Augsburger Allgemeine (Land West)
Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals (75)
BIn die italienische Botschaft in Damaskus wird ein toter Kardinal eingeliefert. Was hatte der Mann aus Rom in Syrien zu schaf fen? Kommissar Barudi wird mit dem Fall betraut, der ihn zu reli giösen Fanatikern und einem muslimischen Wunderheiler führt.
© Rafik Schami: Die geheime Mission des Kardinals. Carl Hanser Verlag 2019
is heute feierten beide Kirchen ihre Feiertage zeitlich versetzt voneinander, die eine nach dem gregorianischen, die andere nach dem julianischen Kalender. Nur was Dumia anging, waren sich die beiden Patriarchen einig.
„Wie war das übrigens für Sie“, wandte er sich direkt an Dumia, „dass die zwei wichtigsten Patriarchen des Orients Sie nicht anerkannt haben?“
Sie weinte.
„Wie soll das gewesen sein“, rief Asmar aufgebracht. „Wir haben uns in den Dienst der heiligen Sache gestellt und ernteten nur Hohn. Deshalb sind die Worte der heiligen Maria richtig. Sie hat sie gegen die arrogante orthodoxe Kirchenleitung gerichtet. Heute stehen die Katholiken und die katholische Kirche, dank Bischof Tabbich und Pfarrer Gabriel, hinter uns, und trotzdem erkennt der Vatikan uns nicht an, aber wenn ein Europäer einmal Lavendel furzt, wird er zum Heiligen erklärt.“
Mancini wusste, dass der Ehemann bewusst den katholischen Patriarchen unerwähnt ließ.
„Aber, aber…“, mahnte Gabriel den zornigen Mann, der aber redete sich richtig in Rage.
„Ich war mit Dumia überall auf der Welt, und nur dort, wo der Vatikan intervenierte, hat man uns ausgeladen, als würden wir für eine antichristliche Religion Propaganda machen…“Gabriel erhob erneut die Hand, aber Asmar beachtete ihn nicht. „Hier in diesem Haus sind Muslime und Christen, Drusen und Buddhisten, Yeziden und Hindus niedergekniet, und alle waren beeindruckt. Sogar unser ehemaliger Verteidigungsminister Yasser Ballas kam mit der gesamte Führung der Armee und des Geheimdienstes, alle knieten wie Kinder nieder und ließen sich die Stirn mit dem heiligen Öl salben… richtige Männer, Helden der Nation, und dann kommt einer aus Rom, der es nicht für nötig hält, unser Haus auch nur zu betreten, und nennt uns Gauner …“
„Salim!“, mahnte Pfarrer Gabriel den Ehemann genervt.
„Bitte“, rief Dumia ihrem Mann nun mit brüchiger Stimme zu und unterbrach damit seinen Redefluss.
„Über die Sympathien, die Dumia entgegenschlugen, schrieben die Zeitungen weltweit“, nahm Pfarrer Gabriel mit beschwichtigender Stimme den Faden auf, bemüht, wieder eine friedliche Atmosphäre herbeizuführen. „Auch die großen italienischen Zeitungen, aber wir können niemanden zwingen. Der Glaube ist eine freie Entscheidung des Herzens.“
Mancini wusste, dass der Pfarrer übertrieb. Er hatte seinen Freund Giuliano, den Redakteur von Il Giornale, gebeten zu recherchieren, ob auch in der italienischen Presse etwas über Dumia und ihre Paten berichtet worden war. Die italienische Presse hatte die Wunderheilerin kaum erwähnt.
Mancini widersprach dem Pfarrer jedoch nicht. Er wollte die angespannte Atmosphäre nicht noch weiter anheizen.
„Darf ich noch ein paar Fotos machen?“, fragte er. Erst jetzt strahlte Dumia wieder, und Asmar lächelte zufrieden. Mancini wurde durch das Haus geführt und fotografierte Dumia, ihren Ehemann und Pfarrer Gabriel in verschiedenen Räumen. Überall hingen Fotos des Ehepaares,
Erinnerungen an ihre Reisen rund um den Globus. Mancini fiel auf, wie schick und teuer die beiden gekleidet waren. „Elegant, elegant“, sagte er bewundernd. Das zauberte das erste zufriedene Lächeln auf Asmars Gesicht.
Schließlich verabschiedete sich Mancini von dem Ehepaar. Pfarrer Gabriel folgte ihm mit einer Tasche voller Bücher. „Das ist für Sie“, sagte er lächelnd. „Zwei Kilo Schriften zur Verteidigung einer nicht anerkannten Heiligen.“
Mancini bedankte sich, er wollte nun ein Taxi nehmen. Doch als er auf die Straße hinaustrat, empfing ihn vor der Tür eine Menschentraube mit Beifall. Es waren etwa zwanzig Männer und Frauen.
Mancini fragte Gabriel, ob er mit den Leuten sprechen dürfe. „Selbstverständlich.“Mancini schaltete sein Smartphone auf Aufnahme. „Warum sind Sie hier?“, fragte er eine junge Frau.
„Weil ich es leid bin, zu den Ärzten zu gehen. Sie kassieren viel Geld und verschreiben mir Medikamente, die außer Durchfall nichts bewirken.“
„Und Sie?“
„Die Heilerin ist die Einzige, die mein Herz heilt. Immer wenn ich bei ihr war, habe ich danach zwei Wochen Ruhe“, sagte ein älterer Herr.
„Und Sie?“
„Ich bin nicht krank, aber ich muss die Heilige einmal in der Woche berühren, dann geht es mir besser. Ich wäre sonst wohl vor Trauer gestorben. Erst läuft meine Frau mit ihrem Liebhaber weg, dann bringt sich mein Sohn um. Und die Ärzte? Geben mir Schlafmittel. Ich will aber nicht schlafen. Ich will, solange es geht, wach bleiben und traurig sein.“
„Und Sie?“
„Ich hoffe, sie wird mir helfen, den Einbrecher zu finden, der unsere ganzen Ersparnisse gestohlen hat“, sagte ein alter Mann. Gabriel verdrehte die Augen.
„Und Sie?“
„Ich bin hier, weil ich keine Nachricht mehr von meinem Verlobten bekommen habe. Er ist in Kanada und hat mir versprochen, jede Woche zu schreiben.“
Mancini schaltete sein Handy aus und verabschiedete sich herzlich von Gabriel. Er hatte Mitleid mit diesem Mann und seinen verzweifelten Bemühungen, noch etwas Anständiges aus diesem Sumpf zu retten. Aber je mehr er kämpfte, umso tiefer sank er. „Darf ich ehrlich zu Ihnen sein, Pfarrer Gabriel?“
„Bitte, mein Sohn“, sagte Gabriel und wirkte auf einmal sehr alt.
„Sie sind im falschen Land geboren. Einer wie Sie sollte die Christenheit
führen und sich nicht hier in dieser Gasse mit solch kleinen Seelen abgeben.“
Gabriel lächelte verlegen. „Aber Jesus wurde auch in einer solchen Gegend geboren und liebte gerade die benachteiligten, hasserfüllten, sündigen kleinen Leute. Er wurde dafür gekreuzigt. Leben Sie wohl“, sagte er, und Mancini hatte das Gefühl, dass der Pfarrer seine Tränen gerade noch zurückhalten konnte.
Mancini war bewegt und gleichzeitig entsetzt, dass solch ein kluger, belesener Mann so naiv sein konnte. Sein Mitleid besiegte aber seine Verwirrung. Er drückte die Hand des Pfarrers noch einmal mit seinen beiden Händen.
Ein Taxi fuhr langsam vorbei und hielt Ausschau nach einem Fahrgast. Der Fahrer warf Mancini einen fragenden Blick zu. Mancini hob die Hand. „Midan-Straße, nahe BabMusala-Platz“, rief er.
„Waren Sie etwa bei der Wunderheilerin?“, fragte der Taxifahrer, als er losfuhr.
„Ja, kennen Sie sie?“, fragte Mancini aus dem Fond.
„Oh ja. Ich wohne nicht weit von hier. Inzwischen ist es etwas ruhiger um sie geworden. Seit vor einigen Jahren bekannt wurde, dass der Papst sie nicht anerkennt, meiden viele ihr Haus.