Augsburger Allgemeine (Land West)
Warum Corona Studenten in Existenznöte stürzt
Uni Mit dem neuen Semester verschärft sich die Infektionslage. Damit stehen hunderttausende Nebenjobs auf dem Spiel. Laut Studentenwerk hat die Krise längst die Mittelschicht erreicht. Muss der Staat noch einmal helfen?
Berlin Als im März die meisten Bars und Restaurants dichtmachten, verlor Simone Fuchs ihren Job. Die Lehramt-Studentin aus Passau kellnerte bis dahin jedes Wochenende in einer Bowlingbahn, doch der Betrieb musste im Frühjahr vorübergehend schließen. „Ich bin abhängig von dem, was ich nebenbei verdiene“, sagt die Studentin. Sie beantragt die staatliche Überbrückungshilfe für Studierende – und bekommt sie genehmigt. Der Antrag war kompliziert, die 23-Jährige musste viele Unterlagen einreichen, aber: „Die Bearbeitung ging zum Glück recht schnell. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich das Geld auf dem Konto.“
Solche finanziellen Engpässe haben über hunderttausend Studierende in Deutschland erlebt. Doris Schneider, Geschäftsführerin des Studentenwerks Augsburg, betont: „Manche Studierende kamen durch die Pandemie in existenzielle Not.“
Für all jene hat die Bundesregierung von Juni bis September eine „Überbrückungshilfe“mit insgesamt 100 Millionen Euro ins Leben gerufen. Fast drei Viertel der Studenten gehen neben dem Studium einer bezahlten Tätigkeit nach, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa zeigt. Studenten, deren Einnahmen wegen der CoronaKrise weggebrochen sind, konnten bis zu 500 Euro Unterstützung pro Monat beim regional zuständigen Studentenwerk beantragen. Diese Überbrückungshilfe wurde zum 1. Oktober 2020 ausgesetzt, da sich die pandemiebedingte Notlage zunächst entspannt hat und die Anzahl der Anträge deutlich zurückging.
Jetzt, kurz vor dem Start ins Wintersemester am 2. November, spitzt sich die Situation allerdings wieder zu: Auf die steigenden Infektionszahlen reagiert die Politik mit erneuten Einschränkungen. Für Studenten könnte das bedeuten, dass
Veranstaltungen vor Ort nicht stattfinden – und vor allem, dass auch wieder Nebenjobs wegfallen.
Bis September haben rund 120000 Studierende Anträge für Überbrückungshilfe bei den Studentenwerken in Deutschland gestellt. Knapp 64 Prozent der Anträge wurden bisher genehmigt. Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks rechnet um: Bei 2,5 Millionen Studenten macht das etwa vier bis fünf Prozent aus, die pandemiebedingt in eine finanzielle Notlage geraten sind. „Es war also ein eher kleiner Teil, der große finanzielle Schwierigkeiten hatte“, sagt Meyer auf der Heyde. Problematisch war vor allem für Studenten, die beispielsweise keine finanzielle Unterstützung durch BAföG bekommen, weil sie die Altersgrenze überschritten haben und ihr Studium durch Nebenjobs finanzieren. „Solche Jobs sind von heute auf morgen weggefallen und nur in seltenen Fällen hatten Studierende Anspruch auf Kurzarbeitergeld“, sagt Geschäftsführerin Schneider vom Augsburger Studentenwerk.
Die Studentin Fuchs suchte sich daher einen alternativen Job und arbeitet seit März in einem Supermarkt. Knapp ein Fünftel der Studenten in Deutschland hat sich in dem Zeitraum neue Arbeit gesucht, etwa auf Spargelfeldern, im Onlineviele
Versand oder wie Fuchs im Einzelhandel. Jeder zehnte Student ist zudem zu den Eltern zurückgezogen, um Mietkosten zu sparen.
Viele Studenten waren jedoch schon vor der Pandemie in einer finanziellen Notlage. Die Hälfte der abgelehnten Anträge auf Überbrückungshilfe wurde nicht etwa abgelehnt, weil keine finanziellen Schwierigkeiten vorhanden waren – sondern weil diese nicht erst durch die Corona-Krise entstanden sind. „Rund 27 Prozent der Studierenden, leben an der unteren Einkommensgrenze mit 735 Euro pro Monat“, sagt Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk. Jeder siebte Student davon habe sogar wees niger zur Verfügung; bei vier Prozent sind es unter 500 Euro. „Diese prekäre Situation unter Studierenden gibt es schon lange“, sagt Meyer auf der Heyde. Denn vor allem die untere Mittelschicht falle oft durch das Raster. „Deswegen fordern wir dringend eine Reform der Studienfinanzierung, um da aushelfen zu können“, sagt der Generalsekretär.
Sollte im kommenden Semester erneut eine finanzielle Unterstützung für Studenten nötig sein, sind noch rund 32 Millionen Euro RestMittel von den ursprünglich 100 Millionen Euro vorhanden. „Dieses Geld könnte man nutzen, wenn die Überbrückungshilfe wieder aufgesetzt werden muss“, sagt Meyer auf der Heyde. „Wahrscheinlich ist dann aber noch mehr erforderlich.“Ansonsten haben Studenten weiterhin die Möglichkeit, einen bis zum 31. März 2021 zinsfreien KfW-Studienkredit zu beantragen.
Studenten, die BAföG beziehen, können zudem einen Aktualisierungsantrag für ihre Ausbildungsförderung
Drei Viertel der Studenten haben einen Nebenjob
Studenten haben nur selten Kurzarbeitergeld erhalten
beantragen – etwa wenn die Eltern wegen Kurzarbeit weniger verdienen. Das kann dann in der Berechnung des BAföG-Satzes berücksichtigt werden.
Auch sonst gibt es im BAföG keine Nachteile wegen der Coronapandemie, versichert Nicolas Müller vom Studentenwerk Niederbayern/ Oberpfalz. Doch auch er betont: Mit weiteren Einschränkungen, zum Beispiel in der Gastronomie, hätten es Studierende schwer, weggefallene Verdienste gleichwertig zu ersetzen. Die Lehramt-Studentin Fuchs kann seit August wieder in dem Bowlingcenter kellnern – die Frage ist nur wie lange noch. Sie selbst ist optimistisch, dass das Hygienekonzept ausreicht, damit der Betrieb geöffnet bleiben darf. Wenn nicht, wäre sie wahrscheinlich wieder auf staatliche Unterstützung angewiesen – denn an der Supermarktkasse verdient sie, trotz Systemrelevanz, weniger als beim Kellnern.