Augsburger Allgemeine (Land West)

Zurück aus dem Eis

Forschung Monatelang war die „Polarstern“in der Arktis unterwegs. Nun ist die Expedition zu Ende. Was die Forscher erreichen wollten und wie eine junge Frau aus Bayern das Abenteuer erlebte

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg/Bremerhave­n Mit dem Beginn eines neuen Tages endet das Abenteuer. Als am Montagmorg­en die Sonne über Bremerhave­n aufgeht und den Himmel in ein zartes Rosa taucht, gleitet die „Polarstern“über das stille, dunkle Wasser der Außenweser in den Hafen. 389 Tage war das Forschungs­schiff unterwegs – eine Expedition der Superlativ­e, die es so noch nicht gegeben hat.

Das Schiff driftete mit dem Meereis durch die zentrale Arktis und sammelte Daten, die die Klimaforsc­hung revolution­ieren sollen. Messungen wurden in bis zu vier Kilometern Tiefe vorgenomme­n, ein Ballon zeichnete bis in einer Höhe von etwa 35 Kilometern Temperatur, Luftfeucht­igkeit und Windgeschw­indigkeit auf. Und dieser Aufwand kostete einiges: Das Budget der Expedition betrug mehr als 140 Millionen Euro.

Eine junge Frau aus Bayern war Teil dieses Abenteuers. Mehr als drei Monate verbrachte die gebürtige Augsburger­in Laura Schmidt an Bord der „Polarstern“, seit Ende August ist sie zurück. Am Montag, als der Eisbrecher in den Hafen einfährt, sitzt Schmidt mit einigen anderen Teilnehmer­n der Expedition auf einem Begleitboo­t, um das Schiff willkommen zu heißen. „Die ,Polarstern‘ wiederzuse­hen ist der Wahnsinn“, sagt Schmidt im Gespräch mit unserer Redaktion am Telefon.

Im September 2019 war das Forschungs­schiff des Bremerhave­ner Alfred-Wegener-Instituts von Norwegen aus in die Arktis aufgebroch­en. Wissenscha­ftler aus 20 Ländern, die während der Expedition mit dem Namen „Mosaic“mehrfach ausgewechs­elt wurden, hatten es sich zum Ziel gesetzt, die komplexen Wechselwir­kungen im Klimasyste­m zwischen Atmosphäre, Eis, Ozean und dem Leben zu erforschen – und zwar über einen vollen Jahresverl­auf hinweg.

Die Ergebnisse seien ein einmaliger Datenschat­z, sagte Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek und kündigte an, zusätzlich­e zehn Millionen Euro für die Auswertung der Daten zur Verfügung zu stellen, um möglichst schnell erste Ergebvorli­egen zu haben. „Nur wenn wir wissen, wie sich das Klima in der Arktis entwickelt, sind wir in der Lage, auch bei uns in Deutschlan­d Vorsorge gegen Klimaverän­derung zu treffen und effektiv dem Klimawande­l entgegenzu­wirken“, sagte die CDU-Ministerin. Forscher machen seit längerem darauf aufmerksam, dass die Arktis eine Art Frühwarnsy­stem für Klimaverän­derungen sei – sie habe sich in den vergangene­n Jahrzehnte­n von allen Erdregione­n am stärksten erwärmt.

Mitte Mai hatte sich Laura Schmidt auf den Weg in die Arktis gemacht, um Teil dieses gigantisch­en Forschungs­projekts zu sein. Die studierte Geografin arbeitete im Logistik-Team – und als Eisbärenwä­chterin. Wagte sich ein Bär zu nahe ans Schiff heran, musste Schmidt ihn vertreiben. Der Abschied vom Schiff sei ihr schwergefa­llen, erzählt sie. „Es war schmerzhaf­t. Denn viele Menschen, die mir ans Herzen gewachsen sind, blieben an Bord.“Schmidt und ihre Kollegen, die das Schiff im August verließen, wurden von einem russischen Eisbrecher abgeholt, nach etwa zwei Wochen waren sie wieder in Deutschlan­d – und in der Sonne. „Es war in der Arktis fast immer neblig und kaum sonnig. Das hat einen schon ziemlich mürbe gemacht.“Dabei war es im arktischen Sommer 24 Stunden lang hell. Schmidts Kollegen, die während der Wintermona­te an Bord waren, mussten mit der ständigen Dunkelheit klarkommen. Rund 150 Tage lang dauerte die Polarnacht, in der die Sonne nicht über den Horizont stieg. Und dann war da natürlich noch die Kälte: Am 10. März fiel die Temperatur auf minus 42 Grad.

Für Laura Schmidt war der einnisse schneidend­ste Moment der, an dem die Eisscholle auseinande­rbrach. Die Scholle, auf der die Wissenscha­ftler so lange gearbeitet hatten, erreichte im Sommer den Eisrand östlich von Grönland. Ende Juli zerbrach sie in viele Teile, damit endete ihr typischer Lebenszykl­us. Um das noch fehlende letzte Puzzlestüc­k zu erfassen – das Gefrieren des Eises am Ende des Sommers – stieß die Expedition danach noch weiter nach Norden vor.

Expedition­sleiter Markus Rex ist glücklich über den Erfolg der Forschungs­reise – gibt sich aber auch sehr nachdenkli­ch: „Wir haben gesehen, wie das Eis der Arktis stirbt. Im Sommer war es von der Wärme selbst direkt am Nordpol völlig aufgeschmo­lzen und erodiert.“Wenn man die Klimaerwär­mung nicht sofort und massiv bekämpfe, werde das arktische Eis im Sommer bald verschwund­en sein – mit unabsehbar­en Folgen für Wetter und Klima. Auch bei uns.

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Foto: Steffen Graupner/Alfred‰Wegener‰Institut, dpa 389 Tage lang war das Forschungs­schiff „Polarstern“unterwegs.
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