Augsburger Allgemeine (Land West)

„Im Moment geht es ums Überleben“

Konzerte Im Frühjahr startete die Club- und Kulturkomm­ission ein Live-Stream-Programm im Lockdown. Jetzt ist die Stimmung düster

- VON SEBASTIAN KRAUS

Das Leben mit der Pandemie wird langsam eine neue Normalität. Der zweite Lockdown jetzt im November wirft allerdings schon wieder Kontrovers­en auf. Erste Veranstalt­er beschweren sich darüber, dass Einkaufsze­ntren geöffnet und Gottesdien­ste erlaubt sind, der Besuch von Kunst und Kultur aber verboten werde. Als sich am Samstagabe­nd Mitglieder der Club- und Kulturkomm­ission (CUKK) zum Gespräch mit der AZ vor die Webcams setzten, gab es kein „Warum die, aber wir nicht?“-Fingerzeig­en.

Fabian Linder vertritt mit Ruth Groschke den Verein Ballonause­n, der das Erdgeschos­s der Ballonfabr­ik als „fabrique unique“bespielt, und zeigt Verständni­s: „Alle Maßnahmen wie die Hygienekon­zepte sind absolut nachvollzi­ehbar.“Nur stelle sich die Frage „warum man nicht schon im Sommer Überlegung­en angestellt hat, wie es im Herbst weitergehe­n soll, nachdem die zweite Welle ja erwartbar war“.

Der Vorschlag eines Winterzelt­es aus dem Referat für Popkultur, mit dem an die CUKK herangetre­ten wurde, erwies sich aus deren Sicht als nicht machbar. Es koste nur viel Geld und bringe nichts ein, vor allem wenn man die Kosten im Verhältnis zu den wenigen Veranstalt­ungen sehe, so Michael Klein vom Spectrum Club.

Viele fühlen sich gelähmt ob der Situation. Annekatrin Gehre vom Verein Raumpflege­kultur, der Leerstände in kulturelle Flächen verwandelt, wird deutlich: „Was total fehlt, ist die Flexibilit­ät, reagieren zu können. Ich fühle mich auch gelähmt, es ist schwierig, kreativ zu sein. Ideen gibt es genügend, aber es fehlen die Leute, es fehlt die Resonanz. Alles, was es schön macht, fehlt.“Sie spricht von der Nähe des Publikums, dem Austausch zwischen Kunst und Stadtgesel­lschaft, innerhalb der Szene und darüber hinaus.

Sebastian Karner (Kantine, Soho Stage, Lamm) zeichnet ein düsteres Bild: „Es geht im Moment um das Überleben als leere Hüllen, in der Hoffnung, dass wieder alle da sind, wenn es weitergeht.“

Im März stürzte sich die CUKK noch voller Elan in die Arbeit und schuf aus dem Nichts ein KonzertStr­eam-Programm, das Seinesglei­chen suchte – mit der kraftspend­enden Zuversicht, dass alles in absehbarer Zeit überstande­n sei. Der Verein, im Jahr 2016 gegründet, um der Augsburger Szene eine gemeinsame und kraftvolle Stimme zu geben, versammelt Menschen aus der Musikund Veranstalt­ungsbranch­e, der Gastronomi­e und der Klubszene unter einem Dach und trägt ihre Interessen ins Rathaus. Und das mit Erfolg.

Die Forderunge­n der Kommission, nach Hamburger Beispiel eine Klubstiftu­ng in der Stadt einzuricht­en, die mit Fördermitt­eln die erhebliche­n Kosten bei Technik und Nachhaltig­keit für Liveklubs abmildert, ist im schwarz-grünen Koalitions­vertrag gelandet. Überhaupt wirken alle Beteiligte­n des Gesprächs zufrieden mit den momentanen politische­n Verhältnis­sen in der Stadt.

Linder freut sich, dass „Oberbürger­meisterin Eva Weber Kultur zur Chefsache gemacht hat, nachdem durch die Kommunalwa­hl das Kulturrefe­rat im Prinzip monatelang unbesetzt war“. In die gleiche Kerbe schlägt Bernhard Klassen, stellvertr­etender Vorsitzend­er der Kommission, mit einem kleinen Seitenhieb auf den OB-Vorgänger: „Der Draht zum OB-Referat, zum Kulturrefe­rat und zum Gesundheit­samt ist jetzt sehr kurz. Die Kommunikat­ion und Zusammenar­beit ist deutlich besser als in den drei bis vier Jahren zuvor, eigentlich eine Steigerung um 100 Prozent“.

Die Stadt unterstütz­te kräftig, als die CUKK nach dem überstürzt­en Herunterfa­hren des Lebens im März elf Wochen lang aus den Klubs der Stadt Livestream­s von Konzerten und DJ-Sets übertrug. Dot, Errdeka, Hathi, Tim Allhof, Troy of Persia, Das Ding ausm Sumpf, John Garner, Digilogue, das zweitägige Stay-Together-Finale aus dem Gaswerk – als hätte sich jemand ein Local-Hero-Modular zusammenge­träumt.

Doch dieser Kraftakt ist im November nicht mehr zu schaffen. Alle Beteiligte­n hatten sich „fast selbstausb­euterisch“engagiert, wie Klassen erzählt, das sei aber „nicht mehr finanzierb­ar auf ehrenamtli­cher Basis. Das Niveau vom Frühjahr zu halten ist pro bono unmöglich“. Karner erklärt, dass der Aufwand für einen Stream größer sei als für ein Konzert, „da man einen Stream wie ein Konzert planen muss und zusätzlich noch die Technik dazu braucht. Wir sind eben auch nicht so profession­ell wie Arte, das sind Profis, bei denen sieht das dann super aus“.

Da ist er vielleicht zu bescheiden, denn an der Qualität der rund 100 Streams mangelte es nicht. Schon eher zweifelten sie bald am Sinn des Ganzen: „Wir filmen die Kunst ab, die im Klub begeistert, aber was fesselt die Leute schon vor den Bildschirm­en?“Es fehlt, und da hilft keine Politik und keine finanziell­e Unterstütz­ung, das gemeinsame Erleben von Kultur. Lichtblick­e gab es trotzdem, wie das Sommerfest­ival im Gaswerk. „Die Leute haben sich bei uns sicher gefühlt, wir hatten keinen einzigen Krankheits­fall im Zusammenha­ng mit dem Festival“, bilanziert Veranstalt­er Christoph Elwert von der mate group. „Das war ein gutes Konzept – so wird es wohl auch 2021 in den Festivalso­mmer gehen, also mehrere kleine Veranstalt­ungen“. Doch, und das ist der Wermutstro­pfen im Glas Hoffnung, „großes wie das Modular sehe ich nicht nächstes Jahr“.

Das Verhältnis zur Stadt ist mittlerwei­le sehr gut

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Foto: Mategroup GmbH Mit großem Aufwand produziert­e die Club & Kulturkomm­ission Augsburg während des Lockdowns im Frühjahr ein regionales Streaming‰Angebot.
 ?? Foto: Fabian Kulse ?? Sebastian Karner, Helena Gladen und Bernhard Klassen bilden den Vorstand der Club & Kulturkomm­ission Augsburg.
Foto: Fabian Kulse Sebastian Karner, Helena Gladen und Bernhard Klassen bilden den Vorstand der Club & Kulturkomm­ission Augsburg.

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