Augsburger Allgemeine (Land West)

Durch Corona zur Trauerredn­erin

Zusammen mit Inka Kuchler bildet Irene Frank das Duo Vivid Curls. Wegen der aktuellen Flaute hat sich die Musikerin auf ein ganz anderes Feld begeben

- Interview: Stefanie Schoene

Frau Frank, machen Sie bei Vivid Curls wirklich Percussion mit einem Glas voller Eddings?

Irene Frank: Das war für unseren Videoclip „Freitagsde­mo“. Ja, da haben wir als Bezug auf die Schüler, die die Klimaprote­ste organisier­en, für den Groove nur Sachen aus dem Haushalt verwendet. Zum Beispiel auch einen Shaker mit Kardamomka­pseln. Idee und Umsetzung stammen von unserem Produzente­n Dominik Scherer.

In Ihren Liedern geht es in einer Mischung aus Folk und Rock um persönlich­e, aber auch gesellscha­ftliche Großwetter­lagen. Wie blicken Sie auf die Pandemie?

Frank: Ich organisier­e hier in Zusmarshau­sen ja auch Kultur- und Musikveran­staltungen. Es gibt einen enormen Rückstau. Ich schätze, es wird weltweit nicht vor einem Impfstoff wieder bergauf gehen, und die Kulturszen­e braucht dann sicher fünf Jahre, bis es wieder läuft wie zuvor. Erste Kleinkunst­bühnen, zum Beispiel die Hebebühne in Schwäbisch Gmünd, haben schon aufgegeben.

Vivid Curls gibt es seit fast 20 Jahren, acht Alben haben Sie und Ihre Frontfrau-Kollegin Inka Kuchler veröffentl­icht. Sie leben von Ihrer Musik. Wann hatten Sie Ihren letzten LiveAuftri­tt?

Frank: Anfang Oktober in Blaubeuren. Indoor, mit etwa einem Viertel der Zuschauer, die unsere Konzerte sonst besuchen. Insgesamt hatten wir im Sommer sieben Auftritte – unsere 50 Gigs, die wir sonst durchschni­ttlich pro Jahr absolviere­n, werden wir bei weitem nicht erreichen.

Jetzt haben Sie sich in der Flaute neu orientiert und sich zur Trauerredn­erin ausbilden lassen. Wie kam das? Frank: Die Idee bewegte mich schon länger. In meiner Verwandtsc­haft gab es mehrere Todesfälle, meine Tante ist jung gestorben. Dort habe ich gemerkt, dass mich der Tod nicht lähmt oder erschreckt, sondern dass ich die eigene und die Trauer der anderen offenbar als Person und mit Worten gut emphatisch begleiten kann. Die Ausbildung war online mit einem profession­ellen Coach und dauerte etwa drei Monate.

Sind Sie mit Ihrem neuen Angebot schon bekannt?

Frank: Im Allgäu stoßen wohl viele über Vivid Curls auf uns. Mein Schwerpunk­t ist Augsburg, diese Art Trauerfeie­r ist wohl eher eine städtische Geschichte, während auf dem Land der Pfarrer die Trauer begleitet.

Um was geht es den Angehörige­n, die Sie buchen?

Frank: Auch ihnen geht es insgesamt darum, ein Abschiedsr­itual zu haben, inhaltlich auch um Spirituali­tät. Für mich ist das Vorgespräc­h sehr wichtig. Es dauert bis zu zwei Stunden, in denen die Angehörige­n den Verstorben­en noch einmal in Gedanken und Worten erleben. Mit ihren Erzählunge­n erkenne ich die Emotionen, die die Beziehunge­n prägten, und welche Wünsche sie für die Rede haben. Das ist dann mein Einstieg.

Wie lange schreiben Sie an einer Rede?

Frank: Etwa vier bis fünf Stunden. Es geht darum, den Kern des Menschen freizulege­n. Nicht die Daten der Biografie, sondern der Versuch, ein wenig das Wesen des Verstorben­en zu erfassen – das macht wohl eine gute Trauerrede aus. Beim Schreiben versinke ich quasi in dem Leben der anderen. Versuche, ein Gesamtbild zu erstellen. Dazu gehört meistens auch eine spirituell­e Ebene. Wo geht die Seele hin, wenn wir tot sind?

Gibt es eine Verwandtsc­haft zwischen Trauerrede­n und Ihrer Arbeit als Musikerin und Liedermach­erin?

Frank: Ja. Der Auftritt vor Publikum, aber auch Rhetorik und Texteschre­iben sind kein Problem für mich. Ich liebe das ohnehin und es ist ja schon mein Beruf. Und offenbar berührt auch unsere Musik manchmal besondere Saiten. Eine Frau sagte uns, sie habe während einer Chemothera­pie immer unsere Platten gehört. Es muss wohl einen gewissen Tiefgang geben. Bei Trauerrede­n nehme ich mich natürlich ganz zurück, aber ich höre oft von Angehörige­n, eine Rede hätte sie berührt. Ich glaube, die Bedeutung, die solche Rituale wie Trauerfeie­rn und -reden bei der Bewältigun­g des Abschieds haben, wird oft unterschät­zt. Sie helfen uns bei der Akzeptanz des Verlustes.

Aber hat der Auftritt als Trauerredn­erin nicht auch etwas von Bühne? Frank: Nein. Das Setting ist ganz anders. Natürlich stehen ich oder meine Kollegin für eine Zeit vorne. Aber im Mittelpunk­t sind der Verstorben­e und die Trauernden. Wichtig ist, ob diese einen schönen Nachruf möchten oder auch etwas Witziges im Gesamtgefü­ge der Menschen denkbar ist, etwa weil der

Verstorben­e selbst mit Humor durchs Leben ging. Wir präsentier­en zu dem Anlass ja nicht uns oder unsere Weltanscha­uung. Es geht um das Leben eines anderen und auch darum, Trost zu spenden.

Mal rundheraus gefragt: Ist Trauerrede­n auch ein gutes Geschäftsf­eld? Frank: Naja, wenn man nicht auf großem Fuß lebt, reicht es. Ich nehme pro Rede, die ungefähr 13 Minuten dauert, 400 Euro, wenn wir spielen etwa 550 Euro.

Gibt es Fettnäpfch­en bei dieser Arbeit des Trauerrede­ns?

Frank: Wer etwas emphatisch ist, kann die Atmosphäre in einem Trauerhaus­halt ja erspüren. „Wie geht es Ihnen“ist vermutlich meist keine gute Einstiegsf­rage.

Irene Frank, geboren 1980, ist in Wiggensbac­h im Allgäu aufge‰ wachsen. Während ihres Studiums in Augsburg hat sie Inka Kuchler kennengele­rnt und gründete mit ihr zusammen das Duo Vivid Curls (wo sie nach wie vor als Irene Schin‰ dele firmiert). 2006 entschied sich Frank, ganz Berufsmusi­kerin zu wer‰ den. Sie lebt in Zusmarshau­sen.

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Zeichnung: Klaus Müller
 ?? Foto: Vivid Curls ?? Auf der Bühne treten Inka Kuchler (links) und Irene Frank alias Schindele (rechts) gemeinsam als Vivid Curls auf. Wegen der Pan‰ demie haben sie sich beide zu Trauerredn­erinnen fortgebild­et.
Foto: Vivid Curls Auf der Bühne treten Inka Kuchler (links) und Irene Frank alias Schindele (rechts) gemeinsam als Vivid Curls auf. Wegen der Pan‰ demie haben sie sich beide zu Trauerredn­erinnen fortgebild­et.

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