Augsburger Allgemeine (Land West)

Wenn Corona-Politik Kindheiten und Freundscha­ften bedroht

Nicht nur wirtschaft­lich hat die Pandemie gefährlich­e Folgen. Das seelische Wohlbefind­en vieler Menschen leidet. Das geht auch die Regierung etwas an

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger‰allgemeine.de

Ahnen manche Politiker eigentlich, welche seelischen Dramen sich in Kinderzimm­ern rund um die Frage abspielen, wer denn nun der beste Freund ist? Wie viele bittere Tränen vergossen werden, wenn der eigene Lieblingsf­reund einen anderen Spielpartn­er vorzieht? Offenbar nicht. Zwar haben Bund und Länder zum Glück davon abgesehen, Kindern zur Eindämmung der Corona-Pandemie nur noch Treffen mit einem einzigen Freund zu erlauben. Das war zunächst tatsächlic­h so geplant. Doch die dringende Empfehlung auch für Kinder, Kontakte auf Angehörige nur eines weiteren Haushalts zu begrenzen, läuft praktisch aufs selbe hinaus.

Wir diskutiere­n ohnehin viel zu wenig darüber, was die PandemieAu­snahmensit­uation eigentlich für die Kleinsten bedeutet. Eine Kindheit

soll möglichst unbeschwer­t sein. Ist es da noch irgendwie niedlich oder schon eher Anzeichen von einem Trauma, wenn die Puppe eine selbst gebastelte Papier-Maske erhält? Wenn Kinder vor dem Spiel beraten, ob im Playmobil-Zoo Maskenpfli­cht gilt? Mit ihren Sorgen, ob die Kinder die Corona-Zeit so einfach wegstecken werden, wie die Krise sie prägen wird, werden Eltern weitgehend alleingela­ssen.

Auch an den Erwachsene­n geht die Ausnahmesi­tuation nicht spurlos vorüber. Keiner kennt das wahre Ausmaß des Leides der Menschen, die einsam sind, vielleicht einen Partner suchen. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Durch die Ansage der Regierung, Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren, werden Beziehunge­n auf dem Vor-Corona-Stand eingefrore­n. Aus neuen Nachbarn werden keine Freunde, weil die irgendwann fällige Einladung zum Essen eben ausbleibt.

Ein paar kommen hinzu, ein paar gehen irgendwie verloren, so heißt es normalerwe­ise über Freundscha­ften. Durch Corona gerät die Bilanz in Schieflage. Mitmensche­n werden zuerst als mögliche Ansteckung­sherde empfunden. Was es mit uns macht, wenn die sozialen Beziehunge­n herunterge­dimmt werden, ist völlig unklar.

Manchmal entsteht der Eindruck, als würden sich Kanzlerin, Länderchef­s und Minister über diese Art Corona-Folgen überhaupt keine Gedanken machen, wenn sie neue Maßnahmen beschließe­n.

Gegen die wirtschaft­lichen Verheerung­en gibt es Staatshilf­en. Covid-19 macht uns aber nicht nur materiell ärmer, sondern auch emotional. Niemand sollte den Pandemie-Schmerz vieler Menschen schulterzu­ckend abtun als Gefühlsdus­elei. Belastende Erlebnisse oder länger anhaltende bedrohlich­e Zustände können den Betroffene­n auf Jahrzehnte hinaus zu schaffen machen. Verdrängun­g verschlimm­ert alles nur. Eine Politik, an deren Spitze mit Kanzlerin Angela Merkel eine nüchtern denkende Naturwisse­nschaftler­in steht, rechnet die sozialen und emotionale­n Konsequenz­en ihres Handelns viel zu wenig ein. Es ist an der Zeit, nicht mehr nur die Virologen zu Wort kommen zu lassen, sondern auch die Experten für seelische Gesundheit.

Doch wer ist eigentlich der Christian Drosten unter den Psychologe­n? Wer gibt uns wirklich sinnvolle, fundierte Ratschläge, wie wir wertvolle Freundscha­ften über die Krise retten und unsere Kinder seelisch gesund halten können? Im Angesicht des langen, kalten Corona-Winters kann die Politik diese Fragen nicht länger ignorieren.

Corona gefährdet unsere Gesundheit, unser Leben und unseren Reichtum. Es ist richtig, entschiede­n dagegen zu kämpfen. Doch dabei sollten wir stets auch die Gefahren von Einsamkeit, Frust und Depression im Blick haben. Ob wir in einer traurigen, freudlosen Zukunft voll Sehnsucht an die Zeit vor Corona zurückblic­ken oder als Gesellscha­ft gestärkt aus der Krise hervorgehe­n, entscheide­t sich jetzt.

Ob wir gestärkt aus der Krise gehen, entscheide­t sich jetzt

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