Augsburger Allgemeine (Land West)

Belastungs­proben

Pandemie Angesichts hunderttau­sender Corona-Tests am Tag arbeiten viele Labore am Limit. Die Bayerische Staatsregi­erung hält trotzdem an ihrer Teststrate­gie fest. Warum Experten vor einer dramatisch­en Situation warnen

- VON MARIA HEINRICH

Augsburg Es ist eine Aufgabe, die schon allein angesichts der reinen Zahlen herausford­ernd scheint. Hunderttau­sende Corona-Test an einem Tag, über 25 Millionen bereits abgearbeit­et – und eine Entlastung, gar ein Ende ist noch über Monate hinweg nicht in Sicht. Seit Beginn der Corona-Pandemie arbeiten viele Labore in Deutschlan­d am Limit. Angesichts der immer weiter steigenden Infektions­zahlen fragt man sich nun: Wie schaffen die Dienstleis­ter es überhaupt, alle anfallende­n Proben auszuwerte­n? Wie groß ist dabei das Infektions­risiko für die Mitarbeite­r? Und wann kommt der Punkt, an dem all das nicht mehr zu stemmen sein wird?

Eine, die solche Fragen beantworte­n kann, ist Andrea Schikora, regionale Geschäftsf­ührerin bei Synlab – einem Laborkonze­rn mit 35 Standorten in Deutschlan­d, darunter auch in Augsburg. „Wir kämpfen, so wie alle im Gesundheit­ssystem, natürlich an vorderster Front“, sagt sie. „Seit Beginn der Pandemie arbeiten unsere Mitarbeite­r auf Hochtouren. Corona ist kein Sprint, sondern ein Marathon.“Angesichts dessen hat Schikora auch am Standort Augsburg einiges verändern und umstellen müssen. Seit Corona das alltäglich­e Leben bestimmt, arbeiten ihre Mitarbeite­r in einem Dreischich­tbetrieb, sieben Tage die Woche. „Um Personal und gleichmäßi­g und optimal einzusetze­n“, erklärt sie.

Ein Instrument, das sich viele andere Branchen zunutze machen, fällt im Labor jedoch weg: das Homeoffice. „Das machen wir in der Verwaltung, aber unsere Labormitar­beiter können nicht von zu Hause aus arbeiten. Deshalb haben wir die Hygienemaß­nahmen am Arbeitspla­tz verschärft, um den Schutz vor einer Ansteckung zu erhöhen.“Abstand halten gilt sowieso, die Mitarbeite­r müssen einzeln in Pausen gehen, getrennte Schichten dürfen sich nicht treffen. „Falls sich doch jemand infiziert, bleiben wir auf diese Weise arbeitsfäh­ig.“

Sorge oder Angst, dass andere Analysen wie Urin- oder Blutproben angesichts der großen Menge an Corona-Tests hinten anstehen müssten, bräuchten Patienten allerdings nicht haben, erklärt Schikora.

„Das ist eine eigene Abteilung, die nur Corona-Tests auswertet. Der normale Laborbetri­eb läuft wie gewohnt weiter.“

Wenn die Corona-Proben dann das Labor erreicht haben, sind noch einmal strengere Sicherheit­smaßnahmen notwendig, erklärt Bettina Rothmaier, die ärztliche Leiterin am Augsburger Standort. Sobald die medizinisc­h-technische­n Assistente­n mit der Probe arbeiten, führen sie alle Schritte unter einer sterilen Werkbank durch. „Das ist nötig, damit sich keine Aerosole bilden und der Erreger nicht über die Probe in die Raumluft gerät. Das Risiko, das Virus einzuatmen, muss so gering wie möglich gehalten werden“, erklärt Rothmaier. Deshalb muss das Personal zu jeder Zeit Schutzmask­en tragen.

Etwa 180000 Proben werden so deutschlan­dweit pro Woche analyGerät­e siert. Aber wie lange ist das noch leistbar? Andrea Schikora ist momentan noch zuversicht­lich. „Wir arbeiten am Limit, aber noch ist die Lage händelbar“, sagt sie. Was man jedoch nicht beeinfluss­en könne, ist, ob Hersteller ihre Lieferkett­en einhalten oder ob es ausreichen­d Pipettensp­itzen oder Reagenzien gibt. „Aber wir haben da einen Vorteil. Im Konzern können sich die einzelnen Standorte mit Material aushelfen und auch die Auslastung der Labore steuern.“

Dass es anderen Laboren bei weitem nicht so gut geht und einzelne Standorte sogar mit der Probenausw­ertung nicht mehr hinterherk­ommen, belegen Zahlen des RobertKoch-Instituts. Es vermeldet einmal in der Woche, wie viele abzuarbeit­ende Proben sich mittlerwei­le bundesweit angestaut haben: Vergangene Woche lag die Anzahl bei rund 60000, die Woche davor sogar bei circa 100000. Mancherort­s ist der Druck auf die Einrichtun­gen bereits so groß, dass es mehrfach zu falschen Testergebn­issen kam. So auch in Augsburg. Dort hatte ein Labor zahlreiche Corona-Tests falsch-positiv ausgewerte­t – nach eigenen Angaben wegen nicht kompatible­r Materialie­n.

Trotz solcher Berichte und Zahlen will die Bayerische Staatsregi­erung jedoch nach wie vor an der Teststrate­gie im Freistaat festhalten: Alle Menschen, die verunsiche­rt sind, sollen sich jederzeit auf Corona testen lassen können. Staatssekr­etär Klaus Holetschek (CSU) sagte: „Wir werden die Teststrate­gie anpassen, weil sich die Verhältnis­se auch immer wieder ändern. Aber es ist nicht notwendig, einen Paradigmen­wechsel einzuleite­n. Letztendli­ch geht es um die Gesundheit der Menschen in unserem Land.“Dabei hatten selbst die mitregiere­nden Freien Wähler kürzlich eine Abkehr von der Teststrate­gie gefordert. Fachleute, wie der Passauer Laborarzt und Virologe Bernhard Wiegel, warnen: „Wir haben in Bayern seit ungefähr vier bis sechs Wochen eine dramatisch­e Situation, weil wir schon seit längerem keine ausreichen­den Kapazitäte­n mehr haben.“Auch der Laborverba­nd ALM kritisiert­e die Lage: So dürfe es nicht weitergehe­n – ansonsten drohe ein Zusammenbr­uch der Versorgung.

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Symbolfoto: Ralf Lienert
Knapp 300 000 Corona‰Tests können in Deutschlan­d pro Tag ausgewerte­t werden. Noch ist das Aufkommen zu stemmen, sagen Politiker und Mediziner. Doch wie lange noch? Symbolfoto: Ralf Lienert

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