Augsburger Allgemeine (Land West)
Kein Zurück mehr
Joe Biden wird sich im Endspurt wohl den Sieg sichern. Die Hoffnungen auf ihn sind in Deutschlands Wirtschaft groß. Aber sie könnten enttäuscht werden. Die guten alten Zeiten sind vorbei. Denn auch der Demokrat sagt: Buy American
Washington Slogans sind wichtig in der Politik: „Buy American“, „Make it in America“, „Innovate in America“, „Invest in all of America“, „Stand up for America“und „Supply America“– Wer hat’s gesagt? Nein, nicht Donald Trump, sondern Joe Biden. Das sind die Überschriften seiner industriepolitischen Agenda. Dazu darf man sich im Wahlkampf, hinter der Bühne, gerne eine große amerikanische Flagge und eine adrette Phalanx von Pickups denken. Produziert von Ford, made in America.
Der Wahlkampf ist vorbei, Joe Biden hat mehr Stimmen auf sich vereinigt als jeder gewählte US-Präsident vor ihm. Er ist zwar noch nicht Präsident der Vereinigten Staaten, sein mutmaßlicher Vorgänger hat sich noch längst nicht geschlagen gegeben. Aber wenn Trump Geschichte ist, wird und will Biden trotzdem dessen Wähler mitnehmen müssen. Was heißt das für die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen? Was heißt dann „Buy American“?
Wenn man sich in diesen Tagen umhört, in denen sich der zum Ausblenden der Realität höchstbegabte Trump im Weißen Haus verschanzt, wer fragt, was sich wirtschaftlich ändern würde mit Biden im Oval Office, bekommt zur Antwort: Wenig. Ein Zurück in die alten Zeiten ohne Zölle, ohne Handelskonflikte, ohne deutlich eingeforderte Ansprüche wird es nicht mehr geben. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, schätzt die Lage so ein: „Wir sollten nicht den Fehler begehen, einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik unter einem Präsident Biden zu erwarten. Er wird die „Buy American“-Strategie umsetzen und auch vor Konfrontationen mit Europa und Deutschland nicht zurückschrecken.“
Europa und Deutschland müssten in der Wirtschaftspolitik auf die USA zugehen, sagt der Professor für Makroökonomie. „Sie müssen die neue US-Regierung vom gegenseitigen Nutzen eines intensiveren Handels und der gemeinsamen Interessen gegenüber China überzeugen.“Fratzscher hält die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Unternehmen in Deutschland und den USA nach wie vor für stark. Der Konfrontationskurs der US-Regierung habe in den vergangenen vier Jahren jedoch viel Unsicherheit geschaffen. Auch eine wochenlange Hängepartie infolge des Wahlausgangs würde laut Fratzscher die Finanzmärkte verunsichern und den US-Dollar schwächen.
Allerdings hat die Börse die Unklarheit bislang nicht nachhaltig beeindruckt. Für Christian Kahler, Chefanlagestratege der DZ-Bank, war erwartbar, was nun passiert: „Das enge Kopf-an-Kopf-Rennen führt kurzfristig zu erhöhter Volatilität. Aber ein Blick auf den Kalender sagt: Das Thema ist irgendwann gelöst. Anfang Dezember muss es nach der amerikanischen Verfassung einen neuen Präsidenten geben und Anfang Januar wird er vereidigt.“Aus Investorensicht unterschieden sich beide Kandidaten nicht wesentlich. Trump stehe für weniger Regulierung und Umweltauflagen. Biden hat ein riesiges Investitionsprogramm angekündigt. „In diesem Sinne haben beide einiges in petto.“
Der Ölpreis stieg zuletzt etwas, gab dann aber wieder nach. Schickentanz sieht auch hier keine eindeutige Präferenz der Märkte für einen der beiden Kandidaten: Kurzfristig hätte ein Sieg von Trump den Preis wohl stabilisiert. Der Iran steht in den Startlöchern, seine Produktion massiv hochzufahren, doch anders als Biden würde Trump das wohl mit schweren Sanktionsdrohungen verhindern. Biden wiederum stehe für mehr Umweltauflagen und Regulierung der Frackingindustrie, die Trump weiter fördern wollte. Im Endergebnis würde in beiden Szenarien mehr Öl auf den Markt drängen und für weiteren Druck auf die Preise sorgen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es für Biden reicht, steigt. Dennoch wird Trump seine Niederlage wohl noch lange juristisch abzuwenden versuchen. Und: Er bleibt noch für einige Wochen im Amt. Kann er somit noch größeren Schaden anrichten? Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank winkt ab. „Natürlich wird Trump eine Wahlniederlage nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Aber seine Möglichkeiten sind begrenzt. Er könnte weiter mit executive orders etwa in Handelsfragen eingreifen, aber die Wirkung wäre vergänglich und das Schreckenspotenzial darum gering. Er kann noch mal Unsicherheit produzieren, aber keinen größeren realwirtschaftlichen Schaden anrichten.“
Die USA sind für Deutschland und insbesondere für die bayerische Wirtschaft nach wie vor als Handelspartner von größter Bedeutung. Laut Bayerischem Industrie- und Handelskammertag (BIHK) bleiben die Vereinigten Staaten das Exportland Nummer Eins. 2019 wurden Waren „Made in Bavaria“im Wert von 21,3 Milliarden Euro in die USA verkauft, auch wenn die Handelsbeziehungen zuletzt „spürbar an Dynamik“verloren hatten. Die USA sind auch der wichtigste Auslandsstandort für bayerische Unternehmen. Sie haben dort 71 Milliarden Euro investiert und beschäftigen 168000 Arbeitnehmer. Umgekehrt haben US-Firmen in Bayern 14 Milliarden Euro investiert und 109000 Arbeitsplätze geschaffen. BIHKHauptgeschäftsführer
Manfred Gößl fordert daher: „Unsere Wirtschaft braucht einen freien und fairen Welthandel, der auf verlässlichen Regeln beruht.“Dieses partnerschaftliche Grundverständnis habe unter Trump gelitten. Aber auch Gößl sagt: „Mit einem Wahlsieg Bidens wird die Zeit nicht zurückgedreht.“Beide politischen Lager machten den US-Importüberschuss für interne Wirtschaftsprobleme verantwortlich und bezögen mehr oder weniger protektionistische Positionen. Biden allerdings äußere deutlich mehr Unterstützung für Kooperation und internationale Zusammenarbeit, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO. Gößl sagt: „Es gibt tatsächlich auch konkrete Anzeigen, dass Biden im Fall seiner Wahl die Streitigkeiten mit der EU beilegen könnte und im Handelskonflikt mit China den Schulterschluss mit den Europäern sucht.“Zugleich aber gibt er zu bedenken: „Auch unter einem Präsidenten Biden würden sich die USA weniger europäisch und mehr pazifisch orientieren, weil die ökonomischen und politischen Machtachsen im 21. Jahrhundert durch den Indopazifik verlaufen und nicht mehr durch den Atlantik. Das lange Zeitalter der Europazentriertheit ist vorbei.“
Und was sagen die Unternehmer selbst? Auf die Frage, was sich mit einem Präsidenten Biden ändern würde, antwortet Albert Schultz, Geschäftsführer von MagnetSchultz: „Inhaltlich für Europa nicht viel, aber meine Hoffnung ist, dass der Ton konzilianter wird.“Das von ihm geführte Familienunternehmen mit Sitz in Memmingen ist Spezialist für elektromagnetische Aktoren und Sensoren und produziert sowohl in den USA als auch in China. Das amerikanische Werk steht in Westmont, Illinois, das chinesische in Wujiang, zwei Stunden westlich von Shanghai. Schultz erklärt weiter: „Ich hoffe einfach, dass wir wieder stärker als Verbündete wahrgenommen werden. Und dann müssen wir auch liefern.“Deutschland habe sich seiner Meinung nach zuletzt geopolitisch ziemlich ausgeruht und müsse nun dringend aus der jahrzehntelangen Komfortzone heraus. Er plädiert weiterhin für eine starke transatlantische Partnerschaft: „Wir müssen unsere gemeinsamen demokratischen Werte, die seit der Finanzkrise im Ansehen gelitten haben, wieder viel besser propagieren und global vertreten.“
Bleibenden Schaden könnte Trump nicht mehr anrichten
Die USA richten sich auch unter Biden nach Asien aus