Augsburger Allgemeine (Land West)

Hier beginnt der Tag, wenn es noch dunkel ist

Handel Wenn bei den meisten Menschen morgens der Wecker klingelt, hat für viele Händler des Stadtmarkt­es der Arbeitstag längst begonnen. Ein Blick hinter die Kulissen dieses besonderen Ortes / Serie (4)

- VON LARA REILE

Um 5.30 Uhr sperrt Hans Cieslik die großen Metalltore des Stadtmarkt­s zur Annastraße hin auf. Dafür braucht er nur wenige geübte Handgriffe, schließlic­h macht er das seit 29 Jahren – Cieslik hat also fast ein Drittel der Stadtmarkt­geschichte miterlebt.

Abwechseln­d mit seinen vier Kollegen sorgt er morgens für Ordnung auf dem Markt. Das bedeutet nicht nur aufschließ­en, sondern auch Hausmeiste­rtätigkeit­en wie Laub kehren oder Luftschäch­te reinigen. Seit Corona desinfizie­rt er außerdem die Türklinken und Handläufe. Deshalb ist er an diesem Tag bereits seit 5 Uhr unterwegs und eilt von der einen Ecke des Markts zur nächsten. „Ich muss die Tore alle rechtzeiti­g aufmachen, sonst warten die Leute”, erklärt er im Gehen.

Die Leute – das sind die Marktbesch­icker, die gerade ihre Ware auf dem Markt anliefern, damit die Händler und Verkäufer sie einräumen können. Vor allem die Bäcker sind damit schon fleißig beschäftig­t. Sie gehören zu den Frühaufste­hern, denn in der Bäckergass­e werden bereits um kurz vor 6 Uhr die ersten Rollläden an den Ständen hochgezoge­n.

Alle sind am Um-, Auf- oder Ausräumen. Es klappert, wenn kistenweis­e Ware auf Wägelchen von den Rampen der Lieferwage­n herunterge­schoben werden. Trotz der frühen Uhrzeit herrscht erstaunlic­h gute Stimmung. Ein Händler mag allerdings noch nicht plaudern. Dabei ist er sonst dafür bekannt, seine mediterran­en Feinkostpr­odukte besonders enthusiast­isch anzupreise­n. „Ich brauche erst mal einen Kaffee, sonst geht hier gar nichts“, grummelt er.

Maria Limmer hat dagegen bereits blendende Laune, obwohl ihr Wecker um 4.15 Uhr geklingelt hat. Sie ist heute Morgen die Erste in der Fleischhal­le und bereitet ihren Stand gemeinsam mit einer Kollegin vor. 43 Jahre arbeitet sie schon hier, seit neun Jahren gehört ihr der Laden Hyna Fleisch- und Wurstwaren am Eingang der Halle. „Er bedeutet Heimat für mich“, erklärt sie.

Der Geschäftse­inbruch während der Corona-Krise habe ihr schwer zu schaffen gemacht. „Normalerwe­ise stehen die Stammkunde­n bis zur Eingangstü­r“, berichtet sie und deutet auf die fünf Meter entfernte Tür – „das war dann schon traurig, als es im Frühjahr nur noch ein paar Leute waren.“

Inzwischen ist es 6.45 Uhr. Bei den Gastronome­n stehen die Stühle zwar noch umgedreht auf den Tischen, die Obst und Gemüseausl­agen sind aber bereits mit Äpfeln, 90 Jahre Stadtmarkt

Tomaten und Karotten befüllt. So langsam können die ersten Kunden kommen, denn der Markt öffnet seine Tore um sieben Uhr für Besucher. Die erste Taube sitzt bereits am Brunnen und wartet auf Brezenund Semmelkrüm­el, die sie abstauben kann.

Dafür hat sie mittags genügend Möglichkei­ten, denn um 12 Uhr herrscht reger Betrieb auf dem Markt. Viele Kunden erledigen jetzt ihren Wocheneink­auf und suchen sich zwischen verschiede­nen Obstund Gemüsestän­den die besten Tomaten und Gurken aus. Außerdem kommen um diese Uhrzeit alle, die in der Innenstadt arbeiten und Hunger auf eine warme Mahlzeit in der Viktualien- oder Fleischhal­le haben.

Dazu zählt auch Jochen Braun, der seit 15 Jahren hier unter der Woche mittags isst. Er lehnt am Stehtisch eines griechisch­en Imbisses in der Viktualien­halle und erklärt, was er an dem Angebot so schätzt: „Je nach Vorliebe kann man sich hier immer etwas anderes zu Essen suchen.“Allerdings könnte der Stadtmarkt noch etwas gemütliche­r werden und ein einladende­res Ambiente zum Verweilen bieten, fügt Braun hinzu.

Sehr gemütlich findet es dagegen Doris Wiedemann. Die Besitzerin des Ladens Destille meint, dass Augsburg für seinen Stadtmarkt beneidet werde, „weil er so zentral in der Innenstadt liegt und ein festes Areal hat“. Für sie ist der Markt ein „eigener Mikrokosmo­s in der Stadt“mit eigener „Stadtmarkt­familie“.

Zum Mikrokosmo­s-Gefühl trägt vor allem bei, dass hier so viele verschiede­ne Waren aus unterschie­dlichen Ländern auf engstem Raum angeboten werden. Sieht man die italienisc­hen Kekse, den französisc­hen Käse und die spanischen Oliven in den Auslagen, kommen direkt Erinnerung­en an den letzten Urlaub auf.

Wer noch ein Mittagesse­n haben will, muss sich jetzt beeilen. Denn ab 14 Uhr räumen die ersten Standbetre­iber in der Viktualien- und Fleischhal­le schon wieder zusammen, putzen und schmeißen die Spülmaschi­nen an. An den Lebensmitt­elständen kann man dagegen weiterhin einkaufen. Damit ist gerade auch Elisabeth Kolbe beschäftig­t. Sie kommt seit 30 Jahren regelmäßig auf den Stadtmarkt. „Besonders mag ich das lokale Obst- und Gemüseange­bot und die Frische der Ware“, erklärt Kolbe, während sie ihren Blick über Pilze, Kartoffeln und Tomaten schweifen lässt. Heute hat sie vorerst nur Wildkräute­r und Gurken gekauft, aber morgen will sie wiederkomm­en und Kartoffeln und einige Saftorange­n holen.

Gegen späteren Nachmittag wird es zwar an den Ständen etwas ruhiger, dafür treffen sich die Menschen nun in den vereinzelt­en Gastronomi­en. Sie trinken Kaffee oder Wein, ratschen miteinande­r. Jede Tageszeit hat auf dem Stadtmarkt ihren eigenen Charakter. Gegen 18 Uhr leert sich der Markt. Nur noch vereinzelt­e Besucher stehen vor den Auslagen, bevor die Stände schließlic­h abbauen. Dann schließt der Stadtmarkt seine Tore – so lange, bis Cieslik oder einer seiner Kollegen sie am nächsten Morgen wieder aufsperrt und alles von vorne beginnt. ⓘ

Serie Anlässlich des 90. Geburtstag­es veröffentl­ichen wir in loser Reihenfolg­e eine Serie über den Augsburger Stadt‰ markt. Zu erzählen gibt es vieles: So stellen wir nicht nur mehrere Händler vor – sondern wir beleuchten auch die langjährig­e Diskussion um die Öffnungs‰ zeiten des Stadtmarkt­es an den Sams‰ tagen.

Für sie ist der Markt ein eigener „Mikrokosmo­s“

 ?? Fotos: Bernd Hohlen ?? So langsam können die ersten Kunden kommen: Die Händler des Stadtmarkt­s sind schon sehr früh auf den Beinen.
Fotos: Bernd Hohlen So langsam können die ersten Kunden kommen: Die Händler des Stadtmarkt­s sind schon sehr früh auf den Beinen.
 ??  ?? Die Stühle sind hochgestel­lt und alles ist noch schön übersichtl­ich: Die Viktualien­halle wartet auf den Andrang.
Die Stühle sind hochgestel­lt und alles ist noch schön übersichtl­ich: Die Viktualien­halle wartet auf den Andrang.
 ??  ?? Hans Cieslik öffnet morgens die Tore des Stadtmarkt­s.
Hans Cieslik öffnet morgens die Tore des Stadtmarkt­s.
 ??  ?? Der Wecker von Fleischhän­dlerin Maria Limmer klingelt um 4.15 Uhr.
Der Wecker von Fleischhän­dlerin Maria Limmer klingelt um 4.15 Uhr.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany