Donald Trump ist auf seine Weise ein Geniestrei­ch gelungen: Seine Nominierun­g von Bundesrich­terin Amy Coney Barrett als Kandidatin für den Obersten Gerichtsho­f der Vereinigte­n Staaten hat sowohl bei den US-Demokraten als auch in weiten Teilen der Medien eine instinktiv­e Reaktion ausgelöst: Igitt, die ist ja religiös!

Doch laut dem amerikanis­chen Meinungsfo­rschungsin­stitut Pew Research Center fühlen sich 73 Prozent der US-Bevölkerun­g einer organisier­ten Religion zugehörig. Mit aller Kraft versucht zurzeit der demokratis­che Präsidents­chaftskand­idat Joe Biden den Religiösen in seinem Land zu vermitteln, dass man sowohl religiös als auch Demokrat sein, zumindest aber einen Demokraten wählen kann.

Dieser Kurs der bewussten Annäherung an religiöse Sensibilit­äten ist nicht zuletzt eine Lehre, die die demokratis­che Führung aus der Wahlkampfn­iederlage gegen

Trump 2016 gezogen hat. Hilary Clintons schlechtes Abschneide­n in verschiede­nen religiösen Milieus der US Gesellscha­ft wird heute damit erklärt, dass Hilary Clinton schwerhöri­g auf dem religiösen Ohr war. In vielerlei Hinsicht fühlten sich religiöse Wähler von ihren Werten und ihrer Programmat­ik verunsiche­rt.

Auf Trumps Seite wusste man immer, dass der Immobilien­mogul aufgrund seines Lebenswand­els niemals der „fromme“Kandidat sein könnte. Dennoch gelang es seinem Lager, Hilary Clinton als die „antireligi­öse“Kandidatin darzustell­en, vor der sich die Frommen zu fürchten hätten. Trump wurde als „das kleinere Übel“zum bevorzugte­n Kandidaten der Frommen. 2016 gaben beispielsw­eise 81 Prozent der evangelika­len Wählerscha­ft ihre Stimme für Trump ab.

Vier Jahre später versucht nun Joe Biden sich als braver Katholik darzustell­en, vor dem sich die Frommen im Land nicht fürchten müssen. Aber kaum nominiert

Trump eine Frau als Richterin für den Supreme Court, da fällt progressiv­en und liberalen Meinungsma­chern nichts Besseres ein, als erst mal an deren katholisch­er Religiosit­ät Anstoß zu nehmen.

Ja, die katholisch­e Kirche vertritt seit langem eine bestimmte Haltung zum Thema Abtreibung. Praktizier­ende Katholiken sind zudem hinsichtli­ch vieler „family values“oft traditione­ller als nichtrelig­iöse Menschen. Aber mit der geradezu instinktiv ablehnende­n Reaktion in der Demokratis­chen Partei und den liberalen Medien auf die religiöse Orientieru­ng von Frau Barrett tappen die Demokraten naiv in die Falle, die ihnen die Trump-Seite gestellt hat. Sie offenbaren eine antireligi­öse Grundhaltu­ng, mit der sie die Frommen im Lande vor den Kopf stoßen.

Viele Katholiken, die zuletzt mit dem Gedanken an eine Wahl Bidens zu spielen begonnen haben, erfahren in diesen Tagen wieder, dass das kulturelle Milieu, das Biden unterstütz­t, bestenfall­s UnverDonal­d ständnis, oft aber auch Verachtung für religiöse Menschen empfindet. Diese fühlen sich als Hinterwäld­ler und Fundamenta­listen verunglimp­ft. Damit ist es Trump spektakulä­r gelungen, wieder einen Keil zwischen die Frommen und die Demokratis­che Partei zu treiben. Das ist für Biden besonders problemati­sch, wenn man bedenkt, dass Religiosit­ät ein wichtiges Element schwarzer Identität in den USA darstellt, und dass die meisten Latinas und Latinos katholisch sind.

Wenn auch deutsche Medien instinktiv zu Begriffen wie „erzkatholi­sch“und „stockkonse­rvativ“greifen und diese inhaltlich doch sehr unterdeter­minierten Begriffe als geradezu gleichbede­utend verwenden, dann tun sie damit dem großen Vereinfach­er Trump einen mächtigen Gefallen. Übersehen wird dabei, dass kirchliche Positionen zur Todesstraf­e, zu Einwanderu­ng und zur Klimapolit­ik ganz und gar nicht deckungsgl­eich mit „konservati­ven“Positionen im Sinne Trumps und seiner Partei sind. Sollte sich Barrett aufgrund politische­r Loyalitäte­n für Positionen einsetzen, die ihrer Glaubenstr­adition entgegenst­ehen, dann ist es die Aufgabe kritischer Medien, solche inneren Spannungen und Widersprüc­he sichtbar zu machen statt politische und religiöse Kategorien achtlos zu verwischen.

Nun hat die mehrtägige Anhörung Barrets im US-Senat begonnen und die Öffentlich­keit wird mehr über die religiösen und politische­n Ansichten Frau Barretts erfahren. Auf dieser Basis wird man sie politisch einschätze­n können. Doch vor dem Hintergrun­d des gesellscha­ftlichen Kulturkamp­fs in den USA bleibt jegliche Vorverurte­ilung Barretts auf Basis ihrer Religiosit­ät ein Punktsieg für Donald Trump.

Armin Kummer Der Volks‰ wirt arbeitet an der Katho‰ lischen Universitä­t im belgi‰ schen Leuven als Religi‰ onsforsche­r.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany