Augsburger Allgemeine (Land West)
Parlament will mehr Mitsprache bei CoronaRegeln
Pandemie Die Abgeordneten fühlen sich von der Regierung übergangen
Berlin/München Schnell musste es gehen und möglichst unbürokratisch: Mit Verordnungen regeln die Regierungen in Bund und Ländern seit Monaten, wie Deutschland durch die Corona-Krise manövrieren soll. Doch inzwischen wächst der Unmut in den Parlamenten über diese Form der Politik. Unter anderem die Grünen dringen darauf, die Abgeordneten stärker an Entscheidungen zu beteiligen. Es brauche jetzt „mehr öffentliche Debatte in den Parlamenten im Bund und in den Ländern“, fordert Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit unserer Redaktion. Zu lange schon werde über die Maßnahmen „vor allem hinter verschlossenen Türen verhandelt“. „Beratung, Abwägung, Entscheidung und Kontrolle gehören gerade in Krisenzeiten ins Parlament“, sagt die Grünen-Politikerin.
Auch angesichts einer spürbar wachsenden Unsicherheit in der Bevölkerung über den Corona-Kurs fordert sie ein Umdenken. „Vertrauen ist in dieser Phase der Corona-Pandemie so wichtig wie Händewaschen. Vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Schutzmaßnahmen hängt ab, ob sie akzeptiert und umgesetzt werden“, sagt die Fraktionsvorsitzende. Auch Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali fordert „verständliche, nachvollziehbare Regelungen, die in den Parlamenten debattiert und entschieden werden“.
Zu den Prinzipien der deutschen Demokratie gehört die Gewaltenteilung. Zahlreiche Corona-Maßnahmen wurden jedoch von der Bundesregierung entschieden. Darüber hinaus bekamen Ressortchefs weitreichende Befugnisse erteilt. Gesundheitsminister Jens Spahn beispielsweise kann über das neue Infektionsschutzgesetz und sogenannte Rechtsverordnungen in zahlreiche Gesetze eingreifen. Der CDUPolitiker hat sich so an seine neuen
Machtbefugnisse gewöhnt, dass er von einigen davon nicht mehr lassen will. Man prüfe deren „Verstetigung“, sagte eine Sprecherin, wollte aber keine Details nennen.
Doch auch aus der Union hatte es Kritik gegeben: Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann sprach von einer „beunruhigenden Entwicklung“. Sein Amtskollege Thorsten Frei kündigt für nächste Woche eine Parlamentsdebatte über die aktuellen Corona-Maßnahmen an. Der CDU-Politiker schließt nicht aus, dass bereits erlassene Rechtsverordnungen vom Parlament geändert oder aufgehoben werden. Und doch betont Frei auch, wie wichtig es sei, dass zügig gehandelt werden könne. „Deshalb ist es gut und richtig, dass es das Instrument von Verordnungen gibt, um Detailfragen zu klären“, sagt er. „Aber klar ist auch: Der Ort, an dem die rechtlichen Grundlagen getroffen werden, ist und bleibt das Parlament.“
Auch in München diskutiert der Landtag über die politischen Nebenwirkungen der Pandemie. Ministerpräsident Markus Söder mahnt einerseits einen großen Zusammenhalt der demokratischen Parteien an, plädiert andererseits auch dafür, dass manche Entscheidungen im Corona-Kampf schneller erfolgen müssten. Unmut herrscht im Landtag. Ein Entwurf der Grünen für ein eigenes bayerisches Infektionsschutzgesetz wird von den Regierungs- und den anderen Oppositionsfraktionen als verfassungswidrig abgelehnt, weil die Gesetzgebungskompetenz alleine beim Bund liegt. Bereits im Frühsommer scheiterte die FDP mit dem Vorschlag, Verordnungen der Staatsregierung an die nachträgliche Zustimmung des Landtags zu knüpfen.
Überraschend schaltete sich am Montagabend auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in die Debatte ein. Falls seine Vermittlung gewünscht werde, stehe er bereit. Er legte zudem ein brisantes Gutachten vor.