Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie gut ist das Krisenmanagement der Stadt?
Pandemie Augsburg hat den höchsten Sieben-Tage-Wert bei den Neuinfektionen in Deutschland. Die Stadt plant aber vorerst keine strengeren Corona-Regeln. Unterdessen wird Kritik laut – auch an Gesundheitsreferent Reiner Erben
Die Zahlen ändern sich immer wieder. Ständig kommen neue CoronaFälle hinzu – sowohl in Augsburg wie in allen anderen Kommunen in Deutschland. Stand Dienstagnachmittag allerdings waren die Zahlen eindeutig: Augsburg hatt bundesweit den höchsten Wert bei der Sieben-Tage-Inzidenz – also bei der Summe der Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen pro 100.000 Einwohner. Der Sieben-Tage-Wert – in Augsburg lag er am Dienstag bei 346,3 – ist ein wichtiges Indiz dafür, wie stark sich das Virus verbreitet. Die Behörden richten danach auch ihre Maßnahmen aus. In den Kreisen Rottal-Inn und Berchtesgadener Land wurde bereits bei einem Wert von 250 das öffentliche Leben komplett heruntergefahren – inklusive geschlossener Schulen und Kindergärten. Augsburg verzichtet vorerst auf noch schärfere Corona-Regeln. Indes wird die Kritik am Krisenmanagement in der Stadt lauter.
Woran es liegt, dass die CoronaZahlen ausgerechnet in Augsburg so explodieren – darüber können auch die Fachleute nur spekulieren. Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) hatte vorige Woche gesagt, dass es wohl auch im Zusammenhang mit mehreren größeren Familienfeiern in Augsburg Infektionen gegeben habe.
Dass es sich dabei vorwiegend um Feiern in türkischstämmigen Familien gehandelt haben soll, wird bei der Stadt auf Anfrage nicht bestätigt. Zuletzt ist der Überblick über Infektionsschwerpunkte ohnehin verloren gegangen. Das zeigen die aktuellen Zahlen vom Dienstag. Nur bei drei der 102 neuen Fälle konnte festgestellt werden, wo die Infektionen stattgefunden haben. Die Zahl der Mitarbeiter im Gesundheitsamt ist zwar stark aufgestockt worden, doch trotzdem kann es wegen der hohen Fallzahlen mehrere Tage dauern, bis Kontaktpersonen von Infizierten informiert werden.
Bürger berich- ten auch, dass die Koordination unter den Gesundheitsamtsmitarbeitern offenbar zu wünschen übrig lasse. So gibt es Betroffene, die erst keinen Anruf erhielten, dann aber gleich mehrere in kurzer Zeit. Das soll sich nun mit einer Computersoftware, die übers Wochenende eingeführt wurde, ändern. Bisher führten die „Corona
relativ einfache Listen. Nun gibt es laut Stadt eine Datenbank, in der jeder Fall gespeichert wird. Mit der Datenbank soll jeder Mitarbeiter in der Kontaktverfolgung auf dem neusten Stand sein.
Dass die Software jetzt, auf einem Höhepunkt der Pandemie, eingeführt wird, sei sicher nicht ideal – das räumt man auch bei Stadt hinter vorgehaltener Hand ein. Es gibt Stimmen, die es als Versäumnis des Umwelt- und Gesundheitsreferenten Reiner Erben (Grüne) sehen, dass man sich nicht schon im Sommer damit beschäftigt hat, wie man bei stark steigenden Fallzahlen den Überblick über die Daten behält. Ähnlich sieht es bei der Zahl der Mitarbeiter aus. Hätte man das Amt nicht früher verstärken müssen – oder zumindest städtische Mitarbeiter so schulen, damit sie bei Bedarf schnell in der Kontaktverfolgung arbeiten können?
In einer Videokonferenz mit Stadträten am 24. Oktober hatte OB Eva Weber noch gesagt, man benödemie
keine Hilfe von der Bundeswehr. Nur zwei Tage später kam dann die Kehrtwende, nun sollen doch auch Soldaten eingesetzt werden. Weber verteidigt die Vorgehensweise. Keiner habe im Frühjahr ahnen können, dass die zweite Welle Augsburg so hart treffen würde. Bei der Einführung der Software könne die Kommune zudem nicht alleine entscheiden. „Wir sind immer abhängig davon, was Bund und Länder sagen.“Und die Stadt habe ja auch vieles in die Wege geleitet. „Wir haben über 100 Leute aus der Kernverwaltung ins GesundheitsDetektive“ amt abgestellt, 40, 50 weitere sitzen zusätzlich an der Telefonhotline.“
Bei der Opposition im Stadtrat sorgen Entscheidungen, wie die, die Bundeswehr erst abzulehnen und dann doch anzufordern, für Stirnrunzeln. SPD-Stadtrat Dirk Wurm schrieb auf Facebook: „Vor ein paar Tagen hieß es auf Nachfrage: Wir haben alles im Griff, es ist alles vorausschauend geplant, und jetzt? Kommt die Bundeswehr! Glaubwürdigkeit und Vertrauen schaffen sieht anders aus.“Referent Erben verteidigt das Vorgehen der Stadt. „Eine Eigenschaft der Corona-Pantige ist, dass Pläne und Prognosen schwer aufrecht zu erhalten sind“, antwortet er auf eine Anfrage unserer Redaktion. „Auch binnen weniger Tage können sich daher Pläne als überholt erweisen. Die Stadt Augsburg reagiert wie bisher auch flexibel auf das An- und Absteigen der Covid-19-Infektionen.“Nicht nur in der Stadtratsopposition gibt es inzwischen aber Stimmen, ob „flexibel“in diesem Fall nicht „verspätet“heißen müsste.
Der Fraktionschef der Bürgerlichen Mitte, Hans Wengenmeir, hatte deshalb hinterfragt, ob das Gesundheitsamt im Bereich von Erben gut aufgehoben sei. Es war ihm erst nach der Kommunalwahl im Frühjahr zugeschlagen worden, zuvor war es beim Ordnungsreferat. Wengenmeir sprach von „chaotischen“Zuständen und kassierte deshalb einen Rüffel von OB Weber. Kurz darauf aber musste man bei der Stadt einräumen, dass es bei der Kontaktverfolgung einen mehrtägigen Rückstau gebe und man deshalb vorrangig Schwerpunkte informiere – etwa Schulen und Altersheime.
Florian Freund, Chef der Sozialfraktion von SPD und Linkspartei, sagt, bewertet das Agieren von Erben als „unglücklich“. Freund sieht auch das Hin und Her bei der Maskenpflicht an Lech und Wertach als Fehler. Es dränge sich der Eindruck auf, dass das Vorgehen nicht immer einem Plan folge. „Darunter kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die wichtigen Maßnahmen leiden“, so Freund. Vieles, was die Stadt umsetze, sei richtig und werde von der Sozialfraktion unterstützt. Er wünsche sich aber eine klarere Kommunikation durch die schwarz-grüne Stadtregierung.
Aus den Reihen der CSU-Fraktion ist ebenfalls Unzufriedenheit mit dem Gesundheitsreferent zu hören – aus der Deckung wagt sich aber niemand. Zuletzt sei Ordnungs- und Personalreferent Frank Pintsch (CSU) immer mehr in die Rolle des Corona-Referenten gerutscht, sagt ein Stadtrat. Er habe für Erben mehrfach die Kohlen aus dem Feuer geholt. Das dürfe kein Dauerzustand werden, zumal die CSU den Grünen inhaltlich stark entgegengekommen sei in den vergangenen Monaten. Eva Weber indes stärkt dem grünen Gesundheitsreferenten den Rücken: „Die Pandemie fordert die gesamte Stadtregierung heraus. Auch in anderen Kommunen läuft nicht alles rund, man hat dort dieselben Probleme.“Deshalb einen Referenten in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen, hält sie für falsch. Die Entscheidungen treffe stets die gesamte Stadtregierung.