Augsburger Allgemeine (Land West)

Beethoven fordert alles ab

Deutsches Mozartfest Lars Vogt gelingt mit der Hammerklav­iersonate ein Sieg auf ganzer Linie

- VON ULRICH OSTERMEIR

Ein Klavierrec­ital mit einem gewaltsame­n Tod auf der Straße zu eröffnen ist frappieren­d, das weiß auch der internatio­nal bekannte Pianist Lars Vogt. Assoziatio­nen werden wach, derlei tödliche Übergriffe rütteln aktuell die Weltöffent­lichkeit auf. Die schönen Künste jedoch sitzen nicht mehr im Elfenbeint­urm. So verblüfft es dann weniger, Janaceks „01.10.1905-auf der Straße“zu Beginn eines Konzertes im Rahmen des Deutschen Mozartfest­es in St. Ulrich zu hören.

Dieses zweisätzig­e Sonatenfra­gment, inhaltssch­wer mit „Vorahnung“und „Tod“überschrie­ben, zeitigte sich als hochexpres­sive Bekenntnis­musik. Janacek klagt hier nicht an, sondern betrauert das Opfer Frantisek Pavlik, jenen Arbeiter, der 1905 bei einer Demonstrat­ion in Brno zu Tode kam. Vom Pianisten fordert er, jeder Ton habe nicht nur durch die „Muskel der Finger“, sondern auch durch die „Glut des Herzens“zu schreiten“. Seine Maxime, Töne, der Tonfall jedes Lebewesens, Sprachmelo­dien hätten für ihn tiefste Wahrheit, gewann höchste Priorität, so tiefsinnig und sensitiv lotete Lars Vogt diesen Tod aus. Und da deutete er sich wieder an, jener unheilvoll­e

Schrei des Käuzchens, eng konnotiert mit dem Tode seiner geliebten Tochter Olga. Gewiss modifizier­t, aber nicht minder hartnäckig beschwor dieser Schicksals­ruf jene insistiere­nde Vision herauf, die sich dann unerbittli­ch vollzog. Zwischen choralbese­eltem Hoffen und bestürzend­em Bangen hin- und hergerisse­n bis hin zum rigorosen Exitus, von Vogt, pianistisc­h meisterhaf­t profiliert, gewann Janaceks

Musik verstörend­e Klanginten­sität. Eklatant dann die Diskrepanz zu Beethovens „Hammerklav­iersonate“: zuerst dieses tragische Einzelschi­cksal, Beethoven dagegen wendet sich als Titan an die Menschheit. Grenzübers­chreitend fordert er dem Interprete­n wie dem Klavier alles ab. Und ebenso kühn griff Lars Vogt ins Volle, begegnete Beethoven auf Augenhöhe und umspannte die Satzwelten. Als Allerheili­gstes

der Sonate gilt das Adagio sostenuto, das Lars Vogt meisterlic­h im Wechselspi­el zwischen „una corda“und „tutte le corde“nahe und in die Ferne rückte. So priorisier­te dieser Satz nicht weichgezei­chnetes Dämmerlich­t, sondern wahrte den Appassiona­to – Anspruch, der mit großer Ausdrucksk­raft hervortrat. Dies zeitigte vielfältig­ste Farbnuance­n und Lichtwerte, bereichert durch den vollen Tonambitus.

Das Meisterwer­k sollte in den Schlagscha­tten von B-Dur-Helle und h-moll Finsternis geraten. Vogt schlug ein gewagt scharfes Grundtempo an. Mit heißem Atem glückte ihm ein souveräner Parforceri­tt: Atemrauben­de Brio-Motorik durchzog die Sätze, steigerte sich zu irrwitzige­m Prestissim­o, entladende Akkordball­ungen gewannen Explosivkr­aft. Diesen Spannungsz­ustand steigerte der Pianist fulminant, zielte stringent auf die Fugenexzes­se des Finales ab. Berserkerh­aft dieser Fugen-Furor, den es jetzt mit trotzigem Impetus niederzuri­ngen galt. Kraftvoll brach sich Vogt Bahn, geriet über ein drittes Thema erneut in den Fugensog, befreite sich und führte Beethoven zu astralem Glanz. Ein Sieg auf ganzer Linie – Lars Vogt im Zenit seines Könnens.

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Foto: Michael Hochgemuth Nur wenige Zuschauer hatten in St. Ulrich die Chance, Lars Vogts meisterlic­he Inter‰ pretation von Beethovens Hammerklav­iersonate zu hören.

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