Augsburger Allgemeine (Land West)
Krisenmanagement: OB geht in die Offensive
Pandemie Wie konnten die Corona-Zahlen so explodieren? Oberbürgermeisterin Eva Weber antwortet auf Kritik an der Stadtregierung, nimmt gleichzeitig aber alle Augsburger in die Pflicht. Die Opposition hat weitere Fragen
Es ist eine Rangliste, auf der man eigentlich gar nicht auftauchen will. Augsburg ist zwar nicht mehr bundesweiter Spitzenreiter bei den Corona-Infektionen, wie noch vor einigen Tagen. Die Stadt liegt beim Sieben-Tage-Wert aber weiter unter den ersten zehn Städten und Kreisen in Deutschland. Die Zahlen hatten der Stadtregierung einiges an Kritik eingebracht, vor allem die Opposition im Stadtrat äußerte Zweifel am Krisenmanagement. Aber auch aus der CSU-Fraktion waren Stimmen zu hören, die zumindest das Agieren von Umwelt- und Gesundheitsreferent Reiner Erben vom grünen Koalitionspartner kritisch sehen. Nun ist Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) in die Offensive gegangen. Sie verteidigte die Corona-Arbeit ihrer Stadtregierung, betonte zugleich aber auch, dass Fehler passieren könnten. Und sie nahm alle Augsburger mit in die Pflicht.
Zur Kritik, die ihr in den vergangenen Tagen unter anderem in Leserbriefen und den sozialen Medien entgegengeschlagen ist, sagte Eva Weber am Donnerstag: „Kritik ist eine gute Sache. Sie macht uns besser.“Sie betonte, sie übernehme die Verantwortung für jede Entscheidung, die in der Pandemie getroffen werde – und das seien derzeit pro Tag manchmal Hunderte. Sie gab sich dabei auch selbstkritisch: „Vielleicht haben wir alle gemeinsam die Pandemie im Sommer zu sehr auf die leichte Schulter genommen und zu viel Normalität suggeriert, weshalb die jetzige Entwicklung umso schmerzhafter ist.“Die Stadt hatte etwa einen mehrwöchigen Vergnügungspark auf dem Plärrergelände zugelassen. Hinweise, dass es dort verstärkt zu Infektionen gekommen sein könnte, gibt es aber keine.
Nach wie vor keine Antwort hat die Stadtregierung darauf, weshalb in Augsburg in so kurzer Zeit die Zahl der Corona-Infektionen so stark explodiert ist. Auch die Fachleute, etwa im Gesundheitsamt oder beim Landesamt für Gesundheit, könnten das nicht erklären, sagte Weber. Gesundheitsreferent Reiner Erben widersprach auf Anfrage unserer Redaktion den Vermutungen, mehrere größere türkische Hochzeiten könnten für den rasanten Verlauf der zweiten Corona-Welle verantwortlich sein. Diese seien „nicht der Grund“für die stark gestiegenen Fallzahlen, so Erben.
Der grüne Landtagsabgeordnete Cemal Bozoglu aus Augsburg hatte in einem Facebook-Beitrag davon gesprochen, dass nach seinen Informationen zuletzt ein wesentlicher Anteil der Intensivpatienten türkischstämmig gewesen sei, und in türkischer Sprache appelliert, die Corona-Regeln einzuhalten. Erben sagte, bei einem Migranten-Anteil von über 46 Prozent an der Bevölkerung in Augsburg sei es nicht verwunderlich, dass in diesen Kreisen genauso Infektionen vorkommen.
Einige Hinweise, wo es die meisten Infektionen gibt, hat das Gesundheitsamt aber doch. Dr. Thomas Wibmer, der stellvertretende Amtsleiter, macht das vor allem am Alter der Infizierten fest. Hier sticht die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen mit besonders hohen Zahlen hervor. Er erklärt das mit deren „Freizeitverhalten“. Gleichzeitig sind die Zahlen für ihn auch ein Hinweis, dass die Schulen, die trotz des TeilLockdowns offen bleiben, kein besonderer Infektionstreiber seien.
Dass Corona die Ärmeren in besonderem Maß trifft, zeigt sich auch in den Zahlen, die der Stadt vorliegen. Zwar sei das Infektionsgeschehen über viele Stadtteile verteilt, sagte Reiner Erben. Es zeige sich aber, dass die Infektionen dort höher seien, wo beengte Wohnverhältnisse herrschten.
Das Gesundheitsamt ist in den vergangenen Wochen massiv verstärkt worden. Aktuell seien rund 120 zusätzlich Kräfte, teils auch von
Bundeswehr und Polizei, in der Kontaktnachverfolgung tätig, sagte Reiner Erben. Die Detektivarbeit soll dabei helfen, Infektionsketten zu unterbrechen und besondere Infektionsherde zu erkennen. Ab Mitte Oktober habe man begonnen, weitere städtische Mitarbeiter ins Gesundheitsamt zu verlagern. Allerdings war das zu einem Zeitpunkt, als die Zahlen schon begonnen hatten, durch die Decke zu gehen. Zunächst war die Stadt auch davon ausgegangen, ohne Hilfe von außen klarzukommen. Dann folgte binnen weniger Tage eine Kehrtwende und unter anderem die Bundeswehr wurde angefragt.
Der Gesundheitsreferent räumte noch einmal ein, dass angesichts der hohen Fallzahlen Pannen passieren könnten, und es manchmal auch dauere, bis ein Betroffener vom Amt angerufen werde. Er nimmt aber auch die Mitarbeiter in Schutz – diese gäben gerade alles. Oberbürgermeisterin Eva Weber sagte, nicht nur „die Stadt“trage derzeit Verantwortung. Auch jeder Einzelne sei verantwortlich, bei der Eindämmung des Virus mitzuhelfen. Wenn, wie es schon vorgekommen sei, sie persönlich dafür verantwortlich gemacht werde, dass Kunden an der Kasse eines Lechhauser Supermarkts den Mindestabstand nicht einhalten, sei das „absurd“.
Die Opposition im Stadtrat hat indes in dieser Woche noch einmal nachgelegt. Die Fraktion der Bürgerlichen Mitte (Freie Wähler, Pro Augsburg, FDP) hat einen längeren Fragenkatalog zum Corona-Krisenmanagement an die Oberbürgermeisterin geschickt. Darin stellen die fünf Stadträte fest: „Die Informationspolitik der Stadt Augsburg ist unzureichend. Nicht nur gegenüber den Stadtratsmitgliedern, sondern auch und vor allem gegenüber der Bevölkerung.“Es reiche nicht, die Bürger über Medien und Internet zu informieren, die Räte regen deshalb in einem Dringlichkeitsantrag auch Postwurfsendungen an.
Sieben-Tage-Wert: Corona-Infektionen in Augsburg
Das Gesundheitsamt wurde personell massiv verstärkt