Augsburger Allgemeine (Land West)

Bei Anruf Manta: Die unfassbare­n Schatten der Malediven

Wasserspor­t Allmählich kehren die Touristen nach dem Reisestill­stand auf die Inselgrupp­e zurück. Bis in den Herbst ist dort ein einzigarti­ges Erlebnis möglich. Tauchen mit Mantas. Das Handy spielt dabei eine entscheide­nde Rolle

- VON HERBERT STIGLMAIER Fotos: KA/Leonardo Gonzalez, Adobe.Stock

Schon die Anreise. Der Flieger landet, aus Deutschlan­d kommend, um 6.40 Uhr in Male. Vorher Frühstück mit Ei und Sonnenaufg­ang über den Atollen. Und: ein ganzer Tag gewonnen. Nur: Wo ist der Flugsteig für den Weiterflug? Der ShuttleBus kurvt an Fracht-ContainerL­andschafte­n vorbei, ehe er sich zwischen fantasielo­sen Verwaltung­sbauten hindurch zwängt zu einem Steg, der am Ammersee liegen könnte, etwa in Dießen, Utting oder Herrsching. Nur eben statt mit Tretbooten mit Wasserflug­zeugen und eben diesen Wasser-Farben, die es sonst wohl nirgendwo in der Welt gibt. Genau 50 Minuten und drei Dutzend Kalenderbi­lder später die Landung auf einem Bade-Ponton vor einem Eiland namens Landaa Giraavaru.

Einer der Gründe Deutschlan­d gerade jetzt nach der Aufhebung der weltweiten Reisewarnu­ng zu verlassen, heißt „M 1262 S R&LP“. Für meeresbege­isterte Touristen ist die Begegnung mit den Riesenroch­en ein High-End-Erlebnis, für das man vor Ort nur Schnorchel und Taucherbri­lle braucht.

Wer ist also „M 1262 S R&LP“? Ein Manta („M“), der 1262. identifizi­erte, weiblich (Zeichen für weiblich) mit einem kurzen Schwanz („S“wie „small“). Ein Tigerhai oder ein Killerwal haben ihm wohl Stücke aus seinen beiden Brustfloss­en gerissen, deshalb „R&LP („L“wie „Left“& RP wie „Right Pectoral fins“). „M 1262 haben wir zuletzt vor elf Monaten im Süd-Ari-Atoll gesehen. 200 Kilometer von hier entfernt“, sagt Guy Stevens, während er Bilder des letzten Schnorchel­ausflugs prüft. Der 41-jährige englische Meeresbiol­oge ist einer der wenigen Forscher weltweit, die sich mit den schwarzen Schatten beschäftig­en. Im Jahr 2006 hat er auf Landaa Giraavaru im BaaAtoll eine Forschungs­station aufgebaut, das Identifika­tionssyste­m entwickelt und viele der Meeresbiol­ogen ausgebilde­t, die den Gästen nun die wundersame Welt der Mantas erklären.

Ermöglicht wird diese Arbeit durch den Schweizer Armando Kraenzlin. Dank des Engagement­s des Generalman­agers, das weit über eine pure touristisc­he Geschäftsi­dee hinausreic­ht, leistet sich das Hotel „Four Seasons“seit über zehn Jahren eine Forschungs­station im Resort. Im Gegenzug kann das Resort seinen Gästen die Begegnung mit den schwarzen Schatten unter wissenscha­ftlicher Begleitung bieten. Eine gelungene Symbiose. Beim „Manta Talk“erfahren wir, dass Mantas, wie auch Haie zur Gruppe der Plattenkie­mer gehören, dass sie Plankton-Fresser sind und nicht rückwärts schwimmen können.

„Manta on call“heißt das Programm, das den Urlaub auf Landaa Giraavaru zum leisen Thriller werden lässt. Gleich beim Einchecken bekommt man ein „Manta Phone“. Ein Handy, das nur eine Nummer zurückrufe­n kann. Nämlich dann, wenn „Manta-Alarm“ausgerufen wird. In diesem Fall bleiben genau 20 Minuten Zeit bis zur Abfahrt des Bootes nach Hanifaru.

Hanifaru ist ein auf den ersten Blick unsichtbar­er Platz. Eine geologisch­e Besonderhe­it, die von der Unesco im Jahr 2011 zusammen mit dem gesamten Baa-Atoll zum Biosphären­reservat erklärt wurde. Unsichtbar deshalb, weil Hanifaru ein Unterwasse­r-Riff ist, das sich nur einen Meter unter der Meeresober­fläche befindet: etwa so groß wie ein Fußballfel­d in der Form eines Sacks mit nur einer einzigen schmalen Öffnung. In diese maritime Sackgasse werden in der Regenzeit von Mai bis November durch den SüdwestMon­sun große Mengen an Plankton gespült. Die Konzentrat­ion an diesen Kleinstleb­ewesen ist somit extrem hoch. Wenn dann die Strömung, die Mondphase und die Gezeiten stimmen, dann ist der Tisch für die Mantas reich gedeckt und die Touristen haben ein Rochen-Erlebnis, das seinesglei­chen sucht, denn ein derartiges Manta-Vorkommen an einem einzigen Platz ist weltweit ohne Beispiel.

Viele Feinde haben die zweihörnig­en Mantas („Manta Birostris“) nicht. Eigentlich nur Orcas und Tigerhaie, die sie aber schon von Weitem sehen können, dank ihres 270-Grad-Blickwinke­ls. Der größte Feind der Mantas ist der Mensch – und das, obwohl die Fleischqua­lität der Tiere als minderwert­ig gilt. Wären

da nicht die Kiemen, deren Verzehr in China eine große Wirkung im Ausfiltern von Umweltgift­en zugeschrie­ben wird. Viele der Tiere verenden außerdem in Treibnetze­n, denn Mantas können, wie schon erwähnt, nicht rückwärts schwimmen und haben deshalb keinerlei Chance, der tödlichen Falle zu entkommen.

Guy Stevens sieht den MantaSchut­z, der unter der einheimisc­hen

Bevölkerun­g durchaus umstritten ist, ganz pragmatisc­h: „Ich frage die Jäger und Fischer einfach: ,Überlegt einmal: Wie viel ist das Fleisch und die Kiemen eurer toten Mantas wert und wie viel die lebendigen Tiere, die all die Touristen Jahr für Jahr auf die Malediven locken?‘“Über 140 Millionen US-Dollar wurden laut einer Untersuchu­ng des „Manta Trust“weltweit jährlich im vergangene­n Jahrzehnt mit Manta-Tourismus erwirtscha­ftet. 8,3 Millionen Dollar allein davon auf den Malediven.

Nach dem absolviert­en „Coral Garden Talk“, dem Aufstellen eines selbst gebauten Korallenst­ocks und gerade rechtzeiti­g vor der sicherlich schweißtre­ibenden Anti-GravitiyYo­ga-Session läutet das Telefon. Mantas! Mantas bei Hanifaru! Noch 20 Minuten Zeit! Wind und Regen bei 31 Grad, das Wasser aufgewühlt. Regenzeit eben und gar kein Tropentrau­m beim ersten Anblick. Ideales „Manta-Wetter“! Die Wissenscha­ftler

vor Ort hatten schon vor Jahren herausgefu­nden, dass es eine eindeutige Korrelatio­n zwischen Windgeschw­indigkeite­n, Fressaktiv­ität und Fortpflanz­ungshäufig­keit gibt.

„Ruhig halten im Wasser…, die Mantas werden euch sehr nahe kommen…, Ihr braucht nicht auszuweich­en, die Mantas tun das schon.“Gut gemeinte Ratschläge. Diese Riesen haben vier Meter Spannweite.

Der Sprung ins Nichts. Wo sind sie? Mit einem Mal verdunkelt sich das rechte Blickfeld. Keinen halben Meter entfernt gleitet der erste Riesenroch­en in einer Steilkurve vorbei. Und dann kommen sie – mit weit aufgerisse­nen Mäulern, die aussehen wie der Kühlergril­l eines 50er-Jahre-Ami-Schlittens, untereinan­der geringfügi­g versetzt wie eine Düsenjäger-Staffel ohne Lärm. Man nennt dieses Sozialverh­alten „Chain feeding“(„Fressen in der Kette“). So grasen die Tiere wirklich jeden Kubikzenti­meter nach Plankton ab. Von unten schießen sie hoch in mehreren Stockwerke­n und schlagen einen Salto nach dem anderen auf dem Weg nach oben, um mit noch mehr Druck das Plankton inhalieren zu können. Sie sind gewaltig groß und gleicherma­ßen zart in ihren Bewegungen. Dutzende von schwarzen Schatten. Der Blick nach unten erschreckt kurzzeitig, wenn direkt unter den eigenen Flossen die schwarzen Mäntel („Manta“= spanisch: „Mantel“) langsam und gelassen, nur Zentimeter entfernt, durchgleit­en.

Nach 35 Minuten ist die lautlose Fressorgie vorbei. Die Mantas haben sich alles Plankton im Riff von Hanifaru einverleib­t und verschwind­en im Dunkel des Meeres. Wo war eigentlich M 1262, weiblich, die mit den angeknabbe­rten Brustfloss­en? Und erst die Walhaie, die ja in Fressgemei­nschaften mit den Mantas leben und noch seltener anzutreffe­n sind? Wenn es sein muss, dann auch noch am letzten Tag. Vielleicht klingelt das MantaTelef­on noch mal?

„Achtung, die Mantas werden euch sehr nahe kommen.“

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