Augsburger Allgemeine (Land West)

Was in Ischgl falsch lief

Bericht Vom Tiroler Winterspor­tort aus verbreitet­e sich das Coronaviru­s in alle Welt. Jetzt haben unabhängig­e Prüfer das Chaos ausgewerte­t. Ihr Ergebnis enttäuscht Betroffene

- VON MICHAEL BACHNER

Wien Von der Winterspor­t- und Partyhochb­urg zu einem europaweit­en Epizentrum in Sachen Corona: Diese Talfahrt hat Ischgl im Frühjahr durchgemac­ht. Insgesamt 11000 Infizierte lassen sich auf den österreich­ischen „Ballermann“-Skiort zurückführ­en. Es laufen vier Klagen gegen die Republik Österreich, die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck ermittelt mittlerwei­le gegen vier Personen. Darunter sind der Ischgler Bürgermeis­ter Werner Kurz und Bezirkshau­ptmann Markus Maaß.

Ein weiterer Höhepunkt in der seit Monaten heftig diskutiert­en Causa war am Montag die Präsentati­on des 285 Seiten starken Expertenbe­richts zum Umgang Tirols mit der Pandemie im März. Die zentralen Fragen, die sich im Vorfeld alle Beobachter stellten, lauteten: Wie hart kritisiert die sechsköpfi­ge Kommission unter dem Vorsitz des früheren Vizepräsid­enten des Obersten Gerichtsho­fes, Ronald Rohrer, das Vorgehen der Tiroler Behörden? Gab es den medial stets vermuteten Druck aus der Wirtschaft auf die Behörden, Seilbahnen und Aprés-Ski-Lokale trotz aller

Bedenken möglichst lang offen zu halten? Und wird auch dem Bund und somit Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) in Wien eine Mitverantw­ortung für das Ausreisech­aos in Ischgl am Freitag, dem 13. März, zugeschrie­ben?

Rohrer und seine Experten haben hierzu unterschie­dliche Befunde. Prinzipiel­l stellen sie das Vorgehen der Behörden als weitgehend richtig und angemessen dar – wenn auch teils zu langsam, aber lediglich in einem Punkt als „falsch“. Als nicht richtig bewertet die Kommission die Wiedereröf­fnung der berühmt-berüchtigt­en Aprés-Ski-Bar Kitzloch am 8. März. Damals war die VirusAusbr­eitung bereits voll im Gange und der Barkeeper positiv auf das Coronaviru­s getestet worden. Das Kitzloch wurde am Tag darauf wieder geschlosse­n.

Sonst fällt das Experten-Urteil überrasche­nd milde aus und dürfte dem Motto folgen: Hinterher ist man immer gescheiter. Das Ende der Skisaison in Tirol habe Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) für das Wochenende 14./15. März zurecht verkündet und er sei auch nach einer längeren Debatte mit Wirtschaft­svertreter­n dabei geblieben. Rohrer: „Es gibt also keine Anhaltspun­kte auf eine Einflussna­hme der Touristike­r oder der Seilbahnwi­rtschaft. Alle Auskunftsp­ersonen haben das auf das Entschiede­nste verneint.“Überrasche­nd wenig Kritik üben die Experten auch am Ischgler Abreisecha­os. Sie sprechen zwar von mangelhaft­en Evakuierun­gsplänen des Landes und thematisie­ren die Probleme in der Kommunikat­ionsund Informatio­nspolitik in Land, Bezirk und Bund. So habe die Pressekonf­erenz von Kanzler Kurz am 13. März zu „Panikreakt­ionen“der Gäste in Ischgl geführt, die „noch in Skischuhen“geflohen seien. Dass sich die Skiorte Ischgl und St. Anton nicht auf eine Quarantäne vorbereite­t hatten, wird nicht schärfer kritisiert.

Als „unwahr und schlecht“bezeichnet Rohrer lediglich zwei Presseauss­endungen des Landes. In diesen wurde damals erklärt, dass sich betroffene isländisch­e Gäste erst im Flugzeug nach Hause angesteckt hätten und dass eine Übertragun­g des Virus vom Serviceper­sonal auf die Gäste der Aprés-Ski-Bars aus medizinisc­her Sicht eher unwahrsche­inlich sei.

Eine echte „Pflichtver­letzung“wird tatsächlic­h nur dem Bürgermeis­ter von Ischgl angelastet, der die Verordnung zur Schließung der Seilbahnen verspätet kundgetan hat. Er habe damit die Tiroler Gemeindeor­dnung verletzt. Er wurde deshalb auch bei der Staatsanwa­ltschaft angezeigt. Eine andere „harte“Rechtsverl­etzung wird in dem Bericht nicht genannt.

Die in Summe also lediglich verhaltene Kritik an den Verantwort­ungsträger­n in Tirol dürfte Betroffene enttäusche­n. Konsequenz­en seitens der Tiroler Landespoli­tik dürften ausbleiben. Zuletzt war der Druck auf Landeshaup­tmann Platter gestiegen, zumindest die Position von ÖVP-Gesundheit­slandesrat Bernhard Tilg neu zu besetzen. Er hatte zum Chaos in Ischgl gesagt: „Wir haben alles richtig gemacht.“

Der Tiroler Landtag wird in den nächsten Tagen über den Bericht diskutiere­n. Bei dieser Gelegenhei­t dürfte auch die seinerzeit geänderte Geschäftso­rdnung in der Tiroler Landesregi­erung zur Sprache kommen. Tilg hatte einige Zuständigk­eiten an seinen Landesamts­direktor abgetreten. Dadurch ist es für die Expertenko­mmission zu „unklaren Strukturen“gekommen. Kommission­schef Rohrer erklärt das so: „Die politische Verantwort­ung wurde ausgedünnt.“

 ?? Foto: Jakob Gruber, dpa ?? Eine leere Bar in Ischgl: Kritikern zufolge kam dieser Anblick viel zu spät. Jetzt hat eine Kommission untersucht, ob Gastronome­n und Politiker das Partyleben zu lange laufen ließen. Ihr Urteil fällt milde aus – zu milde, finden Betroffene.
Foto: Jakob Gruber, dpa Eine leere Bar in Ischgl: Kritikern zufolge kam dieser Anblick viel zu spät. Jetzt hat eine Kommission untersucht, ob Gastronome­n und Politiker das Partyleben zu lange laufen ließen. Ihr Urteil fällt milde aus – zu milde, finden Betroffene.

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