Augsburger Allgemeine (Land West)
Frankreich – ein Land im Visier der Extremisten
Kriminalität Mitten in Wien fallen Schüsse, schnell kommt es zu einer Festnahme. Die Polizei spricht von Terror. In unmittelbarer Nähe des Tatorts befindet sich eine Synagoge. Doch war sie das Ziel?
Wien Es ist kurz nach 20 Uhr abends im Herzen der Wiener Innenstadt, viele Wienerinnen und Wiener sind im Ausgeh-Viertel rund um den Schwedenplatz unterwegs. Es sind die letzten Stunden, ehe der CoronaLockdown beginnt. Um Mitternacht macht auch in Österreich die Gastronomie für mehrere Wochen dicht, entsprechend gut besucht sind die Lokale. Der wehmütige Abend wird jäh unterbrochen, als dutzende Schüsse zu hören sind. Offenbar mehrere Schützen feuern vor dem Stadttempel, der Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde in Wien, um sich. Schnell ist von mehreren Opfern die Rede, die Informationen kommen nur langsam an die Öffentlichkeit. Österreich steht an diesem Abend unter Schock.
Hunderte Passanten – das zeigen Videos im Netz – flohen panisch vor den Schützen, binnen Minuten war der gesamte 1. Bezirk von der Polizei abgeriegelt. „Wir sind mit allen möglichen Kräften im Einsatz. Bitte meiden Sie alle öffentlichen Plätze im Stadtgebiet“, schrieb die Polizei am Montagabend bei Twitter. Zudem wurde darum gebeten, keine Videos oder Fotos hochzuladen. „KEINE Videos und Fotos in sozialen Medien posten, dies gefährdet sowohl Einsatzkräfte als auch Zivilbevölkerung!“Der ÖPNV fuhr den Bezirk nicht mehr an.
Einer der mutmaßlichen Attentäter, das bestätigte die Polizei noch am Abend, sei tot. Er wurde von den Beamten erschossen. Doch offenbar war die Tat nicht das Werk eines Einzelnen. Das Innenministerium bestätigte, dass sich mindestens ein weiterer Täter auf der Flucht befand. Nachrichtensender berichteten davon, dass der Mann einen Sprengstoffgürtel trug – offiziell bestätigt wurde dies nicht.
Was das Innenministerium hingegen bestätigte: Ein Passant starb, mehr als ein Dutzend wurden verletzt, viele davon schwer. Einer Ministeriumssprecherin zufolge wurde auch ein Polizeibeamter angeschossen und schwer verletzt.
ÖVP-Innenminister Karl Nehammer sprach am Abend im ORF davon, dass man „von einem Terroranschlag“ausgehe, er bestätigte auch, dass man von mehreren Tätern ausgehe, die mit Langwaffen ausgerüstet gewesen sein sollen. Sonderkräfte der Polizei seien unterwegs, darunter die Einheit „Cobra“. Nehammer sei im direkten Austausch mit Kanzler Sebastian Kurz. Ein Krisenstab wurde gegründet. Das Militär war im gesamten Stadtgebiet im Einsatz.
Zurückhaltender äußerte sich der Präsident der jüdischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch. Deutsch schrieb auf Twitter, es könne derzeit nicht geklärt werden, ob der Stadttempel tatsächlich eines der Ziele war. „Fest steht allerdings, dass sowohl die Synagoge in der Seitenstettengasse als auch das Bürogebäude an derselben Adresse zum
Zeitpunkt der ersten Schüsse nicht mehr in Betrieb und geschlossen waren.“War das der Grund, warum die Täter weiterzogen? Oder wollten die Täter die Feiernden treffen?
Nicht nur vor der Synagoge, auch vor einem bekannten Wiener Innenstadtlokal hat es Schüsse gegeben: Passanten flüchteten sich in naheliegende Lokale. Ein Video zeigte eine große Blutlache vor einem Restaurant. Gerüchte über eine Geiselnahme machten die Runde, dies bestätigte sich allerdings zunächst nicht. Später soll sich das Geschehen in Richtung Stadtpark verlagert haben. Wie die Polizei später bekannt gab, spielte sich der Anschlag an insgesamt sechs Tatorten ab, alle lagen im Umfeld der Seitenstettengasse.
Einer, der den Einsatz der Polizei aus direkter Nähe beobachtet hat, war Florian Klenk, Chefredakteur der österreichischen Wochenzeitschrift Falter. Er schrieb auf Twitter: „Video eines Anrainers, das wir gerade bekommen haben, zeigt Mann in Kampfmontur der wahllos in Lokale vis a vis der Synagoge feuerte.“Kurz vorher postete er: „Ich beobachte gerade den Polizeieinsatz und habe so etwas noch nie gesehen. Männer die unter Einsatz ihres Lebens den Tempel und ganz Wien beschützen. Mit Waffe im Anschlag und Angst.“
Bestürzt zeigte sich am späten Abend der Bürgermeister von Wien. „Ich bin tief getroffen von diesem furchtbaren Verbrechen“, sagte Michael Ludwig. Trauerbekundungen aus der ganzen Welt erreichten Österreich nur Stunden nach dem Anschlag. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte Kanzler Sebastian Kurz volle Solidarität und Unterstützung Frankreichs zu und bot Hilfe an, falls diese notwendig sei, hieß es aus Kreisen des Präsidentenpalasts in Paris. Die Franzosen teilten den Schock und die Trauer der Österreicher, schrieb Macron außerdem auf Deutsch und Französisch auf Twitter. „Nach Frankreich ist es ein befreundetes Land, das angegriffen wird. Dies ist unser Europa“, so Macron weiter. „Unsere Feinde müssen wissen, mit wem sie es zu tun haben. Wir werden nichts nachgeben.“.
Schüsse an insgesamt sechs Tatorten