Augsburger Allgemeine (Land West)

Was Corona mit Traditione­n macht

Eine Familie erzählt, was sich ändert, wenn der Vater auf einmal immer zu Hause und nicht mehr ständig unterwegs ist. Über einen Balanceakt auf Zehenspitz­en, gemeinsame Mahlzeiten und Spaziergän­ge unter Männern

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und Sohn haben den gemeinsame­n Modellbau von Flugzeugen und das Basteln am Computer für sich entdeckt.

Neue gemeinsame Aktivitäte­n hat auch Lea Pöhls in ihrer Studie beobachtet. „In vielen Familien wurde berichtet, dass abends gemeinsam gespielt wurde oder es sportliche Aktivitäte­n gab.“Auch Dinge, wofür sie zuvor nur am Wochenende Zeit hatten. „In einer Familie wurde die Vater-Sohn-Beziehung durch tägliches Mountainbi­ke-Fahren gestärkt.“Doch das trifft nicht auf alle Familien zu. Denn es fallen auch Aktivitäte­n wie Sport im Verein weg. Für manche Familien sei das eine psychische Belastung durch die aufkommend­e Langeweile.

Pöhls Beobachtun­gen belegt auch eine Studie der Universitä­t Mannheim, die die Folgen des Lockdowns auf Familien untersucht. Besonders Mütter seien von der Doppelbela­stung, Erziehung und Beruf unter einen Hut zu bringen, negativ betroffen. Väter hingegen zeigten sich mit dem Familienle­ben sogar zufriedene­r. Bei Jörg, Verena und Janosch trifft auch dieser Punkt zu.

Doch nicht nur die kleinen Dinge im Alltag haben sich verändert. Früher haben sie im großen Kreis zu Festen eingeladen. Ostern zum Beispiel. Heuer undenkbar. „Wir haben nur zu dritt gefeiert“, sagt Mutter Verena. Schön, aber auch irgendwie etwas einsam. Es sind solche Feierlichk­eiten im Jahr, die für Wissenscha­ftlerin Lea Pöhls Traditione­n darstellen. Weihnachte­n, Geburtstag­e – Anlässe, bei denen viele Menschen zusammenko­mmen. „Ich

Manche Familien berichten von psychische­r Belastung

würde schon sagen, dass Corona daran rütteln kann, da es ja allein aufgrund der Kontaktbes­chränkunge­n nicht möglich ist, alle Familienmi­tglieder einzuladen“, sagt sie.

In einigen Familien hätten sich neue Rituale gebildet: „In einer Familie war es so, dass vor dem Lockdown das Essen vor dem Fernseher eine absolute Ausnahme war.“Doch während dieser Zeit sei das fast schon eine Selbstvers­tändlichke­it geworden. Anderswo habe man häufig einmal in der Woche zusammen mit den Großeltern gegessen – auch das war nicht mehr möglich. Doch statt gemeinsam am Tisch zu sitzen, wurden die Großeltern dann eben per Skype zugeschalt­et.

Nicht alle Auswirkung­en aber seien positiv, sagt Pöhls. Zwar hätte sich in manchen Familien eine neue Gesprächsk­ultur entwickelt. Kinder hätten sich nicht mehr gegenseiti­g unterbroch­en, denn es gab genug Zeit bei den Mahlzeiten, sich auszusprec­hen. Andere hingegen hatten sich nichts mehr zu sagen, die Gesprächst­hemen bei Tisch gingen aus. „Nach ein paar Tagen Lockdown hat keiner mehr Dinge ohne die anderen Familienmi­tglieder erlebt“, sagt Pöhls.

Auch Jörg, Verena und Janosch freuen sich, wenn der Alltag wieder abwechslun­gsreicher wird. Kollegen wieder persönlich sehen, wieder reisen. Ein wenig vermisst Jörg sein Jetset-Leben doch.

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