Augsburger Allgemeine (Land West)
Ein Ort für Männer, die unter Gewalt leiden
Soziales Seit Januar läuft in Augsburg ein Modellprojekt, das es so in Bayern nur ein weiteres Mal gibt. In einer anonymen Schutzwohnung finden Personen Zuflucht, die Opfer von häuslichen Übergriffen geworden sind
Männer werden gedemütigt, Männer werden kontrolliert, Männer werden geschlagen. Auch Männer leiden unter häuslicher Gewalt – 20 Prozent aller Opfer häuslicher Gewalt sollen männlich sein. In Augsburg gibt es seit Jahresbeginn eine Einrichtung für sie. Das Projekt „Adami“– hebräisch für menschlich – ist bayernweit nahezu einzigartig. Es ist angedockt am Katholischen Verband für Soziale Dienste (SKM). Laut bayerischem Familienministerium gab es Stand Juni dieses Jahres in ganz Deutschland sieben Initiativen dieser Art. Kern des Projekts in Augsburg ist eine Schutzwohnung für Männer, die unter häuslicher Gewalt leiden – maximal zwei Männer können dort für höchstens drei Monate leben. Derzeit lebt ein Mann dort, seit beinahe zwei Monaten. Er wurde zu Hause unterdrückt, durfte sich dort nur noch in bestimmten Bereichen bewegen, wurde dauernd von der Frau überwacht und schikaniert.
Das erzählen Carina Huber und Niklas Mülstroh – die beiden Sozialarbeiter sind in dem Projekt tätig, zusammen mit einem weiteren Kollegen, Thomas Schlegl. Huber ist Projektleiterin, sie sagt, der derzeitige Bewohner sei „nicht stabil genug“für ein Gespräch. Man habe das bereits bei früheren Bewohnern erlebt, denen es nach solchen Terminen oftmals schlechter ging. Mülstroh sagt, „wenn die Männer hier erstmals bei uns sitzen, brechen sich oft ganz viele Emotionen Bahn.“Viele seien orientierungslos, würden weinen – Männer aller Schichten und Altersgruppen können betroffen sein. der Website des Bundesfamilienministeriums ist zu lesen: „Bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen in Partnerschaften sind die Opfer zu 98,4 Prozent weiblich. Bei vorsätzlicher, einfacher Körperverletzung sowie bei Mord und Totschlag in Paarbeziehungen sind 77 Prozent der Opfer Frauen.“Nach Angaben des Bundeskriminalamtes wurden 2018 142 Menschen Opfer von „vollendetem
Mord und Totschlag“innerhalb eines partnerschaftlichen Verhältnisses – davon waren 24 Männer.
Das Gespräch ist eine der wichtigsten Hilfestellungen, die die drei Sozialarbeiter leisten können. So beginnt die Kontaktaufnahme auch mit einem Telefonat, in welchem die Männer ihre Situation schildern können. Dabei wird auch geklärt, ob der Anrufer für das Angebot in Frage kommt. Anschließend findet ein perAuf
sönliches Gespräch statt, in welchem die nächsten Schritte besprochen werden. Die Schutzwohnung steht Betroffenen aus ganz Bayern offen, ausgeschlossen sind dauerhaft obdachlose oder gewalttätige Männer.
Doch bis es überhaupt zu diesem ersten Schritt kommt, ist es für viele Männer ein weiter Weg. Huber und Mülstroh erzählen beide, wie schwierig es für Männer auch 2020 noch ist, über häusliche Gewalt als
Betroffene zu sprechen. Selbst unter Freunden und Angehörigen sei das Thema oftmals schambesetzt. „Manche Männer ertragen physische oder psychische Gewalt viele Jahre oder Jahrzehnte, ehe sie die Reißleine ziehen.“Es gebe finanzielle Abhängigkeiten, manche Männer hätten Angst, den Zugang zu den Kindern bei einer Trennung zu verlieren, oder sie würden die Beziehung nicht aufgeben wollen.
Oft würde der Anruf bei „Adami“erfolgen, weil die Männer Angst hätten, letztlich „durchzudrehen“und gewalttätig zu werden. „Wir hatten einmal einen Mann bei uns“, sagt Huber, „dessen Frau unter Zwangsstörungen litt, die sich im Laufe der Jahre verschlimmerten. Er wollte sie aber nicht aufgeben.“Heute führten die beiden wieder eine Beziehung.
Bis es wieder so weit sein kann, durchleben die Männer im Projekt drei Phasen. Nach der ersten Phase des Schocks würde, so erklärt es Huber, eine zweite folgen, in der sie in der geschützten Wohnung nach drei, vier Wochen zur Ruhe kommen – viele würden hier erstmals seit langer Zeit wieder gut schlafen. Mülstroh erklärt: „Wir bohren nicht nach, vor allem weil manche Männer traumatisiert sind“. Die Sozialarbeiter bieten Gespräche an. Wer möchte, kann sich mitteilen.
Oft gehe es darum, sagt Mülstroh, dass die Männer verstehen und akzeptieren lernten, dass sie verletzlich seien und etwas schieflaufe – gerade für beruflich erfolgreiche Personen sei das ein Problem. Wenn alles gut geht, folge meist nach etwa acht Wochen die dritte Phase.
Laut Huber beginnen die Männer dann meist, Pläne zu schmieden, wie es weitergeht nach dem Aufenthalt in der Schutzwohnung. „Möchte man zurück, möchte man einen Neuanfang starten?“Seit April ist die Wohnung im Stadgebiet durchgehend bewohnt, die Nachfrage ist hoch. Natürlich, sagen beide Sozialarbeiter, seien Frauen die Hauptleidenden unter häuslicher Gewalt jeglicher Form – aber man müsse dafür sensibilisieren, dass auch Männer leiden.