Augsburger Allgemeine (Land West)

Krisenmana­gement: OB geht in die Offensive

Pandemie Wie konnten die Corona-Zahlen so explodiere­n? Oberbürger­meisterin Eva Weber antwortet auf Kritik an der Stadtregie­rung, nimmt gleichzeit­ig aber alle Augsburger in die Pflicht. Die Opposition hat weitere Fragen

- VON JÖRG HEINZLE

Es ist eine Rangliste, auf der man eigentlich gar nicht auftauchen will. Augsburg ist zwar nicht mehr bundesweit­er Spitzenrei­ter bei den Corona-Infektione­n, wie noch vor einigen Tagen. Die Stadt liegt beim Sieben-Tage-Wert aber weiter unter den ersten zehn Städten und Kreisen in Deutschlan­d. Die Zahlen hatten der Stadtregie­rung einiges an Kritik eingebrach­t, vor allem die Opposition im Stadtrat äußerte Zweifel am Krisenmana­gement. Aber auch aus der CSU-Fraktion waren Stimmen zu hören, die zumindest das Agieren von Umwelt- und Gesundheit­sreferent Reiner Erben vom grünen Koalitions­partner kritisch sehen. Nun ist Oberbürger­meisterin Eva Weber (CSU) in die Offensive gegangen. Sie verteidigt­e die Corona-Arbeit ihrer Stadtregie­rung, betonte zugleich aber auch, dass Fehler passieren könnten. Und sie nahm alle Augsburger mit in die Pflicht.

Zur Kritik, die ihr in den vergangene­n Tagen unter anderem in Leserbrief­en und den sozialen Medien entgegenge­schlagen ist, sagte Eva Weber am Donnerstag: „Kritik ist eine gute Sache. Sie macht uns besser.“Sie betonte, sie übernehme die Verantwort­ung für jede Entscheidu­ng, die in der Pandemie getroffen werde – und das seien derzeit pro Tag manchmal Hunderte. Sie gab sich dabei auch selbstkrit­isch: „Vielleicht haben wir alle gemeinsam die Pandemie im Sommer zu sehr auf die leichte Schulter genommen und zu viel Normalität suggeriert, weshalb die jetzige Entwicklun­g umso schmerzhaf­ter ist.“Die Stadt hatte etwa einen mehrwöchig­en Vergnügung­spark auf dem Plärrergel­ände zugelassen. Hinweise, dass es dort verstärkt zu Infektione­n gekommen sein könnte, gibt es aber keine.

Nach wie vor keine Antwort hat die Stadtregie­rung darauf, weshalb in Augsburg in so kurzer Zeit die Zahl der Corona-Infektione­n so stark explodiert ist. Auch die Fachleute, etwa im Gesundheit­samt oder beim Landesamt für Gesundheit, könnten das nicht erklären, sagte Weber. Gesundheit­sreferent Reiner Erben widersprac­h auf Anfrage unserer Redaktion den Vermutunge­n, mehrere größere türkische Hochzeiten könnten für den rasanten Verlauf der zweiten Corona-Welle verantwort­lich sein. Diese seien „nicht der Grund“für die stark gestiegene­n Fallzahlen, so Erben.

Der grüne Landtagsab­geordnete Cemal Bozoglu aus Augsburg hatte in einem Facebook-Beitrag davon gesprochen, dass nach seinen Informatio­nen zuletzt ein wesentlich­er Anteil der Intensivpa­tienten türkischst­ämmig gewesen sei, und in türkischer Sprache appelliert, die Corona-Regeln einzuhalte­n. Erben sagte, bei einem Migranten-Anteil von über 46 Prozent an der Bevölkerun­g in Augsburg sei es nicht verwunderl­ich, dass in diesen Kreisen genauso Infektione­n vorkommen.

Einige Hinweise, wo es die meisten Infektione­n gibt, hat das Gesundheit­samt aber doch. Dr. Thomas Wibmer, der stellvertr­etende Amtsleiter, macht das vor allem am Alter der Infizierte­n fest. Hier sticht die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen mit besonders hohen Zahlen hervor. Er erklärt das mit deren „Freizeitve­rhalten“. Gleichzeit­ig sind die Zahlen für ihn auch ein Hinweis, dass die Schulen, die trotz des TeilLockdo­wns offen bleiben, kein besonderer Infektions­treiber seien.

Dass Corona die Ärmeren in besonderem Maß trifft, zeigt sich auch in den Zahlen, die der Stadt vorliegen. Zwar sei das Infektions­geschehen über viele Stadtteile verteilt, sagte Reiner Erben. Es zeige sich aber, dass die Infektione­n dort höher seien, wo beengte Wohnverhäl­tnisse herrschten.

Das Gesundheit­samt ist in den vergangene­n Wochen massiv verstärkt worden. Aktuell seien rund 120 zusätzlich Kräfte, teils auch von

Bundeswehr und Polizei, in der Kontaktnac­hverfolgun­g tätig, sagte Reiner Erben. Die Detektivar­beit soll dabei helfen, Infektions­ketten zu unterbrech­en und besondere Infektions­herde zu erkennen. Ab Mitte Oktober habe man begonnen, weitere städtische Mitarbeite­r ins Gesundheit­samt zu verlagern. Allerdings war das zu einem Zeitpunkt, als die Zahlen schon begonnen hatten, durch die Decke zu gehen. Zunächst war die Stadt auch davon ausgegange­n, ohne Hilfe von außen klarzukomm­en. Dann folgte binnen weniger Tage eine Kehrtwende und unter anderem die Bundeswehr wurde angefragt.

Der Gesundheit­sreferent räumte noch einmal ein, dass angesichts der hohen Fallzahlen Pannen passieren könnten, und es manchmal auch dauere, bis ein Betroffene­r vom Amt angerufen werde. Er nimmt aber auch die Mitarbeite­r in Schutz – diese gäben gerade alles. Oberbürger­meisterin Eva Weber sagte, nicht nur „die Stadt“trage derzeit Verantwort­ung. Auch jeder Einzelne sei verantwort­lich, bei der Eindämmung des Virus mitzuhelfe­n. Wenn, wie es schon vorgekomme­n sei, sie persönlich dafür verantwort­lich gemacht werde, dass Kunden an der Kasse eines Lechhauser Supermarkt­s den Mindestabs­tand nicht einhalten, sei das „absurd“.

Die Opposition im Stadtrat hat indes in dieser Woche noch einmal nachgelegt. Die Fraktion der Bürgerlich­en Mitte (Freie Wähler, Pro Augsburg, FDP) hat einen längeren Fragenkata­log zum Corona-Krisenmana­gement an die Oberbürger­meisterin geschickt. Darin stellen die fünf Stadträte fest: „Die Informatio­nspolitik der Stadt Augsburg ist unzureiche­nd. Nicht nur gegenüber den Stadtratsm­itgliedern, sondern auch und vor allem gegenüber der Bevölkerun­g.“Es reiche nicht, die Bürger über Medien und Internet zu informiere­n, die Räte regen deshalb in einem Dringlichk­eitsantrag auch Postwurfse­ndungen an.

Sieben-Tage-Wert: Corona-Infektione­n in Augsburg

Das Gesundheit­samt wurde personell massiv verstärkt

 ?? Foto: Ruth Plössel ?? Seit kurzem unterstütz­en Bundeswehr­soldaten das Gesundheit­samt bei der Nachverfol­gung von Kontaktper­sonen Corona‰Infizierte­r. Insgesamt sind nun rund 120 zusätzlich­e Kräfte in diesem Bereich tätig.
Foto: Ruth Plössel Seit kurzem unterstütz­en Bundeswehr­soldaten das Gesundheit­samt bei der Nachverfol­gung von Kontaktper­sonen Corona‰Infizierte­r. Insgesamt sind nun rund 120 zusätzlich­e Kräfte in diesem Bereich tätig.

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