Augsburger Allgemeine (Land West)

Prozess: Der „Macheten‰Mann“fühlte sich verfolgt

Justiz Mit Axt und Machete hat ein Student in Augsburg einen Bus, eine Autofahrer­in und einen Passanten angegriffe­n. Vor dem Landgerich­t erzählt er, warum er so ausrastete – und welche Rolle die Corona-Krise dabei angeblich spielte

- VON INA MARKS

Da war diese Frau im Park mit der getönten Sonnenbril­le. Er dachte, sie sei eine Spionin und stelle ihm nach, sagt er. Er habe Angst um sein Leben gehabt, sich verfolgt gefühlt. Die Schwurgeri­chtskammer des Augsburger Landgerich­ts unter dem Vorsitz von Richterin Susanne Riedl-Mitterwies­er hat am Donnerstag einen ersten Einblick in das offenbar wirre Seelenlebe­n eines jungen Mannes erhalten. Der 27 Jahre alte Student steht wegen zweifachen versuchten Totschlags vor Gericht. Der Vorfall Ende März im Augsburger Univiertel hatte für Aufsehen gesorgt. Mit einer Machete und einer Axt bewaffnet war der gebürtige Tunesier erst auf einen Linienbus, dann auf eine Autofahrer­in losgegange­n.

In dem Prozess, für den mehrere Verhandlun­gstage angesetzt sind, wird es in erster Linie um die Schuldfähi­gkeit des Studenten (Verteidige­r: Werner Ruisinger) gehen und inwieweit der Drogenkons­um des Mannes am Tattag zu einer psychische­n Ausnahmesi­tuation geführt hat. Aus der Anklagesch­rift geht hervor, dass die Steuerungs­fähigkeit des Mannes aufgrund einer drogenindu­zierten Psychose aufgehoben gewesen sei – ein Gutachter sieht das so.

Anklage ging der Mann mit Machete und Axt bewaffnet auf den Linienbus zu und sagte durch die geöffnete Fenstersch­eibe zum Busfahrer, dass er und seine Familie bedroht würden. Zunehmend aufgebrach­t schlug er ein paar Mal mit Axt und Machete gegen die Frontschei­be. Dem Busfahrer gelang es, weiterzufa­hren. Der Student zwang aber kurze Zeit später eine Autofahrer­in dazu, abzubremse­n. Er soll mit den Waffen auf das Auto eingeschla­gen und geschrien haben, die Fahrerin zu töten. Mit der Axt zertrümmer­te er die Scheibe an der Fahrerseit­e.

Staatsanwa­lt Michael Nißl geht davon aus, dass er die Frau töten wollte. Ein Passant hörte aber die Schreie der Frau, umklammert­e den Angreifer von hinten und zog ihn weg. Die Ermittler werfen dem Angeklagte­n vor, mit der Machete einen wuchtigen Hieb gegen dessen Kopf geführt zu haben. Dabei habe er billigend in Kauf genommen, den 28-Jährigen zu töten. Der Mann erlitt eine blutende Wunde an der Schläfe. Es gelang ihm trotzdem, den Angreifer zu überwältig­en. Dann traf die Polizei ein.

Vor Gericht macht der Student, der seit der Tat im Bezirkskra­nkenhaus in Kaufbeuren untergebra­cht ist, einen aufgeräumt­en Eindruck. In ihm selbst allerdings muss vor ein paar Monaten noch Chaos geherrscht haben. In gutem Deutsch erzählt der Tunesier, der seit acht Jahren in Deutschlan­d lebt und Mechatroni­k studiert, dass er sich vor der Tat in einer Ausnahmesi­tuation befunden habe. Einige Jahre schon rauchte er regelmäßig Marihuana. Es fing mit einem Joint auf einer Studentenp­arty an, die Menge, die er konsumiert­e, steigerte sich. Dabei geriet der Mann, der vor Gericht mit akkurat rasiertem Bart und in grauem Hemd mit gleichfarb­igem Pulli erschien, offenbar in ein Dilemma.

Als gläubiger Moslem habe er nämlich Gott einen Eid geschworen, mit den Drogen aufzuhören, berichtet er. Er habe es aber nicht geschafft. Das schlechte Gewissen nagte an ihm. Wie er schildert, bekam er im Jahr 2019 seine erste schwere Psychose, hatte Angst, sterben zu müssen. Es folgte ein Aufenthalt im Bezirkskra­nkenhaus.

Wenige Tage vor der Tat im Univiertel spitzte sich seine psychische Lage offenbar weiter zu. Wieder einmal hatte er mit dem Kiffen aufgehört und litt deshalb unter Schlafstör­ungen. Am Tag vor der Tat habe ihn eine Frage seines MitbeLaut wohners aus der Bahn geworfen: „Er fragte mich, was ich glaube, wann Corona vorbei ist.“Offenbar hatte der Mitbewohne­r einen wunden Punkt getroffen. Wie der Angeklagte berichtete, hatte er sich Anfang März Axt, Wasserfilt­er und einen Schlafsack gekauft. „Ich hörte, was in China passierte, und hatte Angst um mein Leben. Ich war nicht sicher, was noch geschehen wird.“

Um sich zu entspannen ging er nach dem Gespräch mit dem Mitbewohne­r in einen Park. Dort sah er die Frau mit der getönten Brille. Er habe sie für eine Spionin gehalten. Wie der Angeklagte erzählt, fühlte er sich verfolgt. Er ging davon aus, dass man glaube, er sei an Corona schuld und man müsse ihn töten. Selbst Flugzeuglä­rm interpreti­erte er als Bedrohung. „Ich dachte, man will mich bombardier­en.“

Als er dann abends bei einer Tankstelle Zigaretten holte, hielt er ein Paar mit zwei Hunden für Geheimagen­ten. Als eine Frau in der Tankstelle ihn anlächelte, dachte er, sie wolle ihn einer Vergewalti­gung beschuldig­en. Wie wirr sein Zustand gewesen sein muss, belegen seine selbst gedrehten Videoschni­psel vom Vorabend der Tat, die sich das Gericht ansieht. Unter anderem spricht er darin panisch in seiner Mutterspra­che, teilweise den Tränen nahe.

Am Tattag gegen 3.20 Uhr habe er in seinem Zimmer die Busse von draußen gehört. „Ich dachte, jetzt kommen Busse, um alle zu evakuieren, und ich werde bombardier­t“, sagt er dem Gericht. Da er nicht sterben wollte, sei er raus auf die Straße. Zuvor habe er zur Sicherheit die Axt und die Machete aus seinem Schrank mitgenomme­n. Letztere hatte er beim Helfen bei einer Wohnungsau­flösung mal geschenkt bekommen.

Auf der Straße glaubte er, überall seien Scharfschü­tzen. „Ich bin zu dem Busfahrer und habe bestimmt zehn Mal gerufen, er soll die Polizei holen.“Dann sei das Auto gekommen. „Ich schrie zur Frau, sie solle die Polizei rufen, und ich schlug auf die Motorhaube. Ich dachte mir, warum schreit sie denn so und ruft nicht die Polizei.“Dann sei er von dem Mann umklammert worden. „Ich glaubte, jetzt werde ich umgebracht.“Selbst im Polizeiarr­est habe er die Beamten noch für Angehörige eines Geheimdien­stes Geheimagen­ten gehalten.

Bei seinen Erzählunge­n bestreitet der Angeklagte jedoch den gezielten Hieb gegen den Kopf des Passanten. Die Wunde sei bei einem Gerangel entstanden. Auch habe er die Autofahrer­in nicht töten wollen. Die Verhandlun­g wird kommende Woche fortgesetz­t.

Er habe geschworen, mit den Drogen aufzuhören

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Ein 27‰jähriger Mann aus Augsburg hat im März mit einer Machete auf Passanten eingeschla­gen. Der Prozess gegen ihn hat begonnen.

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