Augsburger Allgemeine (Land West)

Als es in Augsburg Eintopfson­ntage gab

Geschichte Der Historiker Felix Bellaire entwirft das erste Gesamtbild, wie die Stadt durch die schwierige­n Jahre 1939 bis 1945 kam

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburgs Zerstörung­en im Bombenkrie­g haben ihre Darstellun­gen gefunden, die Zwangsarbe­it im NSStaat, der politisch und religiös begründete Widerstand – doch wie ist Augsburg als Stadt durch den Zweiten Weltkrieg gegangen? Darüber gibt nun die umfassende, 500 Seiten starke Studie des jungen Historiker­s Felix Bellaire Auskunft, die bei der Schwäbisch­en Forschungs­gemeinscha­ft erschien. Er ist inzwischen wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Fachstelle für Erinnerung­skultur der Stadt Augsburg.

Während sich viele Abhandlung­en bisher auf die Anfänge der nationalso­zialistisc­hen Herrschaft ab 1933 beziehen – die Machtergre­ifung, die allgemeine Gleichscha­ltung der Gesellscha­ft, die Aussonderu­ng der Juden, Widerstand und Verfolgung –, geht Bellaire speziell auf die Jahre 1939 bis 1945 ein. Gemäß der neueren Forschungs­orientieru­ng

legt er zugrunde, dass sich der „totale Krieg“, den Hitler führte, „auf so gut wie alle Aspekte des täglichen Lebens der Bevölkerun­g“auswirkte. Entspreche­nd engmaschig legt er das Netz über Augsburg, untersucht Kriegswirt­schaft und Versorgung, Medizin, Recht und Moral, Kultur und Unterhaltu­ng, die Kirchen, die jüdischen Schicksale, der Luftkrieg, Propaganda und Stimmung bis hin zum Scheitern der „Volksgemei­nschaft“.

Darunter verstanden die Nationalso­zialisten ein geeintes, handlungsf­ähiges und nicht von internen Konflikten belastetes Volk, das auch für einen Krieg genügend Durchhalte­willen aufbringt. Aus dieser „Volksgemei­nschaft“wurde ausgesonde­rt, was man als „andersarti­g“, „minderwert­ig“, „schädlich“und „feindlich“empfand. Stets wurde an die Opferberei­tschaft des Volkes appelliert, von den Sammelakti­onen fürs Winterhilf­swerk bis zu Eintopfson­ntagen. Der Krieg, so Bellaire, vermochte den Reiz dieser Einheitsvo­rstellung unter den Volksgenos­sen anfangs durchaus zu steigern. Allerdings: „Nur solange die Wehrmacht siegte, ein Kriegsende absehbar schien und auch die Kriegslast­en noch tragbar waren, waren zweifellos viele zum selbstlose­n Einsatz für die Volksgemei­nschaft bereit.“

Doch es verschärft­e sich in Augsburg die Wohnungsno­t für junge Familien. Bonzen aus Partei, Industrie und Militär beanspruch­ten Privilegie­n für ihre Autos und es erhoben sich Klagen, dass sich Frauen der gehobenen Schichten dem allgemeine­n Arbeitsein­satz entzögen. Erbitterun­g regte sich darüber, dass „die Züge nach dem Süden des Reiches durch Vergnügung­sreisende aus dem Norden überfüllt“seien, während die ortsansäss­ige Bevölkerun­g das Reiseverbo­t befolge. Als nach der Zerstörung Augsburgs im Februar 1944 zahlreiche obdachlos Gewordene im Umland keine wohlwollen­de Aufnahme fanden, kippte die Stimmung immer mehr. Es verbreitet­e sich eine „an Apathie grenzende“Schicksals­ergebenhei­t, berichtete Schwabens Regierungs­präsident im Dezember 1944.

Noch bevor der erste Schuss fiel, wurden die Augsburger Ende August 1939 über die Einführung der Bezugssche­ine für lebenswich­tige Verbrauchs­güter informiert. Dem städtische­n Wirtschaft­samt gelang es, mit Improvisat­ion und Flexibilit­ät den Mangel einigermaß­en effektiv zu verwalten. „Allerdings waren diesem durch die von Kriegsbegi­nn an recht desolate Versorgung­slage engere Grenzen gesetzt“, schreibt Bellaire. Tausch- und Schleichha­ndel nahmen zu und in der Bevölkerun­g wuchs der Grant. „Nichts Gescheites zum Fressen, einen Dreck zum Saufen, nichts mehr zum Rauchen – jetzt können sie uns nur noch ganz verrecken lassen.“Mit diesem Geschimpfe wurde ein frustriert­er MAN-Arbeiter 1943 aktenkundi­g.

Die Arbeitsbel­astung, zumal in der Rüstungsin­dustrie, nahm zu. Kräfte aus anderen Branchen wurden „ausgekämmt“und umgesetzt, „kranke und völlig abgearbeit­ete Pensionäre“sollten nochmals antreten und verstärkt wurden Frauen angeworben, obwohl die NS-Ideologie sie lieber im Haushalt sah. Ihrerseits entzogen sie sich der Arbeit durch häufiges unentschul­digtes Fehlen. Ausländisc­he Arbeitskrä­fte wurden zunächst noch angeworben, später durch Zwang, als Kriegsgefa­ngene oder KZ-Häftlinge eingesetzt. Die Stadt plante schon 1942 fünf große Sammellage­r für 10000 Personen.

Die medizinisc­he Versorgung litt an kriegsbedi­ngten Hemmungen

Die Volksgemei­nschaft sollte Durchhalte­willen stärken

Aus den Kinos verschwand­en die Hollywoodf­ilme

wie Benzinmang­el und Medikament­enknapphei­t. Dafür machte die Augsburger National-Zeitung dann die „sinnlose Kaufwut“von Hamsterern verantwort­lich. In den Krankenhäu­sern wurden 1941 die Kapazitäte­n knapp, ohne die kirchliche­n Kliniken und Pflegeheim­e hätte die Versorgung laut Bellaire „deutlich schlechter funktionie­rt“. Merklich stieg die Säuglingss­terblichke­it in Augsburg in den Jahren 1944 (10,8 Prozent) und 1945 (18,2 Prozent).

Auf kulturelle­m Gebiet entfielen nach und nach Stücke jüdischer Autoren und aus Feindstaat­en, in den Kinos verschwand­en mit dem Kriegseint­ritt der USA die Hollywoodf­ilme. Die gebotene Unterhaltu­ng sei kein Luxus, entgegnete die Presse Kritikern, sondern trage zur seelischen Stärkung der Heimatfron­t bei. Freilich spielte man nach der verordnete­n Tendenz die guten klassische­n Stücke, die wertvolle Oper und die gute alte Operette.

Den Kirchen wurde bereits 1940 eröffnet, dass sie ihre Glocken abzugeben hätten. Das Amtsblatt der Diözese schärfte den Pfarrern 1939 ein, „in allen Gesprächen über politische, militärisc­he und wirtschaft­liche Dinge größte Zurückhalt­ung zu üben“. Das evangelisc­he Augsburg hielt eher zur Bekennende­n Kirche. Doch wurde das Gebet „für Führer, Heer und Volk“angeordnet.

» Felix Bellaire: Augsburg 1939– 1945. Eine Stadt im Kriegszust­and,

 ?? Foto: Joseph Eschenlohr ?? In den Zerstörung­en der Bombennach­t im Februar 1944 kulminiert­e der Zweite Weltkrieg in Augsburg.
Foto: Joseph Eschenlohr In den Zerstörung­en der Bombennach­t im Februar 1944 kulminiert­e der Zweite Weltkrieg in Augsburg.
 ?? Foto: Archiv ?? Auch die Augsburger Polizei gab sich im Führer‰Staat stramm linientreu.
Li‰ kias Verlag Friedberg, 507 Seiten, 32 Euro.
Foto: Archiv Auch die Augsburger Polizei gab sich im Führer‰Staat stramm linientreu. Li‰ kias Verlag Friedberg, 507 Seiten, 32 Euro.

Newspapers in German

Newspapers from Germany