Augsburger Allgemeine (Land West)

Der holprige Kampf gegen das Virus

Pandemie Die Corona-Strategie wird ständig überarbeit­et – und weist doch diverse Lücken auf

- VON BERNHARD JUNGINGER UND SARAH SCHIERACK

Berlin Angela Merkel wurde Anfang der Woche wieder einmal deutlich: „Jeder Kontakt, der nicht stattfinde­t, ist gut“, betonte die Bundeskanz­lerin – und dachte dabei wohl auch an die Mitarbeite­r der über 400 Gesundheit­sämter, für die jeder zusätzlich­e Kontakt eines Corona-Infizierte­n viel Arbeit bedeutet. Denn die Personen müssen ausfindig gemacht und informiert werden. Das dauert – und bringt bei steigenden Fallzahlen das System der Kontaktver­folgung an seine Grenzen.

Die Ämter stocken deshalb seit Monaten auf, in einigen Behörden wie etwa in Augsburg helfen mittlerwei­le Soldaten aus. Da mutet es fast etwas kurios an, dass die Bundesregi­erung schlichtwe­g nicht weiß, wie viele Mitarbeite­r überhaupt bei den Ämtern beschäftig­t sind. Das geht aus der Antwort des Gesundheit­sministeri­ums auf eine Anfrage der FDP hervor, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt.

Bundestags­fraktionsv­ize Christian Dürr hatte sich erkundigt, wie viel Personal alle Gesundheit­sämter Anfang des Jahres hatten und wie sich der Stand bis Ende Oktober entwickelt hat. Doch das Gesundheit­sministeri­um schreibt, dass der Regierung diese Zahl nicht vorliegt, und verweist auf die Zuständigk­eit von Ländern und Kommunen. Dürr ist irritiert: „Die Bundesregi­erung legt das Land immer weiter lahm, aber hat keinen Überblick, wie es in den Gesundheit­sämtern aussieht. Leider ist der Staat zurzeit genau dort am schwächste­n, wo er am dringendst­en gebraucht wird: bei der Organisati­on des Gesundheit­sschutzes.“Der FDP-Politiker spricht von einem „Armutszeug­nis“. Mehr als ein halbes Jahr sei Zeit gewesen, eine mögliche zweite Welle vorzuberei­ten. Gesundheit­sämter müssten unterstütz­t werden, dafür aber müsse stets bekannt sein, wie viele Stellen dort besetzt seien.

Der Fall weist ein Muster auf, das in der Corona-Krise immer wieder zu beobachten ist. Mehr als ein Dreivierte­ljahr nach Beginn der Pandemie funktionie­rt der Kampf gegen das Virus vielerorts zwar besser als am Anfang: Masken und Schutzklei­dung sind ausreichen­d verfügbar, die medizinisc­he Versorgung ist ausgereift­er, in der Arbeitswel­t und im Privatlebe­n haben sich viele an die neue Normalität angepasst. Doch an einigen entscheide­nden Stellen verläuft der CoronaKamp­f noch immer holprig, fehlen die Daten und das Personal, um der Ausbreitun­g des Virus entschloss­en entgegenzu­treten.

Erst vor kurzem war bekannt geworden, wie schwer sich etwa die bayerische­n Gesundheit­sämter tun, Corona-Cluster aufzuspüre­n, also Orte oder Veranstalt­ungen, an denen sich besonders viele Menschen mit dem Coronaviru­s infizieren. Wie aus einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen im Landtag hervorgeht, tragen die Ämter zwar ein, wo sich eine Person „wahrschein­lich“infiziert hat, die Daten würden aber nicht systematis­ch nach Gemeinsamk­eiten ausgewerte­t.

Auch die Corona-Warn-App steht immer wieder in der Kritik: Zu fehleranfä­llig sei die Technik, zu ungenau die Messung, zu gering die Zahl der echten Nutzer. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ging nun noch einen Schritt weiter. „Ich möchte noch mal überlegen, ob wir nicht beim Datenschut­z an der einen Stelle überprüfen, ob es da Hinderniss­e gibt“, sagte der CSUVorsitz­ende nach der Bund-Länder-Schalte in Berlin. Man habe in den vergangene­n Wochen viel über die Einschränk­ung von Grundrecht­en diskutiert – nur der Datenschut­z sei bisher nicht angetastet worden. Um dieses Thema geht es auch im

Kommentar. Im Leitartike­l beschäftig­t sich Bernhard Junginger mit der Frage, ob es vertretbar ist, für den Kampf gegen das Virus seelisches Leid in Kauf zu nehmen.

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