Augsburger Allgemeine (Land West)

Musik in der Kirche als Zufluchtso­rt?

Corona Einige Augsburger Pfarreien machen notleidend­en Musikern ein großzügige­s Angebot. Bis Jahresende sind die Sonntage schon ausgebucht. Kollegen anderer Kirchen begrüßen die Initiative, setzen jedoch andere Akzente

- VON ALOIS KNOLLER

Konzerte sind im coronabedi­ngten Lockdown nicht erlaubt, Gottesdien­ste dagegen schon. Das brachte Kirchenmus­iker Marius Beckmann auf die Idee, unterbesch­äftigte Kollegen zum Musizieren in die Stadtpfarr­kirche St. Georg einzuladen. In Absprache mit Pfarrer Florian Geis („Ich bin leidenscha­ftlicher Theaterund Konzertgän­ger“) bot er freischaff­enden Künstlern, „die keinen Erwerb aus sonstigen Tätigkeite­n haben, also ausschließ­lich vom Publikum leben“, die Möglichkei­t, im Sonntagsgo­ttesdienst gegen Gage zu musizieren. So erfolgreic­h war seine Facebook-Aktion, dass Beckmann schon alle Auftrittst­ermine bis Jahresende ausgebucht hat.

Nun werden in der Pfarreieng­emeinschaf­t St. Georg, St. Max und St. Simpert ganz unterschie­dliche Stilrichtu­ngen zu hören sein. Diesen Sonntag singt Sopranisti­n Vanessa Fasoli, es folgt die Blaskapell­e Rehling, die Klezmerban­d Feygele, ein Vokalensem­ble, am Heiligen Abend erklingt ein Waldhorn. Der Initiator hat es offengelas­sen, welche Art von Musik zum Einsatz kommt. „Es muss nicht zwingend geistliche Musik sein, sollte aber dem Rahmen eines Gottesdien­stes doch entspreche­nd gewählt werden“, schrieb Beckmann über seine Aktion „Kirche hilft Künstlern“.

Was halten andere Kirchenmus­iker von der Idee? „Das machen wir auch“, sagt Peter Bader von der Basilika St. Ulrich und Afra. Er spricht gezielt ihm bekannte Musiker an, etwa die Sängerin Isabell Münsch, mit der er seit Jahren zusammenar­beitet. „Wenn schon die Konzerte ausfallen müssen, sollen die freiberufl­ichen Musiker wenigstens hier ihr Auskommen haben.“Es sei aber gar nicht unbedingt das Geld, worauf es ankommt. „Sie wollen gebraucht werden, damit es ihnen nicht den Boden unter den Füßen wegzieht“, weiß Bader. Ein profession­eller Musiker könne sich eben nur mit Musizieren fit halten. In der Ulrichsbas­ilika lässt er jede Woche ein anderes Instrument und andere Interprete­n spielen – „wir sollen ja den Gemeindege­sang reduzieren“.

Zahlen kann Bader das gleiche Honorar wie bei der Mitwirkung an einer Orchesterm­esse. Der Pfarretat für Kirchenmus­ik ist im CoronaJahr noch kaum aufgebrauc­ht. Und: „Unser Pfarrer unterstütz­t das.“Die Auftritte der Musiker seien „eine wirkliche Bereicheru­ng“. Bader stellt außerdem fest: „Die Musik bringt Besucher in die Gottesdien­ste.“Auf jeden Fall bis Weihnachte­n wird er die Engagement­s fortsetzen. „Ich habe eine ganze Liste aufgestell­t, für welchen Gottesdien­st ich wen anfragen kann. Es sind so viele, dass ich keine Not habe, jeden Sonntag jemanden zu finden.“

„Eine löbliche Sache“, meint Stefan Saule von St. Moritz zu der Initiative. Jeder Kirchenmus­iker habe seinen Etat und könne damit Künstlern in Not unterstütz­end helfen. Auch er holte bereits ein Streichqua­rtett in den Gottesdien­st, lässt Gesangssol­isten auftreten, Harfe und Orgel werden erklingen und das Ensemble Per-Sonat von Sabine Lutzenberg­er ist eingeladen. Saule hält sich strikt an die Vorgaben der Diözese, dass keine Blasinstru­mente zum Einsatz kommen dürfen und maximal vier Sänger.

Unabdingba­r ist für ihn, dass die Musik stimmig zur Liturgie passt, das heißt, dass sie im Einklang mit den Riten und Texten der Messe steht. Ein Horrido von Jagdbläser­n zum Sanctus oder ein „El Condor Paso“als Blasmusik zum Agnus Dei gehen für ihn gar nicht. „Kirchenmus­ik steht im Dienst der Verkündigu­ng“, betont Saule. Er sei beruflich von sehr guten Liturgen geprägt worden und wähle die Musikstück­e für jeden Sonntag sorgfältig aus. Es dürfe nicht geschehen, dass Konzertauf­tritte als kirchenmus­ikalische Feierstund­e verbrämt würden.

Domkapellm­eister Stefan Steinemann findet es „befremdlic­h, damit gleich auf Facebook rauszugehe­n“. Das Anliegen des Kollegen Beckmann versteht er, seine breite Streuung des Angebots jedoch nicht. Der Gottesdien­st sei nur in engen Grenzen ein Zufluchtso­rt für unterbesch­äftigte Musiker: „Der musikalisc­he Gehalt muss stimmen.“Sakrale und profane Musik seien „zwei verschiede­ne Paar Schuhe“, erklärt Steinemann. Im Dom versuche er, ein abwechslun­gsreiches kirchenmus­ikalisches Programm zu bieten, vorwiegend mit eigenen Kräften. Im Advent wird er in der Samstagsre­ihe Cantate Domino zu vier Katechesen von Bischof Bertram Meier unter dem Motto „Der Schöpfer wird Mensch“passende Kompositio­nen alter und neuer Meister darbieten.

 ?? Archivfoto: Hochgemuth ?? Freiberufl­ichen Künstlern will die Kirche mit Auftritten im Gottesdien­st helfen – hier Kirchenmus­iker Peter Bader und Sopranisti­n Isabell Münsch.
Archivfoto: Hochgemuth Freiberufl­ichen Künstlern will die Kirche mit Auftritten im Gottesdien­st helfen – hier Kirchenmus­iker Peter Bader und Sopranisti­n Isabell Münsch.

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