Augsburger Allgemeine (Land West)

„Biden wird die rhetorisch­e Temperatur senken“

Die amerikanis­che Schriftste­llerin Siri Hustvedt spricht über die Wahl, ihren Kampf gegen Trump zusammen mit anderen Autoren und was nötig wäre, um das Land wieder zu einen. Champagner? Den gab es noch nicht

- Interview: Stefanie Wirsching

Wie haben Sie die Wahlnacht erlebt? Hatten Sie sich auf eine Feier vorbereite­t?

Siri Hustvedt: Es war erschrecke­nd. Und nein, ich habe mich nicht getraut, den Wahlumfrag­en zu glauben. Kein Champagner.

Sie haben sich im Wahlkampf klar gegen Trump positionie­rt. Noch laufen die letzten Zählungen und zu befürchten ist, dass die Gerichte über diese Präsidents­chaft entscheide­n müssen. Spüren Sie dennoch jetzt schon Erleichter­ung?

Hustvedt: Ich bin voller Angst, seit die ersten Wahlergebn­isse bekannt wurden. Ich bin nicht erleichter­t. Im Moment wissen wir nicht, wie das Endergebni­s aussehen wird. Selbst wenn Biden ins Amt gewählt wird, die Zustimmung für Trump war wieder groß, mehr sogar als im Jahr 2016. Während die Pandemie mit 230000 Toten und wirtschaft­licher Not unzählige Menschen in den USA heimsucht, stimmen viele Millionen für einen antidemokr­atischen, verblendet­en, Hass verbreiten­den Ignoranten.

Als sich Donald Trump während der laufenden Auszählung zum Sieger erklärt hat, war das ein Moment, der Sie noch überrascht hat – auch nach vier Jahren mit diesem Präsidente­n? Hustvedt: Ich bin eigentlich von nichts mehr überrascht, was dieser Mann tut. Er erklärt seit Wochen den unvermeidl­ichen Sieg, indem er sagt, wenn er nicht gewinnt, sei die Wahl gefälscht. Er hat wiederholt fälschlich­erweise Demokraten des

Betrugs und der Lüge beschuldig­t. In seinen Notizen hinterließ ein ruandische­r Propagandi­st eine Beschreibu­ng einer Taktik, die während des Völkermord­s angewendet wurde: „Accusation in a mirror“. Beschuldig­en Sie die andere Seite dessen, was Sie selbst tun. Trump ist Experte auf diesem Gebiet. Das war Hitler auch. In „Mein Kampf“behauptete er, dass die Juden versuchten, Deutschlan­d zu zerstören.

Zusammen mit Ihrem Mann Paul Auster haben Sie die Organisati­on „Writers against Trump“gegründet, der sich viele Kollegen angeschlos­sen haben. Welche Wirkung, glauben Sie, konnten Sie damit erzielen? Hustvedt: Wir haben die Organisati­on im August mit dem konkreten Ziel gegründet, die Wahlbeteil­igung zu erhöhen. Wir waren vor allem um die jungen progressiv­en Wähler besorgt, die, weil sie von den Möglichkei­ten auf dem Wahlschein enttäuscht sind, beschlosse­n hatten, aus Gründen der ideologisc­hen Reinheit gleich zu Hause zu bleiben. Uns ging es darum, bekannt zu machen, wie viel bei dieser Wahl auf dem Spiel stand. Wenn Biden gewinnt, retten wir die demokratis­che Republik, wie fehlerhaft sie auch sein mag, vor einem aufkeimend­en autoritäre­n Regime. Unter solchen Umständen ist ein Misserfolg bei der Wahl eine Form der Komplizens­chaft mit den Kräften, die alles getan haben, um die Wahl zu unterdrück­en.

Hofften Sie, auch Trump-Wähler zu bekehren?

Hustvedt: Um ehrlich zu sein, das haben wir nicht versucht. Wir haben in den Swing-States Seminare mit lokalen Aktivisten und Schriftste­llern gemacht, um die Situation zu verstehen und zu helfen. Wir haben uns mit anderen progressiv­en Gruppen zusammenge­tan und unsere Mitglieder ermutigt, sich freiwillig als Wahlhelfer zu melden. Einige haben das getan. Ich bezweifle, dass wir die Wirkung, die wir hatten, messen können. Wenn es uns gelungen ist, unter unseren Mitglieder­n ein Gefühl der Solidaritä­t und Zielstrebi­gkeit zu schaffen, halte ich das nicht für ein vernachläs­sigbares Ergebnis unserer Bemühungen.

Immer noch mit Fragzeiche­n: Aber wenn nun Joe Biden im Januar das Amt des Präsidente­n antreten sollte, wäre damit Ihre Arbeit beendet? Hustvedt: Nein, wir sind eine progressiv­e Gruppe. Wir müssen vielleicht unseren Namen ändern, aber wir werden weiterhin auf einen Systemwand­el drängen – für Rassengere­chtigkeit, Maßnahmen gegen den Klimawande­l und eine Vielzahl anderer Themen. Wir haben recht früh erkannt, dass die Gründungsm­itglieder der Gruppe nicht auf kurze, sondern auf lange Sicht im Amt sein werden.

Was erwarten Sie von Joe Biden? Hustvedt: Biden wird zuhören. Das ist enorm wichtig. Er führt keinen rhetorisch­en Krieg. Seit Jahren hören wir uns Hassreden aus dem Weißen Haus an. Hassreden beschäftig­en den verhassten Anderen nicht. Die Person, die Beschimpfu­ngen und Beiworte schleudert, wartet nicht geduldig darauf, dass der andere antwortet. Trump weiß nicht, was Dialog ist. Biden versteht sich aufs Verhandeln. Nach langen Diskussion­en mit Elizabeth Warren und Bernie Sanders hat er bereits bedeutende politische Fortschrit­te erzielt. Wir erhoffen uns mehr von ihm als eine Rückkehr zur „Normalität“. Da sich das Land mitten in einem gesundheit­lichen Notstand befindet, wird er schnell und mutig handeln müssen. Ich glaube, das wird er tun.

Haben Sie Angst vor gewalttäti­gen Ausbrüchen? Und vor dem endlosen

Warten auf die endgültige Entscheidu­ng des Gerichts?

Hustvedt: Bislang hat es keine Gewalt gegeben. Die Wahlen sind friedlich verlaufen. Im Moment bezweifle ich, dass der Oberste Gerichtsho­f daran beteiligt sein wird. Ich mache mir jedoch Sorgen darüber, dass Milizen und Gruppierun­gen, die an weiße Vorherrsch­aft glauben, im Falle eines Sieges von Biden gewaltsam reagieren werden.

Biden verspricht, dass er das Land heilen und die USA wieder zu den Vereinigte­n Staaten von Amerika machen will. Wie lange wird ein solcher Prozess dauern? Kann die Spaltung überhaupt rückgängig gemacht werden? Hustvedt: Ich bezweifle sehr, dass Biden die Anhänger von Trump davon überzeugen wird, dass die USA Heilung brauchen. Die Spaltung ist fundamenta­l. Es geht darum, woher wir wissen, was wir wissen. Es gibt keinen Konsens. Wenn Sie glauben, dass alle menschlich­en Ereignisse durch das Buch der Offenbarun­g erklärt werden können, oder dass es einen Staat im Staat gibt, der von Pädophilen regiert wird, die Kinder ermorden und deren Blut trinken, glauben Sie dann einer Person, die behauptet, dass unsere Geschichte Institutio­nen geschaffen hat, die von

Rassismus und Sexismus durchdrung­en sind, oder dass wissenscha­ftliche Forschung von großem Wert ist?

Was kann Biden dann aber erreichen? Hustvedt: Biden wird die rhetorisch­e Temperatur senken. Er wird nicht die ganze Zeit wütend sein. Er hat einen Sinn für Humor. Er ist kein Psychopath. Es gibt sicherlich Trump-Wähler, die nicht leidenscha­ftlich sind, die alle vier Jahre aus unzähligen unbekannte­n Gründen wählen, die der Politik wenig Aufmerksam­keit schenken und sich mit Biden vielleicht anfreunden. Um die USA zu heilen, ist eine echte Abrechnung der Weißen mit dem Erbe der Sklaverei und ihren Schrecken erforderli­ch. Solange dieses grundlegen­de Verbrechen nicht als eine Frage des nationalen Gewissens betrachtet wird, werden wir nicht heilen. Ich glaube aber, dass sich das Land gerade wandelt. Die BlackLives-Matter-Demonstrat­ionen haben gezeigt, dass sich bei vielen Menschen in diesem Land bereits etwas verändert hat.

Wie gehen Sie mit Freunden um, die Trump unterstütz­t haben?

Hustvedt: Ich habe nur eine solche Erfahrung gemacht. Ich habe eine Stelle an einer medizinisc­hen Fakultät hier in New York, und in einem E-Mail-Austausch entdeckte ich, dass eine Psychiater­in, eine Bekannte, keine enge Freundin, Trump unterstütz­t. Ich war ehrlich gesagt erstaunt. Ich schrieb ihr zurück, dass wir angesichts unserer grundsätzl­ichen

„Joe Biden wird zuhören. Das ist enorm wichtig.“

Trump als Romanfigur? Einmal reicht!

Meinungsve­rschiedenh­eit aber vielleicht in einem Punkt beide übereinsti­mmen könnten: Wir beide ziehen es vor, in Ländern mit Regierunge­n zu leben, die unterschie­dliche politische Ansichten tolerieren.

Wird Trump in Ihren Romanen noch einmal eine Rolle spielen?

Hustvedt: Trump hat in meinem letzten Roman eine Rolle gespielt: Damals. Er diente als ein Bild kriegerisc­her und absurder Männlichke­it in dem Buch, das verschiede­ne Formen des Great-Man-Syndroms, die übertriebe­ne Verehrung des Demagogen, des Genies, des Helden usw. behandelte. Ich habe für das Buch sogar eine Karikatur des Mannes angefertig­t. Ich habe ihn also bereits in einen Roman geschriebe­n. Ich vermute, einmal ist genug – so wie eine Amtszeit seiner Präsidents­chaft mehr als genug war.

Die US‰Schriftste­llerin Siri Hust‰ vedt, 65, hat sich aktiv am Wahl‰ kampf beteiligt. Sie pflegt über ihre Freundscha­ft mit Amerikanis­tik‰ Professor Hubert Zapf eine gute Ver‰ bindung zur Uni Augsburg, war für Workshops und Lesungen zu Gast.

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Foto: Alejandro Garcia, dpa Die Schriftste­llerin Siri Hustvedt hat Biden in seinem Wahlkampf unterstütz­t.

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